Österreichs einziges Jugendgefängnis hat ein Ablaufdatum
Die holzvertäfelte Kapelle der Justizanstalt Gerasdorf in NÖ ist am Donnerstag gut gefüllt. Allerdings nicht, wie man annehmen könnte, mit jugendlichen Insassen – Gerasdorf ist Österreichs einzige, auf männliche Jugendliche und junge Erwachsene spezialisierte Haftanstalt. Justizministerin Alma Zadic ist da. Genauso wie Anstaltsleiter aus ganz Österreich, Spitzenbeamte, Richter und andere Experten. Sie sprechen einen Tag lang über den Jugendvollzug. Ein bemerkenswerter Zeitpunkt. Denn die Justizanstalt Gerasdorf wird es so nicht mehr lange geben.
Seit Wochen wird in einer Arbeitsgruppe über die Zukunft des Jugendvollzugs diskutiert. Offizielle Stellungnahmen gibt es keine. Doch eines ist bereits durchgesickert: Der Jugendvollzug in Gerasdorf ist Geschichte. Er dürfte in die Justizanstalt Wien-Simmering übersiedeln. Auch deshalb, weil der Standort zu weit weg vom Schuss ist.
Gerasdorf bleibt als Justizanstalt allerdings bestehen. Hier könnten dann Insassen mit mittellangen und langen Haftstrafen untergebracht werden.
Weniger Häftlinge
Aktuell gibt es 105 Haftplätze in Gerasdorf, doch nur 60 Insassen. Was in erster Linie daran liegt, dass immer weniger junge Straftäter zu unbedingten Haftstrafen verurteilt werden.
Eine Entwicklung, die auf den ersten Blick paradox wirkt, denn: „Die Zahl der jugendlichen Tatverdächtigen ist seit 1975 um 75 Prozent gestiegen“, sagt Strafrechtsprofessor Christian Grafl. Die Delikte haben sich im Lauf der Jahrzehnte allerdings verschoben. Waren es früher in erster Linie Delikte gegen Leib und Leben und Vermögensdelikte, spielt Suchtmittel-Kriminalität heute eine wesentliche Rolle.
Gleichzeitig ist die Zahl der Verurteilungen massiv gesunken. Statt Haft setzen Richterinnen und Richter auf Maßnahmen wie Diversion oder außergerichtlichen Tatausgleich.
Doch die Betreuung derjenigen, die ins Gefängnis müssen, ist herausfordernd. „Psychosoziale Belastungen haben deutlich zugenommen. Viele Insassen sind zusätzlich in ihrer Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigt, haben oft Gewalt, Vernachlässigung, Missbrauch oder Traumatisierung erfahren“, sagt Justizministerin Zadic. „Die Haft kann das Gefühl der Hoffnungslosigkeit noch verstärken und die Zukunftsängste steigern.“
Ein schwerer Start
Viele kennen keinen geregelten Tagesablauf, kommen damit erst in Haft in Berührung. Oft fehlt der Schulabschluss, manche sind Analphabeten.
Herausforderungen, die während eines Haftaufenthaltes nicht gelöst werden können. Denn: ein Großteil der jugendlichen Straftäter sitzt Haftstrafen ab, die kürzer als ein Jahr sind.
„Strafe ist kein guter Motivator“, sagt Walter Hammerschick vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie. „Und Gefängnisse sind keine lernfreundliche Umgebung.“ Dennoch macht Bildung im Jugendvollzug „sehr viel Sinn. Die gesellschaftliche Integration ist eng mit der beruflichen verbunden.“ Das Rückfall-Risiko hängt stark davon ab. Doch die Ausbildungsmöglichkeiten sind beschränkt. E-Learning habe Potenzial, wird aber nur selten angewendet. Und nach der Haftentlassung können die Jugendlichen selten dort anknüpfen, wo sie aufgehört haben.
Anstaltsleiterin Margitta Neuberger-Essenther beobachtet zudem ein zunehmendes Problem „der Jungs“, wie sie ihre Insassen nennt, wenn es um die sozialen Kompetenzen geht. „Sie sind ein Spiegel der Gesellschaft. Eine gewisse Ich-Bezogenheit schlägt sich auch bei den Jungs durch.“
Was sie vermisst: „Die Kraft und den Mut, im Jugendvollzug etwas ganz Neues zu machen.“ Und da denkt die Gefängnis-Chefin in eine konkrete Richtung: „Natürlich muss die Gesellschaft geschützt werden. Aber aus meiner Sicht braucht es kein Jugendgefängnis.“
Sie habe schon am ersten Arbeitstag gesagt, dass sie hoffe, dass man sie in dieser Funktion eines Tages nicht mehr brauche. So weit ist es nicht gekommen. Für Neuberger-Essenther ist es dennoch der letzte Arbeitstag. Sie geht in Pension.
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