Max Schrems: "So macht die Corona-App wenig Sinn"
KURIER Herr Schrems, haben Sie schon die Corona-App des Roten Kreuz installiert?
Max Schrems: Ja, allein schon aus Neugier. Und als ehemaliger Zivildiener vom Roten Kreuz ist man quasi dazu verpflichtet (lacht).
Kann die Corona-App wirklich helfen? Denn derzeit muss man anderen einen Meter nah kommen und dann händisch die Daten austauschen. Wie soll das im Supermarkt gehen?
Also wie die App derzeit funktioniert, ist sie nicht nützlich. Man müsste mit Leuten ins Gespräch kommen um den „Handshake“ gemeinsam durchzuführen. Allein da ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich jemanden unwissentlich infiziere, vielleicht noch größer. Also das macht wenig Sinn. Was vorgesehen ist, dass das automatisch im Hintergrund funktioniert.
Hören Sie das ganze Interview mit Max Schrems auch in unserem KURIER daily Podcast:
Wie funktioniert der Austausch automatisch? Welche Techniken werden da eingesetzt?
Es gibt Bluetooth, Ultraschall und theoretisch könnte man auch Wifi verwenden. Die Herausforderung ist permanent zu messen wer relativ nah beieinander steht. Das ist technisch nicht hundertprozentig genau machbar. Wenn ich mein Handy in der hinteren Hosentasche habe, dann wird die Signalausbreitung anders sein, wie wenn ich sie in der vorderen Tasche meiner Hose habe. Das kann das Handy nicht genau messen. Es ist aber trotzdem viel genauer als GPS oder Tracking über das Mobilnetz. Und es ist datenschutzrechtlich besser, weil ich alle Daten am Handy selbst speichere. Ich habe nur einen lokalen Austausch zwischen zwei Handys und nicht über Netzwerke, die Regierung oder ein Unternehmen.
Können Mobilfunkbetreiber nicht schon jetzt ihre Kunden tracken? A1 liefert Bewegungsdaten an die Regierung. Wie genau sind die?
Wir haben bei Handynetzen so etwas 50 Meter Genauigkeit, dementsprechend können uns diese Analysedaten keine gute Information geben wenn wir wissen wollen ob sich jemand angesteckt hat. Es macht einen großen Unterschied ob jemand 50 Meter weit weg spuckt oder genau neben mir.
Taiwan, Singapur und Hongkong überwachen Menschen in Quarantäne per Handy. Eine Art Fußfessel. Ist das wirksam und wäre das vorstellbar?
Wirksam ist es sicher. Wenn ich eine gesetzliche Pflicht habe, zu Hause zu bleiben, muss man das auch überprüfen können. Man muss den Leuten aber nicht gleich eine Fußfessel verpassen. Es reicht aus, stichprobenartig zu prüfen, ob die Leute zu Hause bleiben. Traditionell würde die Polizei anklopfen. Wenn Leute das freiwillig mit einer App machen wollen, wäre das eine Alternative, die es für den Staat einfacher machen würde. Die Frage ist, wie dicht ich kontrolliere: Da gibt es zwischen einer App die Stichproben prüft und einer Fußfessel doch große Unterschiede. Trotzdem natürlich wäre das ein massiver Eingriff. Das müsste man sich sehr genau ansehen.
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hat letzte Woche im KURIER-Interview eine staatliche App ausgeschlossen (siehe oben). Bundeskanzler Sebastian Kurz hat dagegen schon laut über Nutzung von Big Data nachgedacht, ohne aber konkret zu werden. Welche Gefahren drohen da, wenn der Staat mehr überwacht?
Meine Angst ist nicht das Wort Big Data, sondern das Wort nachgedacht. Ich glaube nicht, dass Kurz nachgedacht hat, bevor er Big Data gesagt hat. Wenn man sich überlegt, wo Big Data sinnvoll sein kann, dann kann das bei der Forschung, Statistiken, bei medizinischen Fragen ein Tool sein. Bei Tracking brauchen wir nicht Big Data, sondern Small Data wo wenige Daten lokal gespeichert werden. Es besteht durchaus eine Gefahr, dass jetzt staatliche Überwachungssysteme eingeführt werden, die wir danach nie wieder los werden.
