ICE-Chaos im Tunnel Hadersdorf: ÖBB-Protokoll zeigt gravierende Pannen

FILE PHOTO: German train drivers' union GDL announce strike
Fast viereinhalb Stunden, davon 93 Minuten ohne Strom und WC, mussten 400 Passagiere im Juli in einem ICE im Tunnel ausharren. Die Grünen richten 26 brisante Fragen an Verkehrsminister Hanke.

Ende Juli stecken rund 400 Zug-Passagiere im Tunnel Hadersdorf in Wien fest. Nach stundenlangem Chaos wird der ICE schließlich doch noch evakuiert. Dem Grünen Abgeordneten Lukas Hammer wurde nun das interne ÖBB-Protokoll zugespielt, das auch dem KURIER vorliegt. Es zeigt eine ganze Serie von Pleiten, Pech und Pannen beim Notfall-Management, die möglicherweise zu vermeiden gewesen wäre:

"Entstörung langwierig", sagt der ÖBB-Lokführer 

Um 13.30 Uhr kommt der von den ÖBB betriebene ICE im Tunnel Hadersdorf zum Stillstand. 21 Minuten lang versucht der Lokführer zunächst selbst, den defekten Stromabnehmer zu reparieren. Danach ist er eine Viertel Stunde für die Zentrale am Hauptbahnhof überhaupt nicht erreichbar, dann gibt er durch, dass die "Entstörung langwierig" sein wird. Laut ÖBB telefonierte der Lokführer so lange mit der Störungs-Hotline. 

50 Minuten nach dem Vorfall wird schließlich der entgegenkommende ICE Frankfurt-Wien in St. Pölten gestoppt. Dieser soll mit dem defekten Zug gekoppelt werden. Um 15.03 trifft der zweite ICE im Tunnel ein. 

Um 15.27 Uhr fallen Strom und alle WC im Pannenzug aus. Mittlerweile sind zwei Stunden vergangen. 

Evakuierung? Noch immer Fehlanzeige.

ICE STEHEN GEBLIEBEN: PASSAGIERE AUS ZUG IN TUNNEL VOR WIEN GEBRACHT

ICE wurde erst nach Stunden evakuiert 

Die Abschleppung funktioniert laut Insidern offenbar nicht, weil die beiden ICE durch die spezielle Scharfenberg-Kupplung nur an geraden Stellen zusammengefügt werden können - allerdings stehen die Züge in der Kurve. Die ÖBB widersprechen aber: "Durch die Störung des Zuges kam es zu einem Luftaustritt aus der Hauptluftleitung. Dadurch war ein Vereinigen der Züge und damit das Abschleppen nicht möglich", sagt Sprecher Daniel Pinka. 

Mehr als zwei Stunden nach dem Vorfall beginnen schließlich doch die ersten Alarmierungen, aber die Einsatzleiterin benötigt fast 40 Minuten, bis sie vom Westbahnhof ankommt. Die Betriebskoordination braucht sogar mehr als doppelt so lang.

Passagiere sitzen eine halbe Stunde in ÖBB-Ersatzzug

Um 17 Uhr, dreieinhalb Stunden nach dem Vorfall sitzen die Fahrgäste bereits 93 Minuten im dunklen Zug ohne funktionierendem WC, wird erst die Räumung des ICE angeordnet. Feuerwehr und Polizei werden gegen 17.20 Uhr alarmiert. 

Bis 18.01 wird der Zug geräumt und die Passagiere steigen in einen Hilfszug. 21 weitere Minuten dauert es, bis dieser "in Kürze" abfahrbereit ist. Um 18.31 Uhr reicht es offenbar einigen Passagieren, sie verlassen den Zug und gehen vermutlich zu einem der Notausgänge. Als die Insassen nicht zu finden sind, fällt um 18.53 Uhr, fast fünfeinhalb Stunden sind mittlerweile vergangen, schließlich doch der Entschluss zur Evakuierung nach oben. 

Etwa hundert Personen verlassen offenbar in Eigenregie den Ort des Geschehens. Angeboten wird ab 19.35 Uhr ein Pendelbus nach St. Pölten. Wie viele diesen benutzen, ist aber unklar. 

Grünen-Energiesprecher Lukas Hammer

Der Grüne Lukas Hammer

Parlamentarische Anfrage der Grünen an Minister Hanke

Der Grüne Verkehrssprecher Hammer bringt zu dem Vorfall nun eine sechsseitige parlmentarische Anfrage mit 26 Fragen an Verkehrsminister Peter Hanke (SPÖ) ein: „Das uns zugespieltes Protokoll wirft neue Fragen im Fall des im Tunnel Hadersdorf steckengebliebenen ICEs auf. Interne Abläufe sowie die öffentliche Kommunikation der ÖBB erscheinen in einem anderen Licht. Mit unserer Anfrage wollen wir unseren Beitrag zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen.“

Und weiter: „Die ÖBB und die Eisenbahnaufsicht wären gut beraten, diesen Vorfall lückenlos aufzuklären. Das sind sie nicht nur den ÖBB-Kunden schuldig, sondern allen voran den Mitarbeitern, die in solchen Situationen nicht alleine gelassen werden dürfen. Daher braucht es eine saubere Aufarbeitung der Panne, um Mitarbeiter bestmöglich auf so schwierige Situationen vorbereiten zu können und die Sicherheit der Fahrgäste zu garantieren.“

ÖBB und Eisenbahnbehörde untersuchen noch 

Bahn-Sprecher Pinka betont: "Eine ÖBB-weite Taskforce arbeitet an der Aufarbeitung dieses Ereignisses. Unmittelbar nach der technischen Panne des ICE erfolgte die Anweisung, dass untauglich gewordene Triebfahrzeuge von personenbefördernden Zügen zu evakuieren sind, sollte der Triebfahrzeugführer die Fahrtauglichkeit nach spätestens 30 Minuten nicht wiederherstellen können."

Im Verkehrsministerium heißt es, dass "in einem ersten Schritt eine Sachverhaltsdarstellung an die Behörde erfolgte. Nun folgen mündliche Einvernahmen von Beteiligten, um den Vorfall umfassend und abschließend zu klären. Nur so kann der Sachverhalt in seiner Gänze erfasst und beurteilt werden."

Spannend könnte noch die Frage werden, ob ausreichend Personal für eine Evakuierung - etwa bei einem Brand - zur Verfügung steht. Im ICE sind nur ein Lokführer, zwei Zugbegleiter und zwei Mitarbeiter des Zug-Restaurants. Für die Räumung eines Flugzeugs ist ein Mitarbeiter pro 50 Passagiere vorgeschrieben. Für 400 ICE-Passagiere wären das acht Leute. 

Kommentare