Migration: Frühwarnsystem mit Deutschland geplant
Dienstag im Mittelmeer, 50 Seemeilen vor der Küste der Urlauberinsel Kreta. Ein steuerloses Flüchtlingsboot, ohne Lebensmittel, ohne Wasser. 62 Migranten an Bord, 61 werden von einem Frachtschiff gerettet. Alle, außer ein vierjähriges Mädchen. Sie wird mit ihrer Mutter noch von einem Marinehubschrauber in ein Krankenhaus auf Kreta gebracht. Dort wird das dehydrierte und völlig entkräftete Mädchen für tot erklärt.
Das Mittelmeer ist eine der gefährlichen Routen, über die Flüchtlinge aus Nordafrika oder dem Nahen Osten nach Europa kommen wollen. Meist mit – zweifelhafter – Hilfe von Schleppern, oft auf alten Kuttern und Kähnen unterwegs sind.
Die meisten Asylwerber in Österreich kommen immer noch aus Afghanistan und Syrien, an dritter Stelle das nordafrikanische Land Tunesien.
Während Asylwerber aus Syrien damit rechnen können, zu einem hohen Grad in Österreich Asyl zu bekommen, ist die Wahrscheinlichkeit für Flüchtlinge aus Afghanistan mit derzeit 12 Prozent an positiv erledigten Asylanträgen sehr gering.
Keine Chance auf Asyl
Gleiches gilt auch für Flüchtlinge aus dem Norden Afrikas. Tunesien und Marokko führen hier die Statistik an, in beiden Ländern ist die Chance auf Asyl in Österreich gleich null. Zuletzt ist es immer wieder vorgekommen, dass sich aufgegriffene Tunesier als Syrer ausgegeben hätten, um größere Chancen auf Asyl zu haben.
Auch das hat kaum Aussicht auf Erfolg, weiß Gerald Tatzgern, Leiter der Abteilung zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität im Bundeskriminalamt: „Das kommt vor, aber unsere Leute erkennen den Unterschied durch Hintergrundbefragung oder Auswertung des Handys. Und Dolmetscher erkennen das am unterschiedlichen Arabisch.“
Rasche Verfahren
Laut Statistik haben heuer 5.575 Tunesier einen Asylantrag in Österreich gestellt, in Tunesien wird indes kolportiert, dass bis zu 20.000 Tunesier Österreich erreicht hätten. Tatzgern glaubt das nicht: „Bei den Tunesiern ist die Dunkelziffer gering. Sie wollen sich hier legalisieren, entgehen mit einem Asylantrag einer Festnahme und sind zumindest eine Zeit abgesichert.“
Bis Ende Juli 2022 wurden daher rund 5.300 rasche Verfahren für tunesische Asylwerber eingeleitet und etwa 3.500 entsprechende Entscheidungen über tunesische Staatsbürger getroffen. Die Quote der negativen Entscheidungen liegt bei über 99 Prozent. Aus Afrika werden derzeit in erster Linie aus Somalia und Eritrea Flüchtlinge registriert. Aus der Sahelzone und weiter südlich merken die Behörden derzeit keinen „Strom“. Allerdings sind dort viele Millionen vertriebene Menschen aufhältig, weiß Tatzgern und betont im KURIER-Gespräch: „Die Situation dort ist prekär, viele Millionen Menschen sind dort vertrieben worden.“ Was die Statistiken belegen: Laut dem jährlichen UNHCR-Bericht waren Ende 2021 mit fast 90 Millionen so viele Menschen wie noch nie zuvor gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben und auf der Flucht.
Migrationsdruck
Auch südlich der Sahelzone könne rasch ein Migrationsdruck entstehen, gemeinsam mit Deutschland wird über genaue Beobachtung von Flüchtlingsströmen versucht, ein Frühwarnsystem einzurichten und Gegenmaßnahmen vorzubereiten, schildert Tatzgern, der zusätzlich warnt: „Der Klimawandel wird zu einem weiteren Fluchtgrund werden, vor allem, wenn in machen Regionen die Süßwasserversorgung knapp wird. Wir müssen deshalb die Länder vor Ort unterstützen, die Lage dort verbessern, damit sich Menschen nicht auf die Flucht begeben.“
Neben den Indern sind in den letzten Monaten auch aus Bangladesch spürbar mehr Menschen nach Österreich gelangt. Tatzgern erklärt, warum: „Das sind hauptsächlich Wanderarbeiter. Am Balkan gibt es kaum Arbeiter, deshalb kommen diese Menschen etwa nach Serbien.“ Und weil dort bei schlechten Bedingungen kaum Geld zu verdienen sei, ziehen diese Arbeiter weiter, etwa nach Österreich. Oft mit Schleppern. „Im Norden Serbiens bemerken wir verstärkt bewaffnete Schlepperbanden, die mit großer Gewalt gegen Migranten vorgehen. Das wissen wir aus den Schilderungen von aufgegriffenen Migranten“, erläutert Tatzgern.
Die Routen der Flüchtlinge sind bekannt: Aus Indien und Bangladesch geht es leicht mit dem Flieger etwa ins visafreie Serbien. Aus Nordafrika versuchen es Flüchtlinge über das Mittelmeer – oft mit dem eingangs erwähnten tragischen Ausgang. Jene, die es schaffen, werden in Italien (Lampedusa, Sizilien) sichtbar.
Viele von weiter südlich wählen den Landweg. Etwa über Niger, Libyen, Ägypten, Jordanien, Libanon, Syrien in die Türkei. Und von dort nach Bulgarien oder Griechenland und somit in die EU.
In der Türkei sind laut Einschätzung der österreichischen Behörden über vier Millionen Flüchtlinge. Samt gut etabliertem Schleppergeschäft. Deshalb setzt Österreich gerade in der Bekämpfung des Schlepperunwesens auch auf enge Kooperation mit den türkischen Polizeibehörden, die laut Tatzgern gut funktioniere. Auch hier gelte: Hilfe und Kooperation vor Ort, damit ein Flüchtlingssog nach Europa nicht entstehe.
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