Inder in Österreich: Zwischen Kolportage, Gastro – und Abschiebung
Die meisten Asylanträge werden derzeit von Indern gestellt – ohne Aussicht auf Erfolg. Warum die Zuwanderung aus Indien gerade jetzt boomt und wie jene leben, die schon lange in Österreich sind.
Ende Juli stoppt die Polizei in Wien einen Kastenwagen. 22 Flüchtlinge finden sich im Inneren, von Schleppern hineingepfercht – allesamt aus Indien. Im Juli liegt Indien in der Asylstatistik auf dem ersten Platz. 2.113 Anträge, allein in diesem Monat, 4.136 sind seit Jahresbeginn. Für die betroffenen Inder sind die Anträge ohne Chance auf Erfolg. Im Jahr 2021 gab es – mangels anerkanntem Asylgrund – keinen einzigen positiven Bescheid.
Dass die Zahl der asylsuchenden Inder zuletzt sprunghaft anstieg (siehe Grafik), hat seine Gründe im benachbarten europäischen Ausland. Ein wirklich neues Phänomen ist die Zuwanderung aus Indien historisch gesehen dennoch nicht.
Es gibt sie seit den 1970er-Jahren – damals lebten laut Volkszählung 172 Inder hier. Wohlhabende Familien kamen zuerst, dann gab es Arbeitsmigration, vor allem aus Delhi, Kerala und Punjab. Nach und nach holten sie ihre Familien nach. Heute leben laut Statistik Austria 10.667 Inder in Österreich. Sie sind gut integriert, wie ein Blick in die Community zeigt.
Einstieg als Kolporteur
Hoshiyar Mal etwa kam 1985 im Alter von 27 Jahren allein nach Österreich. Er suchte Arbeit. „Es war mein Schicksal“, sagt er. Vorstellungen von Österreich hatte er keine. Aber Arbeit fand er schnell – als Zeitungskolporteur. „Da konnte ich Geld an meine Familie in Indien schicken.“ Später machte er sich als Marktfahrer selbstständig, seit Jahren führt er ein Bekleidungsgeschäft in St. Pölten.
Seine Kultur hat Mal nicht vergessen. Im Keller seines Hauses in Vösendorf ist ein kleiner Altar, es duftet nach Räucherstäbchen. Seine vier Kinder sind mittlerweile erwachsen. Anita (den Namen gibt es auch in Indien, Anm.), studiert Unternehmensführung. Ein Leben in Indien wäre für sie schwer vorstellbar. „Dort hätte ich als Frau nicht so viele Freiheiten, die hier selbstverständlich sein. Etwa, mir meinen Partner auszusuchen“, erzählt sie. Da meldet sich der Vater zu Wort: „Ich würde ja einen Inder bevorzugen. Er kennt unsere Kultur.“
Mal schätzt Österreich, betont er mehrmals. „Die Schönheit und die Sauberkeit.“ Österreicher seien außerdem „nett, ehrlich, hilfsbereit. Nur einmal in den vielen Jahren hat mir jemand gesagt: Geh ham!“ Österreich, sagt er, sei „ein Paradies.“
Jenen Indern, die derzeit auf der Suche nach Asyl kommen, wird es anders ergehen. Sie reisen hauptsächlich über Serbien ein, stellt das Innenministerium fest. Der Grund: Die Einreise nach Serbien, wo Indern ein hohes Gehalt versprochen wird, ist für sie visafrei möglich. Weil die Job-Chancen in Serbien in der Realität oftmals aber gar nicht so gut sind, ziehen viele Inder weiter – oft unter Bezahlung von Schleppern. Eines der ersten Zielländer ist – neben Italien – auch Österreich.
Der Gastronom
Die aktuelle Situation kennt auch Jatinder Kumar. Er sitzt im Gastgarten seines Lokals in Wien-Mariahilf. Mit seinen betagten Eltern, die gerade wegen der brütenden Hitze in Indien bei ihrem Sohn in Wien sind. Er hat sie 2001 verlassen, da war er 25. Weil er studieren wollte. Knapp zehn Jahre später hatte er sein eigenes Lokal – das „Nam Nam“. (Geheimtipp: das „Butter Curry“.)
Bis heute fliegt Kumar oft nach Indien, weiß aber: „Wenn wir in Wien sind, sind wir zu Hause.“ Den Kontakt mit der Community hält er sonntags. „In einem der Tempel treffen wir uns“, erzählt er. Da gibt es Essen und einen fröhlichen Austausch. Für den Gastwirt ist klar: „Viele Inder, die jetzt kommen, wollen aber weiter, zu Verwandten in anderen Ländern.“ Dabei könnte Österreich, meint er, die Neuankömmlinge brauchen.
Ähnlich sieht man das in der Wirtschaft: Inder könnten der unter Fachkräftemangel leidenden Industrie helfen, sagt Markus Archan von TTI Austria, einem der größten Arbeitskräfteüberlasser mit 2.500 Beschäftigten. Vor allem in der Software-Entwicklung sei die Nachfrage riesig, weshalb schon viele englischsprachige Länder in Indien Personal anwerben. Der heimischen Zeitarbeitsbranche ist das nicht erlaubt, man drängt daher auf Lockerungen: „Wir würden sofort mit der Rekrutierung beginnen.“
Kein klassischer Inder
Eine Herzensangelegenheit ist Indien für Radha Anjali, die in der Wiener Innenstadt ein Studio für indischen Tanz betreibt und die österreichisch-indische Gesellschaft leitet. „Den klassischen Inder gibt es nicht“, erzählt sie. „Es sind so viele Völker, Kulturen, Religionen und Sprachen.“ Die Gruppen bleiben auch hier unter sich.
Unter den Zuwanderern seien viele hoch qualifizierte Menschen, sagt sie. Diese arbeiten als IT-Experten oder bei internationalen Organisationen. Andere verschlägt es in den Textilhandel und zu Botendiensten. „Der breiten Bevölkerung fallen Inder nicht auf.“
Für Indien ist die „Fluchtbewegung“ übrigens kein Thema. In dem Land, das 1,4 Milliarden Einwohner zählt, fallen ein paar Tausend Flüchtlinge nicht ins Gewicht. Anders als in Ländern wie Syrien, wo ein Massenexodus erfolgte.
Abschiebungen aus Österreich gibt es kaum: Viele Inder stimmen der freiwilligen Rückführung zu, wie Zahlen des Ministeriums zeigen. 20 Ausreisen erfolgten im Vorjahr zwangsweise – 86 freiwillig.
Einwohner
Heute leben in Österreich exakt 10.667 indische Staatsbürger. Seit 2002 hat sich diese Zahl verdoppelt, damals lebten 5.047 Inder hier
6.446 Beschäftigte
Im Juli 2022 waren 6.446 Inder in Österreich beschäftigt. 326 Personen sind arbeitslos. 1.278 Inder arbeiten in der Gastronomie, 891 in der Herstellung von Waren, 598 in der Kommunikation, 470 als Erbringer von Dienstleistungen, 416 im Gesundheitswesen
Einbürgerungen
216 Inder wurden 2021 in Österreich eingebürgert
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