Beim Online-Zocken verloren? So bekommt man das Geld zurück
Ein Betroffener schildert, wie einfach er Tausende Euro zurückerhielt – und ein Anwalt erzählt aus seiner Praxis.
26.10.23, 12:00
Es war ein böses Erwachen für Bernhard M. (Name geändert) an einem eigentlich schönen Frühlingstag 2006. Kaum hatte er die Augen geöffnet, holte ihn die Erinnerung an die vergangene Nacht ein: Er hatte fast 5.000 Euro beim Online-Poker verspielt. Die Kreditkarte war damit am Limit. Das Konto ohnehin heillos überzogen. Er wusste, er hatte keine Wahl – noch am selben Tag bat er seine Bank um einen Kredittermin.
„Damals war ich wirklich spielsüchtig“, erzählt der 39-jährige Vorarlberger, der zu dieser Zeit eine persönliche Krise durchlebte: „Vor allem die Nächte habe ich durchgezockt und viel Bier getrunken dabei. Mein Spiel wurde immer riskanter, ich habe zunehmend verloren. Manchmal habe ich zehnmal pro Nacht auf mein Spielkonto eingezahlt. Meist kleine Beträge, 10 Euro. Aber ich hörte nie auf, bevor mir die Augen zufielen, denn ich suchte den Kick des Gewinnens und hielt mich für schlauer als die anderen Spieler.“
Ein fataler Irrtum. Die kleinen Beträge läpperten sich, und manchmal waren es eben auch große Summen wie in der eingangs beschriebenen Nacht, seinem persönlichen Tiefpunkt. Mit dieser war seine Verlustserie freilich noch immer nicht zu Ende, erst ein paar Jahre später kam er vom Online-Spielen weg. Sein Leben stabilisierte sich wieder, und ans Pokern verschwendete er keinen Gedanken mehr. Bis er von einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs las: Diese bekräftigte das österreichische Glücksspielmonopol, womit klar war, dass alle Internet-Anbieter (abgesehen von win2day) illegal agierten und die Verluste bei diesen Plattformen rückforderbar sind.
Was M. dafür tun musste, wie er jedes Prozessrisiko vermied, und wieviel Geld er zurückbekam.
Die rechtliche Lage – und wie Sie testen können, ob Sie selbst glücksspielsuchtgefährdet sind.
Wie Anwalt Oliver Peschel seinen Job und seine Klientinnen und Klienten sieht.
Woran eine Rückzahlung doch noch scheitern könnte, und wie die rechtliche Situation verbessert werden könnte.
„Ich hätte nicht geglaubt, wie einfach das geht.“
von Bernhard M.
Der Ex-Spielsüchtige holte sich mithilfe einer Anwaltskanzlei Tausende Euro zurück.
Ohne Prozessrisiko Spielverluste zurückholen
Zuerst erwog Bernhard M. diese Möglichkeit gar nicht. Vor Gericht ziehen gegen einen großen Konzern? – Lieber nicht. Als er aber Anfang dieses Jahres im KURIER wieder einen Bericht las, wonach allein ein einziger Prozessfinanzierer bisher 50 Millionen Euro für seine Klienten erstritten hatte, begann er zu googeln – und stieß sofort auf mehrere spezialisierte Anwälte, die auf ihren Internet-Seiten anbieten, solche Klagen abzuwickeln. Er entschied sich für einen und schrieb ihm ein Mail.
„Ich hätte nicht geglaubt, wie einfach das geht“, schildert M., was dann passierte: Die Anwaltskanzlei fragte zuerst nach den Eckdaten, also in welchem Zeitraum und auf welcher Plattform M. wie viel Geld bei welchen Spielen verloren hatte. In einer Ersteinschätzung beurteilte sie die Chancen, Geld zurückzuerhalten, gut. M. bekam auf eigenen Wunsch einen Prozessfinanzierer vermittelt. Somit trug er keinerlei finanzielles Risiko, musste aber im Erfolgsfall einen Teil der Rückerstattung an diesen abgeben.
Auf erste Briefe des Anwalts reagierte die Poker-Plattform abweisend. Offenbar wollte man erst einmal austesten, wie hartnäckig M. sein würde. „Die größte Schwierigkeit war, 15 bis 20 Jahre nach dem Spielen meine Verluste zu beziffern. Ich wusste das natürlich nicht mehr, und der Wettanbieter hat sich geweigert, diese Daten herauszugeben. Ich habe dann alles zusammengekratzt, was ich finden konnte: Kontoauszüge, eMails, Tagebucheinträge. Bei den Kreditkartenabrechnungen hatte ich nur noch Monatsbeträge, aber wenn die ungewöhnlich hoch waren, habe ich abgeschätzt, wie viel davon fürs Pokern draufgegangen sein müsste. Das war schon etwas Arbeit, aber die hat sich gelohnt. Letztlich bin ich auf eine Summe gekommen, mit der ich am Ende nicht einmal so schlecht gelegen bin.“
Rund 16.000 Euro hatte M. an Verlusten errechnet, dieser Betrag wurde vom Anwalt eingeklagt. Der Glücksspielkonzern mit Sitz in Malta (die Branche erwirtschaftet gut 10 Prozent des dortigen Bruttoinlandsprodukts, Anm.) räumte daraufhin die Summe von knapp 14.000 Euro ein und unterbreitete gleichzeitig ein Vergleichsangebot: Man würde gegen Rücknahme der Klage den Großteil zurückerstatten und außerdem die Klagskosten übernehmen. M. willigte ein und bekam – nach Abzug des Anteils des Prozessfinanzierers – zwei Wochen später fast 8.000 Euro aufs Konto.
