NS-Lager: „Es liegen noch welche unter der Erde“

Eines der wenigen Bilder (1940) aus der Zeit als Umsiedlungslager für "Volksdeutsche"
Bei Bauarbeiten in Graz wurden Skelettteile gefunden. In der NS-Zeit war auf dem Areal ein Zwangsarbeiterlager.

Dieser Satz in einem Zeitungsbericht aus 1947 fällt auf. Der Vorsitzende des britischen Militärgerichts wird darin so zitiert: „Es liegen noch welche unter der Erde.“

Die Anmerkung fiel im  Prozess um das „Lager V“, heute „Lager Liebenau“ genannt: 1940 in Graz als eines von fünf Umsiedlungslagern für „Volksdeutsche“ eingerichtet, wurde es ab 1941 zunehmend zum NS-Zwangsarbeiterlager.

Station auf Todesmarsch

Mit 190 Baracken und bis zu 5.000 Personen war es das größte Lager in der Stadt. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges war es auch Zwischenstation für ungarische Juden auf den Todesmärschen in die Vernichtungslager der Nazis. Historiker konnten belegen, dass 250 Juden, die im April 1945 am Präbichl in der Obersteiermark erschossen wurden, zuvor im „Lager V“ waren.

NS-Lager: „Es liegen noch welche unter der Erde“

Doch auch im Lager selbst sind Endphaseverbrechen nachgewiesen: 53 Leichen wurden nach dem Krieg auf Bestreben der britischen Besatzungsmacht auf dem Areal des Lagers entdeckt, 34 hatten Schusswunden. Der Lagerleiter, zwei Lagerführer sowie ein Lagerpolizist wurden von den Alliierten angeklagt: Zwei wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet, einer erhielt drei Jahre Haft, einer wurde freigesprochen.

Siedlung auf dem Areal

Aber das war es dann. Auf dem Gelände im Süden der Stadt, in der Nähe des Murufers, wurden eine Siedlung, Schrebergärten und ein Spielplatz errichtet, dessen Geschichte wurde vergessen und verdrängt.

Bis bei den Bauarbeiten zum Murkraftwerk 2017 dessen Reste freigelegt wurden: Heute gilt der Bereich als Bodenfundstätte, Gedenktafeln erinnern an den „Holocaust vor der Haustür“, wie Historikerin Barbara Stelzl-Marx formuliert.

NS-Lager: „Es liegen noch welche unter der Erde“

Reste wurden freigelegt

Nach weiteren menschlichen Überresten wurde lange nie offensiv gesucht doch es könnte eine Wendung geben: Vergangene Woche stießen Archäologen bei Sondierungsgrabungen auf Skelettteile in einem freigelegten Bombentrichter, zuletzt wurde auch ein Schädel gefunden.

Forensiker prüfen, doch allein der Fundort ist erstaunlich: Er liegt in der Nähe des Bereichs, den Forscher als Stelle der von den Briten 1947 exhumierten Leichen längst vermuteten.

Keine Indizien

„Das ist interessant“, merkt Stelzl-Marx an, die zum „Lager Liebenau“ geforscht hat. „Wir haben nämlich nie Hinweise gehabt, wo diese Exhumierungen der Briten stattgefunden haben.“ Auch das Zitat über weitere Todesopfer, das dem Richter zugeschrieben wird, steht nicht in den offiziellen Verhandlungsprotokollen, nur in der Zeitung.

Somit gibt es kein definitives Indiz für weitere Massengräber. „Ich kann nicht sagen, ob es noch welche gibt“, überlegt Stelz-Marx. „Aber ich kann auch nicht sagen, dass es keine mehr gibt.“ Unüblich wäre diese Vorgangsweise aber nicht gewesen: Auch in der SS-Kaserne in Graz-Wetzelsdorf wurden Opfer von Hinrichtungen in Bombentrichtern verscharrt.

Prüfung läuft

Die Grabungsarbeiten am Grünanger so heißt der Siedlungsbereich offiziell sind vorerst einmal unterbrochen. Die Stadt Graz wartet das Prüfungsergebnis des Bundesdenkmalamtes ab. Würden weitere Gebeine gefunden, würden sie exhumiert und gesichert. Baustopp für die neuen Gemeindewohnungen hieße das aber nicht.

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