Österreichs Kindergärten stehen vor dem Kollaps
Sie sind teilweise für bis zu 50 Kinder alleine verantwortlich, berichten von Schützlingen, die nicht getröstet werden können und Allergien, die vor lauter Stress vergessen werden. Von elementarer Bildung und Schulvorbereitung könne längst keine Rede mehr sein. Es gehe um Beaufsichtigung. Darum, die Kinder am Ende des Tages wieder heil den Eltern zu übergeben. Den Einblick, den fünf Kindergartenpädagoginnen dem KURIER in ihre Arbeit geben, zeigt ein erschreckendes Bild (siehe Artikel unten).
Seit Jahren kämpft Österreichs Elementarpädagogik mit massivem Personalmangel. An die Öffentlichkeit dringt davon kaum etwas. Das sei kein Zufall, sagen Betroffene. Die Kindergarten-Träger würden Sprechverbote erteilen – was diese jedoch vehement verneinen.
Die Gründe für die Personalnot sind vielseitig. „Nicht einmal ein Viertel derjenigen, die in Wien die fünfjährige Bildungsanstalt für Elementarpädagogik abschließen, steigt in den Beruf ein“, sagt Natascha Taslimi, Vorsitzende des Netzwerks elementare Bildung Österreich (NeBÖ). Die Rahmenbedingungen seien einfach zu unattraktiv. Und hier allen voran die viel zu großen Gruppen. In Kindergartengruppen in Wien kommen auf 25 Kinder eine Pädagogin und eine Assistentin. Mit September wurde die gesetzliche Mindestbesetzung von Assistentinnen von 20 auf 40 Stunden erhöht. Da sich ihr Aufgabengebiet aber auf Reinigung und Essenszubereitung konzentriert, ist die Pädagogin häufig alleine.
Und sie muss nicht zwingend eine ausgebildete Elementarpädagogin sein. Aufgrund des massiven Personalmangels können Kindergärten sogenannte "Nachsichten" beantragen. Dabei handelt es sich um Mitarbeiterinnen mit "pädagogischer Erfahrung", jedoch keiner einschlägigen Ausbildung. Wie viele davon in Wien im Einsatz sind, kann die zuständige MA 11 für Kinder- und Jugendhilfe nicht beantworten. Dies sei aufgrund der "individuellen Ausgestaltungen" nicht möglich. In der Magistratsabteilung wird betont: Die Einhaltung des Bildungsauftrags in Wiens Kindergärten werde von der Aufsichtsbehörde überprüft, da ansonsten die Bewilligung widerrufen werde.
Das "Tanten"-Problem
Ein weiterer Grund, warum der Beruf so unattraktiv ist, ist die geringe Wertschätzung, die dem Beruf traditionell entgegengebracht wird. Nach wie vor werden Elementarpädagoginnen als "Tanten" gesehen. Dabei ist es ihre Aufgabe, Kinder bis zur Schulreife zur bringen.
Und auch das Gehalt wird immer wieder thematisiert. Dieses variiert von Bundesland zu Bundesland. In Wien, wo es in privaten Kindergärten Anfang 2022 angehoben wurde, beträgt das Einstiegsgehalt rund 1.770 Euro netto.
Eine Anfang Oktober veröffentlichte OECD-Studie zeigt ein eindeutiges Bild. Österreich gibt für den Kindergartenbereich weniger aus als die anderen OECD-Staaten. Hier betragen die Aufwendungen für die Kleinsten 0,7 Prozent des BIP, im OECD-Schnitt sind es 0,9 Prozent.
Im Juli hat der Nationalrat eine Kindergarten-Milliarde beschlossen. Ausgegeben werden darf das Geld für frühe Sprachförderung und den Ausbau des Angebots. 80 Millionen sind für die Finanzierung des verpflichtenden Kindergartenjahres vorgesehen.
"Mogelpackung"
Natascha Taslimi vom NeBÖ hält diese für eine Mogelpackung. "Die Milliarde ist auf fünf Jahre aufgeteilt. Das sind also 200 Millionen Euro pro Jahr. Die Elementarpädagogik bräuchte aber die eine Milliarde pro Jahr und Bundesland, um bessere Rahmenbedingungen zu schaffen und die Qualität zu steigern." Am schlimmsten sei die Situation in der Steiermark, wo Kindergärten bereits schließen müssen.
Wien gab 2021 fast eine Milliarde Euro für die privaten und städtischen Kindergärten aus, knapp 1 Prozent des BIP. Sprachförderkräfte würden von 200 auf 500 erhöht, heißt es aus dem Büro des zuständigen Stadtrats Christoph Wiederkehr.
Niederösterreich öffnet mit einem 750-Millionen-Euro-Paket die Kindergärten auch für Zweijährige, verkleinert die Gruppen und schafft eine gratis Vormittagsbetreuung für die Unter-Dreijährigen.
Während sich die Politik mit Verbesserungen rühmt, spüren die Kindergärten noch nichts davon. Das betonen nicht nur Pädagoginnen, sondern auch Trägerorganisationen. Trotz Aufstockung der Assistenzstelle sei der Personalschlüssel "für eine chancengerechte und entwicklungsförderliche Umgebung zu wenig", sagt Elmar Walter, Geschäftsführer der St. Nikolausstiftung. Es sei nicht der große Wurf, wie medial dargestellt. Es brauche dringend kleinere Gruppen. "Wir wissen von Mitarbeitern, dass viele Kinder wesentlich mehr Unterstützung in ihrer Entwicklung benötigen würden", sagt er. Auch KIWI – Kinder in Wien spricht von der aktuellen Personalsituation als "Herausforderung". Man müsse bereits seit Jahren mit sogenannten Nachsichten agieren.
Lediglich die MA 10, Betreiber der städtischen Kindergärten, stellt die Situation etwas anders da. Zwar gebe es einen Fachkräftemangel und die Arbeit im Kindergarten sei "herausfordernd", aber auch "bereichernd".
Das soll jetzt auch eine Imagekampagne der Stadt demonstrieren.
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