Milliardenbetrug: Der meistgesuchte Österreicher
Der gebürtige Wiener besaß die streng geheime Formel des russischen Nervengifts Nowitschok. Er hatte beste Verbindungen zu Rechtsextremisten, Geheimdiensten und in die Politik; er traf auch mehrfach ein Mitglied des österreichischen Sicherheitsrates. Österreich spielt jedenfalls im mutmaßlichen Milliarden-Betrugsfall Wirecard eine wesentliche Rolle. Es gibt Kontakte zu einer Gruppe um den ehemals ranghohen Verfassungsschützer Martin W., der auch ein Top-Diplomat, ein Politiker sowie zumindest vier weitere Verfassungsschützer (darunter Egisto Ott) angehört haben sollen.
Mittlerweile ist Wirecard-Vorstand Jan Marsalek der meistgesuchte Österreicher. Sein Wirken wird auch im neuen Untersuchungsausschuss zum Thema werden.
Doch wer ist dieser Jan Marsalek? Und wie konnte er ein Milliardenimperium auf Sand bauen? Eine Spurensuche von Klosterneuburg über US-Blumenläden bis in die heimische Politik.
Kindheit und Jugend
Jan Marsalek wird am 15. März 1980 in Wien geboren, wächst aber in Klosterneuburg auf. Sein Vater arbeitet in Tschechien, seine Mutter ist quasi alleinerziehend. Der Großvater war Leiter der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Er besucht mehrere Schulen und lernt mehrere Sprachen. Kurz vor der Matura im Klosterneuburger Gymnasium schmeißt er alles hin und gründet 1999 eine Softwarefirma. Seine Computerkenntnisse bringen ihm ein Jahr später eine Anstellung bei Wirecard ein.
Black Friday und Poker
2003 gewinnt ein Hobbyspieler ausgerechnet mit dem bürgerlichen Namen Chris Moneymaker die Poker-Weltmeisterschaft in Las Vegas und kassiert dafür 2,5 Millionen Euro.
Die Folge ist ein Pokerboom ungeahnten Ausmaßes. Das Problem: Die US-Amerikaner würden gerne Milliardenbeträge für die Online-Zockerei einzahlen, doch das Gesetz verbietet Zahlungen an Glücksspielunternehmen. Die Lösung: Wirecard eröffnet tausende Geschäfte, vor allem Blumenläden, und lässt die Amerikaner dort für angebliche Waren zahlen. Ausgezahlt werden Gewinne mittels Schecks. Mittelsmänner stellen teilweise in Garagen den ganzen Tag nur solche Schecks aus. Das ist damals ein offenes Geheimnis in der Pokerszene.
2010 wird Marsalek Vorstand der nunmehrigen Wirecard AG. Eher ungewöhnlich ist, dass er sein Gehalt nicht einmal teilweise in Form von Aktien haben möchte.
Auf Betreiben von US-Präsident George W. Bush wurden zuvor (2006) die Glücksspielgesetze verschärft, die am 15. April 2011 mit einem unerwarteten Paukenschlag vollzogen werden. An diesem Black Friday stürmt das FBI die Firmensitze der drei weltweit größten Anbieter (Full Tilt, Pokerstars, Ultimate Bet/Absolute Poker) und sperrt deren Internetseiten. Umgerechnet mehrere hundert Millionen Euro werden beschlagnahmt. Von heute auf morgen verliert Wirecard einen großen Teil seines Geschäfts. Es wird die erste Bewährungsprobe für den Wiener Manager.
Neue Geschäfte
Marsalek und Wirecard suchen nun nach neuen Geschäftsideen. So wird etwa 2013 versucht, eigentlich nur für Staaten gedachte Spionage-Software zu kaufen. Bereits 2014 sollen erstmals Bilanzen frisiert worden sein. Das nach außen propagierte enorme Wachstum dürfte es nie gegeben haben.
Doch man will nach außen seriös wirken, schließlich ist Wirecard nun ein DAX-Konzern. Die dubiosen Geschäfte werden deshalb nach Dubai ausgelagert. Das Geschäft dort übernimmt Oliver B., der den Mitarbeitern vor allem durch rechtsextreme Ansichten in Erinnerung bleiben wird. Marsalek fällt laut Mitarbeitern intern durch zwei Dinge auf: Er stellt nur Quereinsteiger ohne abgeschlossene Ausbildung ein; und er macht sich rar in der Firma. Nähert sich ihm jemand, schlägt er sofort den Laptop zu. Er gilt als Narzisst. „Er war sehr jung, aber äußerst charmant und professionell. Ich würde ihn als Abenteurer bezeichnen, der früh in seinem Leben zu viel Geld gekommen ist und das genossen hat.“ So erinnert sich ein Insider aus dem heimischen Sicherheitsbereich im KURIER-Gespräch. Auch von Marsalek-Partys mit Sushi auf nackten Frauenkörpern ist andernorts die Rede.
