Mehr Austritte: Das moralische Vakuum in der katholischen Kirche
Statistiken haben den Vorteil, dass sie die verschiedensten Interpretationen zulassen. Wenn der Kontext passt, können auch schlimme Zahlen beschönigt werden. Im Vorjahr sind 67.583 Personen in Österreich aus der Katholischen Kirche ausgetreten. Um rund 15 Prozent mehr als im Jahr davor, aber viel weniger als im Krisenjahr 2010. Damals waren es 85.960. Ursache: die Missbrauchsdebatte.
Dementsprechend vage und schablonenhaft fallen jetzt viele der Reaktionen in den Diözesen aus. Der Eisenstädter Bischof Ägidius Zsifkovics sieht in einer lebendigen Kirche, „die Begeisterung für die Botschaft Jesu zu den Menschen bringt“, ein Gegenrezept. Der Salzburger Erzbischof Franz Lackner fordert eine „neue Glaubwürdigkeit“.
Alles Ansagen, die den Reaktionen der vergangenen Jahre ähneln. Und die letztendlich nur die Ratlosigkeit der Bischöfe deutlich machen.
Es ist zu kurz gegriffen, die Austritte auf den Konflikt in der Diözese Gurk-Klagenfurt und Missbrauchsfälle, die weltweit immer wieder auftauchen, zu reduzieren. Der Rückgang der Katholikenzahlen macht vor keiner Diözese Halt. Es ist eine gesamtösterreichische Entwicklung, auf die die Bischofskonferenz noch keine Antwort hat. Der sie bisher in der Öffentlichkeit auch noch nicht die notwendige Priorität eingeräumt hat.
Vielleicht auch, weil man sich noch in einer gewissen Sicherheit wiegt. Noch gibt es knapp fünf Millionen Katholiken in Österreich. Noch attestiert die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak, dass Österreich nach wie vor – im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern – ein sehr stark katholisch geprägtes Land ist. Und dass sich die heimischen Zahlen mit den Ergebnissen der Europäischen Wertestudie decken.
Soweit der beruhigende Teil von Polaks Reaktion auf die neueste Kirchenstatistik. Alarmierend ist ihr Nachsatz: Wenn die Entwicklung so wie bisher weitergeht, dann wird es in zehn bis zwanzig Jahren zu großen Umbrüchen kommen.
Immer mehr junge Menschen hätten ein indifferentes Verhältnis zu Religion und Kirche. Religion habe für sie immer weniger Lebensrelevanz. Was auch heißt: So wie die Katholische Kirche aufgestellt ist, kann sie diese Lebensrelevanz nicht vermitteln.
Der Fall Diözese Gurk
Der Konflikt um die Amtsführung von Bischof Alois Schwarz in Kärnten mag zwar nicht die vielen Austritte in anderen Diözesen erklären, er macht aber deutlich, was teilweise schief läuft.
5.815 Personen haben im Vorjahr die doch kleine Diözese Gurk verlassen. 2018 waren es „nur“ 3.458. Auch damals bereits ein deutlicher Anstieg gegenüber jenen Jahren, als Bischof Alois Schwarz in Klagenfurt tätig war.
Jetzt gibt es viele Interpretationen für diese Entwicklung. Die sind davon abhängig, ob man der Fraktion gegen oder jener für den Bischof angehört. Franz Lamprecht, Direktor der Finanzkammer der Kärntner Diözese, macht sogar Rom für die schlechten Zahlen verantwortlich.
Was dabei gerne beiseite geschoben wird: Es war die Art und Weise, wie der Konflikt ausgefochten wurde und wird. Da rückten die tatsächlichen Vorwürfe, die natürlich aufgeklärt werden müssen, in den Hintergrund. Da spürte man in vielen Aussagen so etwas wie Hass und Verachtung. Und das unter „Mitbrüdern“, wie sich Geistliche gerne liebevoll bezeichnen.
Rom hat damals reagiert. Einen Apostolischen Visitator und einen Apostolischen Administrator geschickt. Von der Spitze der österreichischen Bischofskonferenz kamen keine klaren Worte. Keine Mahnung, dass man innerhalb der Katholischen Kirche so miteinander nicht umgehen kann. Dass das verstörend ist, gleichgültig, welcher Seite man angehört.
Genauso sind andere Bischöfe stumm geblieben. Vielmehr hätten manche gerne andere Lösungen gesehen: Rücktritte einiger involvierter Geistlicher – bis hin zu Schwarz selbst. Um so die Diskussion loszuwerden.
In der neuen Diözese von Bischof Alois Schwarz, in St. Pölten, sind im Vorjahr 5.430 Katholiken ausgetreten. 2018 waren es 4.833.
Keine starke Stimme
Aber nicht nur im Fall Kärnten fehlte die starke Stimme aus Wien. Auch sonst ist die Bischofskonferenz nicht mehr die (moralische) Instanz, die sie einmal war. Der Kampf um die Kreuze in den Klassenzimmern wird von der Politik ausgefochten. Ohne viel Zutun der Bischöfe, um den aktuellsten Fall zu nennen. Wenn die Kirche öffentlich wahrgenommen wird, dann geschieht das fast ausschließlich nur noch über die Caritas.
Das mag alles mit dem langsamen Rückzug und den gesundheitlichen Problemen von Kardinal Christoph Schönborn zusammenhängen. Da ist ein Vakuum entstanden, das niemand der Mitbrüder auffüllen will. Möglicherweise auch aus der taktischen Überlegung heraus, dass ein Schweigen die Chancen auf eine Nachfolge erhöhen könnte.
Mit Schweigen kann man aber nicht begeistern. Vor allem nicht die Jugend. Innsbrucks Bischof Hermann Glettler hat jetzt eine Offensive für die Jugend angekündigt. Er weiß, dass Kontakte auf der Ebene der Pfarren die größte Überzeugungskraft haben. Insgesamt ist es leider zu wenig. Da muss auch der Episkopat seine Rolle in der Gesellschaft ganz neu überdenken. Am besten gleich bei der kommenden Frühjahrskonferenz der Bischöfe.
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