Zivilcourage: Österreicher helfen bei Notlagen meist nicht

Zivilcourage: Österreicher helfen bei Notlagen meist nicht
Eine Studie zeigt: Die meisten haben Angst vor der eigenen Courage, nicht einmal jeder Siebzigste hilft.

Zwei junge Frauen schlendern über die Donauinsel. Sie unterhalten sich angeregt. Plötzlich ändert sich ihr Tonfall. Die Situation schaukelt sich hoch. Eine der Frauen beginnt zu schreien, sie beschimpft ihre Bekannte und droht ihr – für die Umstehenden hörbar – Gewalt an.

Auf Hilfe braucht das Opfer nicht zu hoffen.

Das zeigt ein aktuelles Experiment des Austrian Institute of Technology (AIT): Die beiden jungen Frauen sind Schauspielerinnen – und führten ihren Streit publikumswirksam immer wieder in Wiener Parks vor.

Zwei von 158

Das Ergebnis, das dem KURIER vorliegt: Bei insgesamt 158 Zeugen, die den Streit verfolgt haben, kam dem Opfer nur in zwei Fällen jemand zu Hilfe. Anders ausgedrückt: Nicht einmal jeder Siebzigste zeigte die Zivilcourage, einzuschreiten.

Warum Menschen nicht helfen und – vor allem – wie man das ändern kann, war das Forschungsinteresse der Wissenschafterinnen Julia Himmelsbach und Kathrin Röderer, die das Experiment durchgeführt haben. Die Ergebnisse sind auch für sie ernüchternd. „Wir sind zwar davon ausgegangen, dass nur die Minderheit einschreitet.“ Aber so wenige? „Das war überraschend.“

Die Gründe, warum Menschen lieber wegschauen, sind vielschichtig. Das vielleicht gewichtigste Problem ist „die Angst vor dem Normbruch“, sagt Himmelsbach. „Wer zivilcouragiert handelt, verletzt damit soziale Normen, um höhere moralische Werte zu schützen.“

Zivilcourage: Österreicher helfen bei Notlagen meist nicht

„Je mehr Menschen vor Ort sind, desto geringer ist das Verantwortungsgefühl des Einzelnen", sagt Julia Himmelsbach.

Fatales Zögern

Was aber bedeutet das? Es ist gesellschaftlich nicht erwünscht, in die Privatsphäre anderer Menschen einzudringen. Sich – salopp formuliert – in fremde Angelegenheiten einzumischen, gehört sich einfach nicht. „Bevor man das tut, zögert man“, sagt Röderer.

Im Ernstfall kann dieses Zögern aber fatal sein. Besonders für Opfer familiärer Gewalt – denn: Wenn für Umstehende der Eindruck entsteht, dass sich Täter und Opfer kennen, steigt die Hemmschwelle, sich einzumischen, noch weiter.

Auch das belegt das Experiment, das in zwei Spielarten durchgeführt wurde: In der einen Variante erweckten Täterin und Opfer den Eindruck, sich zu kennen. In der anderen schienen sie Fremde zu sein. „Das Verantwortungsgefühl der Anwesenden“, sagt Röderer, „war deutlich geringer, wenn sich Opfer und Täter kannten“.

Zivilcourage: Österreicher helfen bei Notlagen meist nicht

Gezögert werde vor allem, wenn sich Täter und Opfer kennen, sagt Kathrin Röderer.

Trügerische Selbstwahrnehmung

Auch die Selbstwahrnehmung macht uns einen Strich durch die Rechnung. Mehr als ein Drittel der Umstehenden gab an, „eigentlich gehandelt zu haben“. Wie aber kann es sein, dass so viele Menschen dies von sich behaupten, während es nur in zwei Fällen tatsächlich so war?

„Viele haben den sehr subjektiven Eindruck, sie hätten sich für das Opfer eingesetzt, indem sie ,sich aufgesetzt’ oder ,Aufmerksamkeit signalisiert’ hätten“, sagt Himmelsbach. Das Problem: „Bei Täter und Opfer kommen derart kleine Gesten gar nicht an.“

Junge Frauen halfen

Ein weiteres Ergebnis: Je mehr Menschen vor Ort sind, desto geringer ist das Verantwortungsgefühl des Einzelnen – in der Wissenschaft bekannt als „Bystander-Effekt“.

Was aber kann man nun tun, um Menschen zu Zivilcourage zu ermutigen? Ergebnis des Experiments war unter anderem ein Konzept für ein Spiel, das die entsprechenden Kompetenzen trainieren soll.

Übrigens: In beiden Fällen handelte es sich bei den Außenstehenden, die dem vermeintlichen Opfer zu Hilfe kamen, selbst um junge Frauen.

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