Neue ÖBB-Sparpläne: "Ein erhöhtes Risiko für Menschenleben"

Koralmbahn-Übung
"Sicherheit steht bei der Koralmbahn an oberster Stelle", betonten die ÖBB vor einigen Tagen in einer Aussendung zu einer großen Übung im neuen, prestigeträchtigen Koralmtunnel. "Rund 15 Prozent der gesamten Investitionskosten flossen in die Sicherheit. Dazu zählen Notausgänge, Löschwasserleitungen, Belüftungen, Branddetektoren, Zufahrtsmöglichkeiten für Einsatzkräfte und Kommunikationssysteme." Sogar einen eigenen Rettungszug ("ÖBB-Servicejet") gibt es.
Technisch ist man damit auf dem neuesten Stand.
Anders schaut es hingegen beim Personal aus. Evakuierungen oder andere Maßnahmen werden nämlich vordergründig von den internen Einsatzleitern verfügt, doch ausgerechnet dort soll jetzt die Sparschiene hervorgeholt werden.

Einsatzleiter sind Ansprechpartner für die Feuerwehr
ÖBB-Betriebsrat sieht erhöhte Gefahren durch die Sparpläne
ÖBB-Betriebsrat Philipp Schmidhofer schickte deshalb kürzlich einen dramatischen Hilferuf an das Verkehrsministerium: "Mit den geplanten Maßnahmen geht die ÖBB Infrastruktur AG bewusst ein erhöhtes Risiko für Menschenleben, Sachwerte und Betriebssicherheit ein. Die Sicherheitsstandards werden mit diesen Einsparungen spürbar herabgesetzt."
In dem Schreiben, das dem KURIER zugespielt worden ist, heißt es, dass 36 Einsatzleiter (beziehungsweise deren Vollzeit-Äquivalente) eingespart werden sollen. "Bereits ab spätestens 01.01.2027 bleibt der Einsatzleiterstandort Wien-Floridsdorf unbesetzt. Der geplante Standort in Kirchdorf an der Krems wird nicht eröffnet (...) Weitere Einsparungen betreffen vor allem die Nachtdienste: An den Standorten Linz Hauptbahnhof (OÖ), Salzburg Hauptbahnhof (Sbg), Saalfelden (Sbg) und Wien Hütteldorf (W) werden künftig zwei Nachtdienste pro Woche nicht mehr besetzt", heißt es in dem Papier.
Folgende Standorte sind demnach ab spätestens 01.01.2027 in der Zeit von 22:00 bis 06:00 Uhr nicht mehr mit Einsatzleitern vorgesehen:
• Gänserndorf (NÖ)
• Krems an der Donau (NÖ)
• Schwarzenau (NÖ)
• Gloggnitz (NÖ)
• Mürzzuschlag (St)
• St. Michael (St)
• St. Paul im Lafanttal (K)
• Lienz (T)
• St. Valentin (OÖ)

Die Stadler-Dostos für 1700 Passagiere
"Diese Einsparungen ergeben, dass sich die Ausrückzeiten zu den Notfällen teilweise deutlich erhöhen", wird in dem Papier gewarnt. Betroffen ist auch ausgerechnet die Franz-Joseph-Bahn, wo demnächst Stadler-Doppelstock-Züge für bis zu 1700 Fahrgäste erstmals ohne Zugbegleiter eingesetzt werden sollen.
Damit muss gehofft werden, dass dem Lokführer nichts passiert bei einem Unfall, weil sonst kein ÖBB-Mitarbeiter mehr weit und breit ist, wenn Zugbegleiter fehlen und Einsatzleiter (zu) lange brauchen. Dann hat auch die Feuerwehr vor Ort keinen Ansprechpartner.
Bei der Evakuierung des ICE im Tunnel Hadersdorf dauerte es im Juli 40 Minuten ab Alarmierung, bis die Einsatzleiterin vor Ort war. Und das war die Anfahrtszeit innerhalb Wiens am Wochenende, noch ohne Einsparungspläne.
"Aktuell betreiben wir ein Netz mit 55 Einsatzleiterstandorten", sagt ÖBB-Sprecher Daniel Pinka. "Derzeit investieren wir beispielsweise rund 260 Mio. Euro in neue Rettungszüge, die europaweit modernsten ihrer Art. Auch Drohnen kommen bereits probeweise zum Einsatz, um die Einsatzleiter zu unterstützen und zu entlasten. Ein flächendeckender Einsatz ist für die kommenden Jahre geplant."
ÖBB verweisen auf veraltetes Konzept bei den Einsatzleitern
Und weiter heißt es: "Aufgrund unserer langjährigen praktischen Erfahrungen und fundierten Datenauswertungen haben wir festgestellt, dass die Standorte unterschiedlich beansprucht werden. Beispielsweise ist bei einer Regionalbahn, wo kein Zug in der Nacht fährt, das Risiko eines Einsatzes sehr gering", so der Bahn-Sprecher.
"Aus all diesen Gründen evaluieren und optimieren wir das mehr als 10 Jahre alte Einsatzleiterkonzept, um ein effizientes Notfallmanagement zu betreiben. In Summe wird es sogar zu einem Aufbau von hauptberuflichen Einsatzleitern kommen, und das bereits hohe Sicherheitsniveau steigt durch die neuen technischen Möglichkeiten weiter."
ÖBB setzen verstärkt auf Technik wie Drohnen
Pinka betont: "Aufgrund der hohen Dichte an Einsatzleiter-Standorten im Wiener Stadtgebiet und dessen Umgebung – insbesondere Wien Hauptbahnhof, Heiligenstadt, Hütteldorf, Süßenbrunn und Zentralverschiebebahnhof – und der kurzen Anfahrtswege ist der Notfallbezirk Floridsdorf innerhalb weniger Minuten erreichbar, weshalb geplant wird, den Standort Floridsdorf ab Jänner 2027 nicht mehr zu besetzen. Die Fahrzeuge der ÖBB-Einsatzleiter sind mit Blaulicht ausgestattet, wodurch es möglich ist, selbst bei starkem Verkehrsaufkommen zügig voranzukommen. Die Einsatzbereitschaft bleibt immer gewährleistet, denn etwaige Ereignisse in diesen Zeiträumen werden durch klar definierte Nachbarstandorte abgedeckt."
Gewerkschaft vida hofft auf Umdenken bei ÖBB
"Ich habe die Antwort erhalten, dass man sich um meinen Brief kümmert und es schon Anfragen zu der Thematik gibt, aber ich habe noch kein inhaltliches Antwortschreiben erhalten“, sagt Philipp Schmidhofer, der auch Sprecher des Fachbereichs Eisenbahn in der Gewerkschaft vida Niederösterreich ist, auf KURIER-Anfrage. „Wir arbeiten in einem Unternehmen, in dem Sicherheit oberste Priorität hat und gelebt wird. Ich bin nach wie vor guter Dinge, dass man diesen Spardruck standhält und man beim Thema Sicherheit nicht spart.“
Nachsatz: „Da das Management der ÖBB nach außen betont, dass bei der Sicherheit nicht gespart wird, gehe ich davon aus, dass diesbezüglich noch ein Umdenken stattfinden wird.“ Auch bei den ÖBB wird erklärt, dass es noch entsprechende Gespräche gibt.
Im Verkehrsministerium heißt es: "Das Schreiben wurde aufgrund des engen inhaltlichen Zusammenhangs mit dem laufenden Aufsichtsverfahren zum Vorfall im Tunnel Hadersdorf der Obersten Eisenbahnbehörde zugeordnet. Der darin geschilderte Sachverhalt wird im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens geprüft und entsprechend berücksichtigt."
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