„Das Ganze hat keine sechs Monate gedauert. Ich habe alles per eMail abgewickelt, musste weder in die Anwaltskanzlei noch vor Gericht, nur einen Anruf der Poker-Plattform gab es einmal – aber da hatte mir der Anwalt schon vorher geraten, einfach nicht mit denen zu sprechen. Nach rund 17 Jahren habe ich mehr als die Hälfte meiner Verluste zurückbekommen, das hätte ich mir vorher nicht träumen lassen“, freut sich M. und ergänzt: „Ich kann jedem nur empfehlen, sich an einen Anwalt zu wenden und seine Verluste zurückzuholen. Online-Casinos verdienen an der Schwäche von Menschen in Not und vergrößert diese noch. Jeder Nadelstich dagegen zählt.“
Die Rechtslage ist eindeutig: In Österreich gibt es ein Glücksspielmonopol. Die Casinos Austria haben mit win2day die einzige Konzession für Online-Glücksspiel. Alle anderen Anbieter im Internet agieren rechtswidrig. Wer bei solchen Plattformen Geld verloren hat, kann es daher 30 Jahre lang zurückverlangen. Umfasst sind zum Beispiel Poker-, Roulette- oder Slotspiele – ausgenommen sind nur Sportwetten, weil diese nicht als Glücksspiel gelten.
Der Anwalt im Interview: "Viele Fragen, ob eh keine Briefe von mir kommen"
Oliver Peschel (34) ist Anwalt in Wien und betreibt die Seite casinoklage.at für die Rückforderung von Verlusten in Internet-Casinos.
KURIER: Ist Ihr Job leicht oder schwer? Oliver Peschel: Wenn sich Klienten freuen, dass sie Geld zurückbekommen, ist er leicht. Aber es gibt auch diejenigen, die das Geld dringend brauchen und schon eingeplant haben. Wenn das zum Beispiel alleinerziehende Mütter sind, die ich vertrösten muss, weil der Online-Anbieter nicht zurückzahlt, geht mir das natürlich schon nahe.
Wie sehen Ihre Klienten typischerweise aus?
Rund 40 Prozent meiner Mandanten sind Frauen, die kommen oft wegen Roulette- und Slot-Spielen. Bei Letzteren kann man in einer halben Stunde einen Tausender verlieren. Bei Männern ist es eher Poker oder Blackjack. Die Menschen spielen, weil sie ein Ventil zum Stressabbau suchen. Ich hatte schon Klienten mit siebenstelligen Verlusten, im Schnitt liegen die Schadenssummen aber bei etwa 20.000 Euro.
Das ist viel Geld ...
Ja, so viel und schnell können Sie gar nicht rauchen und trinken, wie das Geld bei einer Spielsucht verloren geht. Bei vielen sind dann auch die Relationen weg: Über eine Parkstrafe von 30 Euro ärgern sie sich, aber 100 Euro für eine Runde Online-Poker sind nichts. Doch man sieht es den Leuten nicht an, kaum jemand spricht darüber. Es ist eine versteckte Sucht. Viele Mandanten verheimlichen das vor Freunden, Verwandten, sogar dem Ehepartner – man kriegt es oft nicht mit, bis es zu spät ist. Jede bzw. jeder Zweite fragt, ob eh keine Post von mir im Briefkasten landet.
Wie viele Fälle haben Sie, und wie sind die Aussichten?
In meiner Kanzlei sind es einige Hundert im Jahr. Die Aussichten sind sehr gut, weit mehr als die Hälfte bekommt tatsächlich Geld zurück. Bestimmte Casinos zahlen leider einfach nicht, trotz rechtskräftiger Urteile. Aber man sollte es jedenfalls versuchen. Je nach Plattform kann sich das schon ab 1.000 Euro rentieren. Man braucht sich nicht fürchten: Fragen kostet nichts.
Online-Glücksspiel zu verbieten wäre so aussichtslos, wie Tabak oder Alkohol komplett zu verbieten.
von Oliver Peschel
Der Anwalt glaubt, dass die Zulassung mehrerer konzessionierter Anbieter die beste Lösung wäre.
Rein rechtlich ist die Sachlage inzwischen ja klar, oder?
Es gibt viele Fallstricke, es empfiehlt sich schon ein Anwalt mit einschlägiger Erfahrung. Das Problem liegt aber wie gesagt manchmal bei der Durchsetzung der Urteile. So hat etwa Malta heuer mit der „Bill No. 55“ ein Gesetz verabschiedet, das die dortige Glücksspielbranche vor Zwangsvollstreckungen ausländischer Urteile schützt. Das ist umstritten, aber bis das aufgehoben wird, dauert es. Da müsste die EU noch mehr tun und schneller sein, um den Rechtsraum zu sichern.
Sollten Online-Glücksspiele überhaupt verboten werden?
Nein, das wäre so aussichtslos, wie Tabak oder Alkohol komplett zu verbieten. Aber die aktuelle Situation ist auch nicht sinnvoll: Wir haben ein Monopol, also keinen Wettbewerb – das ist nie gut. Und wir haben viele illegale Anbieter, die absurderweise Glücksspielabgaben bezahlen. Die Republik verdient Hunderte Millionen an der Ausbeutung ihrer Bürger. Sie kann oder will das aber nicht unterbinden – andere Staaten schaffen das, zum Beispiel mit IP-Blockern. Am besten wäre meiner Meinung nach ein beschränktes Lizenzsystem, bei dem vier, fünf zugelassene Anbieter strenge Kriterien erfüllen müssten. Der Schwarzmarkt würde schrumpfen, der Spielerschutz gestärkt, und die Anbieter wären kontrollierbar.
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