Freyer ist eine der Vorsteherinnen der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in Wien und wird als solche bei einer der zahlreichen Gedenkveranstaltungen rund um Novemberpogrome sprechen, sie wird in der Josefstadt zu hören sein. Jene Nächte, in denen 1938 Hunderte Juden ermordet wurden und ihre Einrichtungen, Geschäfte und Friedhöfe zerstört wurden (siehe auch Infokasten unten).
Gegen das Vergessen
Dass Freyer sich gegen das Vergessen einsetzt, ist nicht neu. Vergangenes Jahr hat sie gemeinsam mit Politikwissenschaftlerin Nina Scholz eine Veranstaltung mit der Holocaust-Überlebenden Maria Gabrielsen organisiert, die von ihrer eigenen Mutter ins KZ geschickt worden ist. Ein emotionaler Abend, der KURIER berichtete. Doch heuer ist es noch emotionaler. „Es geht mir noch schlechter als letztes Jahr“, sagt Freyer.
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Der Grund liegt auf der Hand: „Das neuerliche Pogrom am 7. Oktober in Israel, als nichts anderes kann man es bezeichnen, das mich als in Wien lebende Jüdin völlig unerwartet getroffen hat“. Auf die Frage, ob sie Angst hat, bei einer öffentlichen Veranstaltung zu sprechen, schweigt sie lange. „Ich fühle mich hier sicher, aber ich habe Grund zur Besorgnis.“
Die Pro-Palästina-Demos, bei denen für die Hama demonstriert wird, führen zu Freyers Besorgnis, auch, dass fast täglich Wiener Juden die Kippa vom Kopf geschlagen würde oder es vor wenigen Tagen zu einem Brandanschlag auf dem jüdischen Teil des Zentralfriedhofs gekommen ist. „Wir greifen niemanden an, wir singen auf unseren Veranstaltungen in Wien Lieder und zünden Kerzen an, weil sie die Seele des Menschen symbolisieren“, sagt Freyer.
„Die jüdische Bevölkerung in Österreich und Deutschland verspürt noch größere Angst, als in anderen Ländern, weil mehr präsent ist, wozu so eine Haltung führen kann“, sagt Scholz, die sich mit Nationalsozialismus, Antisemitismus und Islamismus beschäftigt hat. Freyer hat auch sie für das Gespräch zu sich nach Hause eingeladen.
Drei Eckpfeiler
Als Scholz, sie stammt aus der DDR, vor rund 30 Jahren nach Wien gekommen sei, habe sie die Freiheit des Westens genossen. „Ich habe gedacht, mit den äußeren Rändern am rechten und am linken Rand kommen wir schon zurecht, aber wir haben es jetzt mit einer neuen Spielart des Antisemitismus zu tun. Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass sie einzig durch die Strahlkraft der Demokratie weggehen wird“, so Scholz. „Man darf nicht vergessen, dass das auch für alle Muslime negativ ist, die vor solchen Verhältnissen zu uns geflohen sind.“
Wichtig sei es jetzt, Flagge zu zeigen, sagt Freyer. „Der Zeitgeist muss sein, dass die Leute jetzt den Mund öffnen, sonst ist dieses Europa verloren.“ Um Pogrome zu verhindern oder es zu keinen weiteren kommen zu lassen, gebe es drei wichtige Eckpfeiler.
Der allergrößte Schutz sei, wenn sich die Regierenden hinter die jüdische Bevölkerung stellen. „Das ist bei uns in höchstem Maße der Fall. Alle Parteien, inklusive der FPÖ, haben ein gemeinsames Statement für das Existenzrecht Israels abgegeben. Das macht mich stolz, hier leben zu können und ich fühle mich beschützt“, sagt Freyer.
Der zweite Eckpfeiler sei die Möglichkeit, sich selbst zu schützen. Das sei gegeben, weil die IKG mit der Exekutive kooperiere.
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Der dritte Schutz sei die Zivilbevölkerung. „Während früherer Pogrome haben sich vereinzelt Nachbarn von Juden vor deren Baracken und Geschäfte gestellt, um diese vor Angriffen zu schützen. Das kann einen entscheidenden Unterschied machen.“
Bewusstseinsbildung auf Social Media
Und dann kehrt die Wut wieder in Freyers Stimme zurück. „Ich fühle mich von Teilen der Zivilbevölkerung im Stich gelassen.“ Sie hätte sich etwa erwartet, dass es aus der MeToo-Bewegung, die sich für Frauenrechte einsetzt, lautere Stimmen gibt.
Es gibt viel, dass man tun könne, erklärt Freyer. „Zu Solidaritätskundgebungen oder Gedenkfeiern gehen, zeigt uns, dass wir nicht alleine sind.“ Auch Bewusstseinsbildung auf Social Media wäre wichtig. Wer darüber hinaus etwas tun will, könne etwa bei israelischen Shops bestellen. „Die Wirtschaft dort liegt brach“, sagt Freyer.
Eine simple Frage
Wichtig sei außerdem, jüdische Freundinnen und Freunde anzurufen und ihnen eine simple Frage zu stellen: Wie geht’s dir? „Die erste, die mich nach dem Anschlag am 7. Oktober angerufen hat, war eine muslimische Freundin“, erzählt Freyer. „Das gibt mir Hoffnung.“
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