So funktionierte Jan Marsaleks Spionage-Netz in Österreich
Drei Männer sollen Staatsgeheimnisse Österreichs an den russischen Inlandsgeheimdienst FSB verkauft haben: Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek, der Ex-Abteilungsleiter im Verfassungsschutz, Martin Weiss, und der Ex-Verfassungsschützer Egisto Ott, der seit Montag wegen Spionageverdachts in U-Haft sitzt. Seine Festnahme zeigt einmal mehr, wie der nach Moskau geflohene Marsalek offenbar von dort aus seine Agenten losschickte – bis in eine Wohnung nach Floridsdorf.
Eine KURIER-Recherche über einen Direktor in Moskau, einen Vollstrecker aus einem 6.000-Einwohner-Dorf in Kärnten und einen Ex-Abteilungsleiter, der zum „Freund“ der Russen wurde.
Jan Marsalek
Der Dirigent, der in Moskau sitzt
Familienname: Marsalek. Vorname: Jan.
Geboren am 15.03.1980 in Wien. Staatsangehörigkeit: österreichisch. Geschlecht: männlich. Größe ca. 180 cm. Sprachen: deutsch, französisch, englisch.
Äußere Erscheinung: europäisch, schlanke Statur, braune Augen.
So zu lesen auf der Homepage des deutschen Bundeskriminalamts unter dem Punkt Fahndungen. Und noch ein Wort steht dort: Betrug.
Einer der meistgesuchten Männer weltweit
Jan Marsalek, einer der meist gesuchten Männer weltweit, war einst Vorstand des Finanzkonzerns Wirecard. Ein Dax-Unternehmen, das zu seiner besten Zeit zu den 30 wichtigsten und wertvollsten in Deutschland zählte. Bis zu jenem Augenblick, als die Finanzblase platzte. Sich herausstellte, dass Milliarden an Transaktionen wohl fingiert waren und einer der größten Wirtschaftsskandale in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands seinen Lauf nahm.
Flucht von Bad Vöslau
Am 18. Juni 2020 räumte Wirecard schließlich ein mögliches Bilanzloch von 1,9 Milliarden Euro ein. Einen Tag später war Jan Marsalek verschwunden. Geflüchtet vom Flugplatz in Bad Vöslau aus. Über Minsk, bis nach Moskau.
Bevor Marsalek untertauchte, tauchten in seinem Leben bereits Jahre zuvor andere Protagonisten auf, die ab diesem 19. Juni eine wichtige Rolle spielen sollten.
Auftritt 1: Russischer Inlandsgeheimdienst FSB. Seit dem Jahr 2014 soll, so zeigen es Recherchen des deutschen Nachrichtenmagazins Spiegel, der Schulabbrecher Marsalek für die Russen spioniert haben, die ihm nach seiner Flucht Unterschlupf und gleich mehrere Identitäten verschafft haben sollen.
Auftritt 2: 2015 kommt ein weiterer Mann in das Leben Marsaleks: Martin Weiss, damals Abteilungsleiter im Verfassungsschutz, der zu dieser Zeit noch Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, kurz BVT, hieß. Weiss Kerngebiet – ausgerechnet – Spionageabwehr. 2017 scheidet Weiss aus dem BVT aus und heuert 2018 als „Berater“ bei Wirecard an. Marsalek dürfte Weiss aber bereits zu diesem Zeitpunkt als seine Eintrittskarte zu Top-Secret-Informationen gesehen haben, die er an die Russen weitergab.
Denn mit Weiss erhält Marsalek nicht nur einen heimischen Verfassungsschützer für sein Spionagekonstrukt, sondern gleich einen zweiten dazu: Egisto Ott. Denn BVT-Mann Weiss lässt offenbar für Marsalek Putin-Gegner durchleuchten – über seinen einstigen Mitarbeiter und mutmaßlichen Maulwurf der Russen, Egisto Ott.
Bulgarische Agenten
Den Marsalek, so zeigen es Chatauswertung, noch bis zumindest November 2022 von Russland aus dirigiert haben soll. In einer Wohnung in Wien Floridsdorf, die einem Verwandten von Ott gehörte, sollen nicht nur drei Handys von Innenministeriumsmitarbeitern übergeben worden sein, sondern auch ein Laptop, der streng vertrauliche Inhalte entschlüsseln kann.
Als Boten fungierte wohl eine Agententruppe aus Bulgarien, die im Zusammenspiel Marsaleks Jagd auf den bis 2023 in Österreich lebenden, russlandkritischen Investigativjournalisten Christo Grozev machen sollte. Wo Grozev wohnte, soll Egisto Ott für die Truppe abgeklärt haben. Mindestens 309 illegale Abfragen ließ Marsalek in Polizeidatenbanken einholen. Klar ist: Marsalek ist in dem Fall ein Dirigent, der von Moskau aus die Fäden zieht.
Egisto Ott
Der Vollstrecker, der aus Kärnten kam
Der 1. April ist scheinbar ein besonderer Tag für Egisto Ott. Am 1. April des Jahres 1982 trat der gebürtige Kärntner in den Polizeidienst ein. 42 Jahre später ist es erneut ein
1. April, der für Ott zum ereignisreichen Tag werden soll.
Das Wiener Landesgericht für Strafsachen verhängt an diesem Tag über ihn wegen Spionageverdachts die Untersuchungshaft.
