Österreich muss jedes Jahr mehr Getreide importieren

Ein Mähdrescher fährt über ein Weizenfeld.
Eigenversorgungsgrad bei Getreide nimmt durch Klimawandel und Bodenversiegelung rapide ab.

Nein, Hungersnot ist unmittelbar keine zu befürchten. Aber die Entwicklung bei der Eigenversorgung Österreichs mit Getreide ist für viele besorgniserregend: Laut Statistik Austria ist sie in nur sechs Jahren auf 88 Prozent abgestürzt. Wegen der schwachen Ernte 2017 dürfte der – noch nicht berechnete – Wert inzwischen noch tiefer liegen. Früher war er regelmäßig um die 100 Prozent gependelt.

Doch das scheint nur der Beginn einer besorgniserregenden Entwicklung zu sein: Hat Österreich bis 2008 noch etwas mehr Getreide exportiert als importiert, so führt es heute doppelt so viel ein, wie es ins Ausland verkauft. Allerdings wird nur ein kleiner Teil der Getreidemenge für Nahrungsmittel verwendet. Der Größere geht in Industrie und Futtermittelherstellung.

Drei Faktoren beeinflussen die Entwicklung unterschiedlich stark: Die Veränderung des Wetters, der steigende Inlandsbedarf und der Verlust an landwirtschaftlicher Fläche.

Die Hitze- und Trockenschäden an der aktuellen Ernte machen deutlich, wo es in Zukunft hin gehen kann. Das Jahr 2017 brachte laut Agrarmarkt Austria eine Getreideernte von 4,7 Millionen Tonnen. Das sind satte 22 Prozent weniger als im – wenn auch sehr guten – Erntejahr 2016.

Österreich muss jedes Jahr mehr Getreide importieren
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Wetter

Doch ist das nur der Anfang: Laut aktueller Klimaprognose der Universität für Bodenkultur für das Weinviertel wird das Wetter von 2017 kein Einzelfall bleiben. Die Zahl der Hitzetage wird in den kommenden Jahren weiter kräftig zunehmen. Dazu ändert sich die Verteilung der Niederschläge: Große Regenmengen fallen in so kurzer Zeit, dass der Boden sie nicht speichert.

Gleichzeitig geht Ackerland verloren – hauptsächlich, weil es unter Gewerbegebieten, Straßen und Wohnbauten verschwindet. Eine Fläche von rund 30 Fußballfeldern wird jeden Tag versiegelt, rechnet die Hagelversicherung vor.

In nur zehn Jahren, von 2006 bis 2016, ist so Österreichs Ackerfläche von 1,37 auf 1,33 Millionen Hektar geschrumpft. "Die verbaute Fläche nahm von 2001 bis 2016 um rund 24 Prozent zu. Das entspricht einem Plus von rund 1090 km². Das ist umgerechnet rund 2,5-mal die Landesfläche Wiens. Damit wuchs die Beanspruchung von Flächen seit 2001 deutlich schneller als die österreichische Bevölkerung", berichtete jüngst Konrad Pesendorfer, Generaldirektor der Statistik Austria. Standen vor 20 Jahren etwa 3000 Quadratmeter Acker pro Einwohner zur Verfügung, sind es heute kaum noch 1600.

Gleichzeitig sind die Importe im Verhältnis zu den Exporten ständig gestiegen. Seit 2015 macht die Einfuhr die doppelte Menge dessen aus, was Österreich an Getreide exportiert. Mit 2,7 Millionen Tonnen führt Österreich bereits mehr als die Hälfte dessen ein, was es selber erzeugt, nämlich 4,8 Mio. Tonnen.

Trotzdem meint Christian Gessl von der Agrarmarkt Austria, dass der Bodenverlust im Ackerbau noch nicht spürbar sei. Es ist der aktuelle Boom der kräftig wachsenden Stärkemittel-Industrie, der den Inlandsbedarf in die Höhe treibt. Aber auch Gessl macht der Trend Sorgen.

Hat Österreich sich von einem Grundprinzip im Sicherheitsmanagement – der Eigenversorgung mit Getreide – verabschiedet? Vorratslager für Notfälle wurden schon vor Jahrzehnten aufgelöst.

Die Zahlen der vergangenen Jahre treiben Zivilschutz-Spezialisten jedenfalls die Sorgenfalten auf die Stirn. Österreichs Zivilschutz-Präsident Johann Rädler wird noch deutlicher: "Es ist unmittelbar kein Katastrophenszenario zu erwarten. Aber die Agrarpolitik ist dringend aufgerufen, etwas zu tun, denn schon in zehn Jahren kann das ganz anders sein. Wer weiß schon, ob ein Import im Krisenfall problemlos möglich ist?"

Regionalität

Auch Getreide- und Weinbauer Leopold Müller aus Krustetten in NÖ beobachtet die Entwicklung mit Sorge. "Es gibt keine Kennzeichnungspflicht für die Herkunft des Getreides, aus dem Mehl entsteht. So kann kein Bewusstsein für regionale Produktion in diesem Bereich entstehen, das die Eigenversorgung stärkt. Wäre es gekennzeichnet, könnte sich der Kunde für Gebäck entscheiden, das aus österreichischem Getreide entsteht. Im Weinbau wird das schon lange erfolgreich vorexerziert."

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