NS-Zeit: Polizei öffnet nach 78 Jahren ihre Geheimarchive
Waren Österreichs Polizisten und Gendarmen eher Täter oder Opfer des Naziregimes? Wie verhielt sich die Polizeiführung vor und im Krieg?
Viel Wissen darüber war bisher in den Geheimarchiven der Exekutive gebunkert. Für ein zweijähriges Forschungsprojekt über die Rolle der Polizei in der NS-Zeit wurden diese nun erstmals für Historiker geöffnet (und werden auch weiterhin zugänglich sein).
Conclusio der Untersuchung ist vor allem, dass vor dem Anschluss auch innerhalb der Exekutive ein Kampf tobte. "Eine Demokratie kann nur bestehen, wenn sie wehrhaft ist", zieht Projektleiter Gerald Hesztera Bilanz.
Und daran haperte es, wie das Projekt aufgezeigt hat.
Bereits 1932 soll es in der Polizei eine erste "NS-Zelle" mit 500 Mitgliedern gegeben haben, auch die wenig später gegründete Alarmabteilung war fast vollständig unterwandert. "20 bis 30 Prozent waren Nazis, etwa genauso viel dagegen", sagt Historiker Kurt Bauer. "Es gab aber viel Opportunismus und Loyalität gegenüber der Führung." Und viele Führungskräfte waren zumindest deutschnational orientiert.
Polizisten wurden bedroht
Beamte wurden aber auch bedroht und intern unter Druck gesetzt. "So wie ihr uns behandelt, werden wir euch behandeln", hieß es etwa in einem Flugblatt, das an Polizisten verteilt wurde. Die Exekutive galt den Nazis zunächst als Teil des Systems, das angegriffen werden sollte.
Und die Unterwanderung funktionierte. Im Zuge des Anschlusses wurden einige Führungskräfte zum Tode verurteilt oder ins Konzentrationslager verschleppt. Damit war auch die Gegenwehr gebrochen, dennoch gingen - zumindest - vereinzelt auch Polizisten in den Widerstand.
Als die Gestapo gegründet wurde, konnten bereits 80 Prozent des Personals aus der Polizei abgeworben werden. Die ersten Transporte nach Dachau wurden sogar von der Polizei-Leitstelle Wien organisiert. "Die Polizei war wesentlicher Teil des Terrorregimes", lautet das Fazit der Historiker.
Aktiv gegen "Zigeuner"
Die Verfolgung der Roma und Sinti etwa gab es eher auf Betreiben der Kriminalpolizei als der NSDAP. Bereits in den 20er-Jahren wurden in Österreich alle "Zigeuner" fotografiert und ihnen die Fingerabdrücke abgenommen - die Nazis mussten die Listen nur mehr abarbeiten. Bewacht wurden die "Zigeuner-KZ" dann, im Gegensatz zu den meisten anderen Vernichtungslagern, von der Kripo. Diese könnte auch an der Vertuschung von Morden mitgewirkt haben.
Gegen Ende des Krieges wurden vor allem auch Gendarmen als Eskorte für Transporte von KZ-Häftlingen eingesetzt. In Mauthausen etwa flüchteten im Jahr 1942 rund 500 Insassen, die Gendarmerie startete eine Großfahndung. Fast alle Flüchtigen wurden dabei getötet, nur elf überlebten.
Deutsche Untersuchungen gehen davon aus, dass Polizeieinheiten in Europa rund 600.000 Menschen erschossen haben, wobei dies zum überwiegenden Teilen in Osteuropa der Fall war. Hier spielten Österreicher jedenfalls als Schutzpolizisten eine nicht unwesentliche Rolle, wie Filmaufnahmen bestätigen.
Wenige Urteile, viele Begnadigungen
Viele arbeiteten auch nach dem Krieg wieder bei der Exekutive. Lediglich 30 Polizisten wurden von österreichischen Gerichten zu Strafen von wenigen Monaten bis zu 20 Jahren verurteilt, zur Todesstrafe aber niemand. Einige Beamte wurden auch an die Sowjetunion ausgeliefert, wo es bis zu 25 Jahre Arbeitslager als Strafe gab. Die meisten Betroffenen sind schlussendlich nach einigen Jahren begnadigt worden.
Widerstand hätte allerdings dramatische Folgen gehabt. Ein 48-köpfige Polizeitruppe aus Luxemburg etwa weigerte sich, geschlossen zur deutschen Exekutive überzutreten. Daraufhin wurden sie alle erschossen.
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