Also brauchen wir kein Big Data?
Ich glaube es war ein Fehler, gleich von Big Data zu reden, ohne sich zu überlegen, was die Ziele einer Anwendung wäre. Wenn die Leute die Angst vor „Massenüberwachung“ bekommen, werden sie auch bei sinnvollen Dingen wie Contact Tracing nicht mitmachen. Man muss auch realistisch sein: Wenn die Handys vom Staat getrackt werden, dann lassen die Leute eben die Handys zuhause. Wenn am Ende die Leute sagen, ich fühle mich dauerüberwacht, dann haben wir nichts erreicht außer einen Abbau unserer Grundrechte.
Müssen App-Ersteller ihren Quellcode offenlegen? Damit man nachvollziehen kann, wie die App Daten verarbeitet und speichert?
Ja absolut. Wir haben uns inzwischen weltweit 12 Apps angeschaut. Und das ist es Standard, dass der Quellcode offen gelegt wird. Das ist glaube ich bisher ein Fehler beim Roten Kreuz. Man kann deren App nicht öffentlich empfehlen, wenn man die Code nicht anschauen kann. Es ist ein bisschen ein Problem, dass hier eine private Firma engagiert wurde. Wenn ich eine Volks-App haben will die auch die Regierung empfielht, dann muss die einfach höheren Standards entsprechen. Dazu gehört, dass der Code überprüfbar ist. Auch das derzeit bei Microsoft gehostet, könnte ein Problem sein. Nach den amerikanischen Gesetzen könnte der amerikanische Staat zugreifen.
Besteht die Gefahr, dass wir mit der Corona-Bekämpfung auch unsere freie Gesellschaft über Bord werfen?
Das Problem ist die gute alte Salami-Taktik – da hat die Politik in den letzten 20 Jahren selbst das Misstrauen bestätigt. Jedes Mal angefangen bei der Rasterfahndung bei der Briefbombenserie bis hin zur Fußball-Europameisterschaft sind stets neue staatliche Ermächtigungen gekommen, wo es geheißen hat, die sind nur temporär. Nachher sind sie natürlich geblieben. Das ist bei einer lokalen App einfacher, weil die lösche ich wenn ich sie nicht mehr will. Deswegen ist eine App-Lösung sinnvoller als Netzwerkanalysen oder Big Data Projekte, denn bei zentralen Datenanwendungen kann der einzelne Bürger nicht mehr eingreifen.
Wie kann uns Big Data dennoch helfen die Corona-Krise zu überstehen?
Big Data ist ja ein PR-Wort. Vieles was jetzt als Big Data bezeichnet wird, ist eine bessere Excel-Liste. Da lacht jeder Techniker. Es ist daher schwierig zu beantworten, was Kurz mit Big Data gemeint hat. Das kann alles bedeuten. Es gibt medizinische Anwendungen, wo man auswertet, welche Behandlung funktioniert und welche nicht. Oder welche Altersgruppen gefährdet sind. Wie sehr das alles schon Big Data ist, oder in Wirklichkeit eine ziemlich banale Statistik sei dahingestellt.
Kann es beim Finden von Impfstoff helfen? Dass die einzelnen Forschungsinstitute ihre Daten austauschen?
Da bin ich zu wenig Mediziner, um das genau beurteilen zu können. Generell sind „Open Data“-Ansätze und Kooperationen natürlich Gold wert. Das gilt auch für die Corona-Apps. Derzeit haben wir über 12 Apps von verschiedenen Entwicklern. Wenn die alle an einer App zusammenarbeiten würden, dann hätten wir Ende der Woche eine App für die ganze Welt verfügbar.
Wichtig sind auch aktuelle Daten von Infizierten, Kranken im Spital, die Auslastung der Intensivstationen sortiert nach Bezirk. Aber gerade da hakt es in Österreich, hier gibt es jeden Tag andere Zahlen. Haben wir da Nachholbedarf?
Natürlich ist „Open Data“ noch eher ein Fremdwort hier. Aber auch ist vieles nicht Big Data sondern einfache Statistik. Das hat auch mit Datenschutz nichts zu tun, wo wie viele Beatmungsgeräte sind. Aber hier muss man auch etwas Nachsicht haben, das jetzt gerade nicht alles perfekt ist.
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