Das BVT versteckte dabei für die "Stelle 5", so der geheime Code für den Mossad, den syrischen General Khaled A. Diesem besorgte der Verfassungsschutz eine Wohnung in Wien-Favoriten und half ihm - laut Anklage mit falschen Angaben - Asyl zu bekommen. Auch dem Justizministerium beziehungsweise dessen Sektionschef Christian Pilnacek wurden Informationen über die Aktion und den Aufenthaltsort des vom Bundeskriminalamt gesuchten Syrers vorenthalten.
Der General ist allerdings ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher, er soll in seiner Heimat für Folter und Erschießungen von Demonstranten mitverantwortlich sein. Eine NGO legte hunderte Seiten Beweismaterial vor. Das wollen die heimischen Agenten aber nicht gewusst haben, sie gingen von einem hochrangigen Dissidenten und dem großen Coup aus.
Wer im BVT wusste Bescheid?
Doch der Prozess bietet noch viele weitere interessante Facetten. Der einst mächtige Abteilungsleiter Martin W. etwa behauptete stets, die Führung des BVT sei nicht nur eingeweiht gewesen, sondern habe die Kooperation mit Israel sogar eingefädelt. Tatsächlich wäre es ungewöhnlich, dass ein derartig wichtiger Fall und die notwendige Vereinbarung mit dem Mossad nicht von ganz oben abgesegnet wird. Die Zeugenaussagen der BVT-Chefs Peter Gridling, Dominik Fasching und Wolfgang Zöhrer werden hier mit Spannung erwartet.
W. wird von Insidern auch als einer der möglichen Mitautoren jenes 40-seitigen Konvoluts angesehen, mit dem Innenminister Herbert Kickl und die Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKSta) später den Verfassungsschutz zertrümmerten. Es wäre wohl ein Treppenwitz der Geschichte, dass möglicherweise am Ende ausgerechnet ein Hauptinitiator des BVT-Skandals den einzigen Schuldspruch in der Causa kassiert.
Doch so weit ist es noch lange nicht. Selbst hochrangige Beamte im Sicherheitsapparat fragen: Was haben die fünf Angeklagten gemacht, außer ihre Arbeit? Ist es nicht legitim, einen hochrangigen Informanten aus einem undurchsichtigen Kriegsgebiet zu verstecken?
Manche Beobachter meinen sogar, General Khaled A. sei nach dem Syrienkrieg ein Kandidat für hohe Staatsämter gewesen, vielleicht sogar ein künftiger Präsident. Gebührt den Beteiligten gar ein Orden statt einer Anklage? Und was hätten sie anderes tun sollen als Asyl zu beantragen?
Fest steht, dass BVT-Spitzenmann Martin W. am großen Rad drehen wollte. Der langjährige Lebensgefährte einer Ministerin pflegte etwa auch beste Kontakte zu Wirecard-Chef Jan Marsalek, spielte sogar mutmaßlich eine Rolle bei dessen Flucht. Vielen in Österreichs Sicherheitsapparat würde seine Verurteilung wohl Freude bereiten. Auf der anderen Seite könnte es aber auch ein letzter großer Bauchfleck für die WKSta werden, die die BVT-Causa mit einer rechtswidrigen Razzia lostrat und bis heute keine einzige Verurteilung zustandebrachte.
Die Folgen der Hausdurchsuchungen waren aber dramatisch - Österreichs Verfassungsschutz wurde zerstört und war über Jahre international isoliert. Geheiminformationen aus dem Ausland kamen etwa beim Terroranschlag in Wien nur noch gefiltert über Umwege wie das Heeresnachrichtenamt zum Verfassungsschutz.
Ausländische Geheimdienste wollten wohl vermeiden, dass ihre Erkenntnisse - wie jetzt bei der Operation "White Milk" - in Gerichtsakten landen. Und in weiterer Folge im KURIER, der die gesamte Causa erst richtig ins Rollen brachte. Auch wenn nun der Prozess teilweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wird, der Inhalt tausender Seiten Geheimakten sind durch zahlreiche KURIER-Berichte bekannt.
Folter und Mord
In dem Trommelwirbel um den jetzigen Prozess geht allerdings das Schicksal des Generals unter. Obwohl die Folter-Vorwürfe gegen ihn seit bald sieben Jahren bekannt sind, zwei Opfer (Zeugen) in Österreich leben und ein bekannter Spitzendiplomat im Hintergrund Druck macht, gibt es bisher keine Anklage gegen Khaled A. Dem Vernehmen nach lebt er weiterhin unbehelligt in Österreich. Ein Asylaberkennungsverfahren läuft seit vielen Monaten. Spannend wird auch sein, ob der Syrer als Zeuge im aktuellen Verfahren auftritt.
Ein Urteil über die Operation "White Milk" ist jedenfalls für den 21. April geplant. Die Angeklagten bestreiten die Vorwürfe. „Ich halte die Anklage rechtlich und inhaltlich für verfehlt. Es war eine nachrichtendienstliche Operation, die für die Sicherheit des Landes Österreich nützlich ist“, sagt Ps Verteidiger Otto Dietrich.
„Der Verfassungsschutz hätte den streng geheimen Fall gegenüber Justiz-Sektionschef Pilnacek nur offenlegen dürfen, wenn der Mossad zugestimmt hätte", betont Dietrich. Schließlich seien bei dem Treffen auch Zivilpersonen anwesend gewesen. Dietrich zieht außerdem die Gefährlichkeit des Generals in Zweifel - trotz jahrelanger Ermittlungen gebe es weder U-Haft, noch eine Anklage gegen Khaled A.
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