Die Anwerbung
Spätestens 2015 gerät Marsalek ins Visier des russischen Militärgeheimdienstes GRU. Vermutlich 2016 wird er vom GRU angeworben. In diesem Jahr endet laut der Aufdeckerplattform Bellingcat die Überwachung durch die Russen, obwohl Marsalek regelmäßig nach Moskau reist.
Doch was macht Marsalek so interessant für die Russen? Wer die Geldströme beherrscht, beherrscht die Welt.
Russland könnte über Marsalek wichtige Informationen über Finanzströme bekommen haben – von Waffenhandel bis Bestechungsgelder. Marsalek, der mittlerweile eine Villa in der Münchener Prinzregentenstraße (Monatsmiete: 50.000 Euro) benutzt, knüpft daraufhin Kontakte zum damaligen russlandaffinen FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus. Zugleich kommt er in Kontakt mit einer Gruppe BVT-Beamter, die sich um Martin W. gebildet hat. W. ist zu diesem Zeitpunkt der drittwichtigste Mann im Verfassungsschutz. Vermutlich treffen Martin W. und Marsalek einander erstmals 2017. Berichte, wonach W. Marsalek als Informant für das BVT angeworben hat, dürften nicht stimmen, so gut informierte Kreise zum KURIER.
Die heimische Politik
Zu der Gruppe wird auch Johannes Peterlik, ehemaliger Generalsekretär im Außenministerium, gerechnet. Er steht im Verdacht, die geheime Nowitschok-Formel an sich genommen zu haben, die später in Marsaleks Besitz auftaucht.
Marsalek prahlt damit später vor Geschäftspartnern. Besonders zur FPÖ pflegt er beste Kontakte. Thomas Schellenbacher, der im Verdacht stand, dass sein FP-Nationalratsmandat mit Geld aus der Ukraine gekauft wurde, dürfte ihm später zur Flucht verholfen haben. Im Innenministerium von Herbert Kickl bekommt er einen Termin, um eine Art aufladbarer Kreditkarte vorzustellen, mit der Asylwerber ausgestattet werden könnten.
Noch davor ist Marsalek Gast und Sitznachbar von Wolfgang Sobotka, als für den damaligen Innenminister (und jetzigen U-Ausschussvorsitzenden) ein Empfang in der österreichischen Botschaft in Moskau gegeben wird. Sobotka spricht von 24 Gästen, an die er sich zum Teil nicht mehr erinnern kann.
Marsalek hat auch Kontakt mit einem ranghohen Bundesheer-Offizier, der im Sicherheitsrat sitzt. Mit diesem gibt es zumindest zwei Treffen, bei denen es um den Aufbau einer russischen Grenztruppe für Libyen geht. Damals wollte die türkis-blaue Regierung die Afrikaroute schließen. Es ist aber ohnehin eher denkbar, dass Russland im Bürgerkrieg mitmischen wollte, als Flüchtlinge in Richtung Europa mit einer teuren 15.000 Mann starken Truppe zu stoppen.
Die Wirecard-Bombe platzt, aber nur langsam. Bereits 2016 tauchen erste Verdachtsmomente auf, die Analysefirma Zatarra legt einen 100 Seiten starken Bericht vor, in dem Wirecard Betrug vorgeworfen wird. Der Aktienkurs von Wirecard fällt kurzfristig um rund ein Viertel.
Doch statt Wirecard werden die Aufdecker und weitere Whistleblower juristisch verfolgt, enthüllt eine Sky-Dokumentation. Es wird ihnen Marktmanipulation vorgeworfen. Wirecard-Vorstandschef Markus Braun sagt, wenn es Malversationen gäbe, wüsste er davon, weil er das Unternehmen komplett kenne. Mitarbeiter, die anderes behaupten, werden entlassen.
Flucht via Bad Vöslau
Indes werden in Dubai ziemlich dreist Rechnungen manipuliert, und in Indien wird ein Zahlungsabwickler für lokale Telefonanbieter hin und her verkauft, bis dieser einen Wert von mehr als 300 Millionen Euro statt ursprünglich 35 Millionen hat. Die Differenz könnte Marsalek über einen Fonds auf die Seite geräumt haben – als Notreserve.
Am 19. Juni 2020 flüchtet Marsalek mit einem viersitzigen Business-Jet via Bad Vöslau ins weißrussische Minsk, wie der KURIER aufdeckt, und trifft sich am Vorabend noch mit Verfassungsschützer Martin W. in München. Gebucht wird der Flieger angeblich von Schellenbacher. Marsalek wird von der Polizei zwar am Flughafen kontrolliert, da aber noch kein Haftbefehl vorliegt, kann er ausreisen. Die Staatsanwaltschaft München war zu langsam. Er legt Spuren in verschiedene Länder. Man hat den Eindruck, dass ein Geheimdienst dabei geholfen hat, sogar interne Dokumente philippinischer Grenzbeamten werden gefälscht. Marsalek wird vom deutschen Bundesnachrichtendienst in der Obhut des russischen Geheimdienstes vermutet. Von dort hatte er noch Monate nach seiner Flucht Kontakt – zu Martin W.
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