"So vornehm sind die Döblinger auch nicht": Zu Besuch im Bezirksmuseum Meidling
Von Semmeln aus dem Jahr 1848 und durchgestreichelten Steiff-Bären: Zu Besuch im ältesten Bezirksmuseum der Stadt und bei einer Frau, die hier ihre Berufung fand.
Seit mehr als 100 Jahren gibt es das Bezirksmuseum Meidling. Es ist damit das älteste unter den Wiener Bezirksmuseen. Seit bald 40 Jahren leitet es Vladimira Bousska. Sie und ihr Mann Hans kennen das Museum in- und auswendig. „In 100 Jahren hat sich unglaublich viel angesammelt, wir haben allein 25.000 Fotos im Archiv.“
Fünfmal ist das Museum seit seiner Gründung 1923 schon umgezogen, von Schule zu Schule. Die letzte Übersiedlung und den Umbau des heutigen Standorts in der Längenfeldgasse 13–15 koordinierte Bousska 1997. „Ein Graus“, erinnert sich die elegante Museumsleiterin mit Schaudern. „Ich wurde als Frau überhaupt nicht ernst genommen.“ Ein großer Fehler. Denn kaum jemand könnte qualifizierter sein als Vladimira Bousska.
In Brünn studierte die gebürtige Tschechin Geschichte, Kunstgeschichte und Volkskunde, dazu Museologie. Nach mehrjähriger Tätigkeit in Museen in Olmütz und Brünn kam sie mit einem Stipendium nach Wien, um auch hier Volkskunde zu studieren. So lernte sie 1968 ihren Mann Hans, einen Studienkollegen, kennen.
„Zwei Jahre später haben wir geheiratet. Als ich dann in Wien anklopfte, um eine passende Stelle zu finden, hieß es immer: ,Wissen Sie, liebe Kollegin, wir haben die Posten eigentlich nur für unsere Leute reserviert.‘“ Also konzentrierte sich Bousska die nächsten Jahre auf ihre Familie. Als die beiden Töchter im Schulalter waren und Bousska wieder mehr Zeit zur Verfügung hatte, engagierte sie sich im Bezirksmuseum.
„Ich habe mir gedacht, ich mache mich nützlich. Und so habe ich mich nützlich gemacht bis heute.“ Und das – wie das in den Wiener Bezirksmuseen üblich ist – ehrenamtlich, seit 42 Jahren. Anders, sagt sie heute, hätte sie in ihrem erlernten Beruf nicht arbeiten können. Im Bezirksmuseum hat sie ihre Berufung gefunden.
Vom Bauerndorf zum Arbeiterbezirk
Auch Hans Bousska, der selbst aus einer „alten Meidlinger Familie“ stammt, arbeitet im Museum. „Wir sind quasi unzertrennlich“, sagt er, augenzwinkernd. Meidling, erzählt die Museumsleiterin, habe sich im Laufe der Jahrhunderte vom Bauerndorf über einen Kurort zum Arbeiter- und Industriebezirk entwickelt. In Hetzendorf etwa finden sich noch heute Muschelreste im Boden – Überbleibsel der Perlmuttdrechslereien, die hier einst standen. So schön die Andenken sind, so traurig ist das Schicksal vieler, die hier einst arbeiteten und durch den eingeatmeten Muschelstaub an einer Staublunge zugrunde gingen.
Routiniert führt Bousska durch die Objekte aus der Bezirksgeschichte, die im großen Ausstellungsraum rund um einen großen Original-Feuerwehr-Spritzenwagen aus dem Jahr 1835 angeordnet sind. Von Fossilienfunden aus dem prähistorischen Meidling über das Uhrwerk der ersten Meidlinger Pfarrkirche, eine komplett eingerichtete Bürgerstube und Küche bis hin zum Fußballverein Wacker und dem alten Vergnügungspark Tivoli geht die Zeitreise. Sogar zwei kleine Semmeln aus dem Revolutionsjahr 1848 liegen in einer Vitrine. „Steinhart – aber ohne Würmer!“
In einer Vitrine mit historischem Spielzeug steht ein uralter Steiff-Bär. Bousska hat ihn einmal schätzen lassen. „Man hat mir gesagt, er ist nicht so viel wert, weil er auf dem Rücken schon ganz durchgestreichelt ist. Ich habe gesagt: ,Danke, ich will ihn eh nicht verkaufen. Gerade das macht ihn wertvoll‘“, erinnert sich Bousska.
Meidlinger Wein
Das Ehepaar lebt und arbeitet gerne in Meidling. „Es macht uns Meidlingern gar nichts aus, dass wir nicht so vornehm sind wie die im Ersten oder in Döbling. So vornehm sind die auch nicht – und die Döblinger können sich überhaupt einmargerieren, das sind Weinbauern“, sagt Vladimira Bousska und lacht.
Dabei war auch Meidling einmal ein Weinbaugebiet, erfährt man hier. Als der Ort einst dem Stift Klosterneuburg gehörte, wurde am Grünen Berg Wein angebaut. Im Archiv stieß Bousska auf ein altes Schriftstück des Stifts – demzufolge sei der Wein zwar sehr sauer, aber verkaufe sich gut. "Wissen Sie, wenn man im Archiv auch solche pikanten Details stößt, dann denkt man sich, das ist ja lustig und bleibt weiter dabei", sagt sie.
Auf die Frage nach ihrem persönlichen Lieblingsexponat im Museum muss sie nicht lange überlegen: die Herrmann-Leopoldi-Ecke. Dort finden sich Porträtfotos, Plattencover und Noten des in Meidling geborenen Komponisten und Sängers, aus dessen Feder beispielsweise „In einem kleinen Café in Hernals“ stammt. Als Jude wurde er ins KZ Buchenwald deportiert, dort schrieb er die Melodie zum Buchenwaldlied, das noch heute bei Gedenkfeiern gesungen wird. „Sein Schicksal, sein unglaubliches Können, sind einfach beeindruckend“, sagt Bousska.
Warum Bezirksmuseen für die Stadt wichtig sind? Für die eigene Identität, ist Bousska überzeugt. „Ich bin Wienerin, aber zuerst bin ich Meidlingerin. Das Konzept, stolz zu sein auf das Vergangene, das Heimatgefühl, das war früher nur dem Adel vorbehalten. Es soll aber jeder stolz sein können auf sein Grätzel.“
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