Egisto Ott, ein klingender Name in der Geheimdienstszene und einer, der seit Jahren immer wieder im Zusammenhang mit möglicher Spionage für Russland auftaucht.
Noch klingender sind allerdings die Alias-Namen, die sich der heute 61-Jährige während seiner Zeit im Ausland gab.
Giovanni Parmigiano ab 2001, als er für acht Jahre als Verbindungsbeamter an der Österreichischen Botschaft in Rom weilte. Von 2010 bis Dezember 2012 folgte ein Aufenthalt als Attaché an der Botschaft in der Türkei. Unter dem Decknamen Ernesto Zanetti. Es soll auch jene Zeit gewesen sein, als Ott angeblich von russischen Spionen angeworben wurde.
Im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), in das Ott schließlich als Mitarbeiter von Martin Weiss zurückkehrte, enden diese Umtriebe im Jahr 2017 in einer Anzeige. Eingebracht von niemand Geringerem als Ex-BVT-Chef Peter Gridling am 21. November 2017.
Achse Weiss - Ott
Gridling, Weiss, Ott: Sie alle kannten sich aus ihrer Zeit bei der BVT-Vorgängerorganisation Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (EBT).
2017 soll Gridling den Hinweis von ausländischen Geheimdiensten erhalten haben, dass sich Ott geheime Infos aus dem Verfassungsschutz angeeignet und an die Russen weitergegeben haben soll. So der Vorwurf. 2017 schied Ott aus dem BVT aus. Seither ermittelte die Staatsanwaltschaft immer wieder gegen ihn. 2018 tauchte Otts Name plötzlich wieder auf. Er soll hinter einem Konvolut stecken, das den Ruf des BVT massiv beschädigt und schließlich zur skandalträchtigen BVT-Razzia geführt haben soll.
2021 kam es zu einer Hausdurchsuchung bei ihm. Ebenso wie beim EX-FPÖ-Abgeordneten Hans-Jörg Jenewein. Die Vermutung: Die FPÖ soll Ott für Informationen aus dem BVT bezahlt haben. Die Partei und Ott bestreiten dies. Ott wurde für sechs Wochen in U-Haft genommen.
Handys und Laptop
Die Vorwürfe im Jahr 2024? Ott soll drei Handys von Innenministeriumsmitarbeitern und einen Laptop mit streng vertraulichen Informationen an die Russen verkauft haben. Dirigiert von Jan Marsalek, über eine Bunker-Wohnung in Wien.
Ott, er soll so etwas wie ein Vollstrecker gewesen sein. Marsalek oder Weiss äußerten Wünsche zu Infos, der gebürtige Kärntner aus der 6.000-Einwohner-Gemeinde Paternion, soll sie Realität werden haben lassen. Weiss wünscht etwa Infos über Putin-Gegner, Ott soll sie geliefert haben. Details, die aus geheimen Datenbanken abgezapft worden sein sollen, oder die sich der 61-Jährige illegal über den Rechtshilfeweg aus Italien und Großbritannien beschafft haben soll.
Ein angebliches Teilgeständnis, das Ott abgelegt haben soll, wurde am Dienstag vom Landesgericht für Strafsachen Wien auf KURIER-Nachfrage dementiert. „Herr Ott war zum Kern der Vorwürfe gegenüber dem Journalrichter nicht geständig.“
Martin Weiss
Der „Freund“, der in die Wüste ging
Fotos sind Mangelware von Martin Weiss. Auf den wenigen, die es gibt, ist ein hagerer Mann mit Brille, Igelfrisur und Drei-Tage-Bart zu erkennen.
Wie Egisto Ott stieß der gebürtige Niederösterreicher im Jahr 1982 zur Polizei. Am Anfang ging die Karriere steil nach oben. Beruflich und privat. Eine ehemalige Ministerin war seine Lebensgefährtin, im BVT schaffte er es bis zum Abteilungsleiter der Spionageabwehr. Hochsensible Informationen ausländischer Dienste, Weiss kannte sie alle.
Fluchthelfer
2015 dann offenbar der erste Kontakt zu Jan Marsalek. Dieser soll zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem Jahr für Russland spioniert haben. Weiss soll die Eintrittskarte für Marsalek in den heimischen Verfassungsschutz und dessen Geheimnisse geworden sein. Gemeinsam sollen sie offenbar im Auftrag Russlands sogar eine Spionage-Zelle geplant haben, die den heimischen Verfassungsschutz unterwandern sollte.
Als Weiss schließlich 2017 aus dem BVT ausschied, heuerte ihn der Wirecard-Manager Marsalek als Berater an. Weiss’ Name tauchte aber auch im Zusammenhang mit jenem Konvolut auf, das den Ruf des Verfassungsschutzes schädigte und zur skandalträchtigen Razzia führte.
Und noch eine entscheidende Rolle soll Weiss für Marsalek gespielt haben: Er soll sein Fluchthelfer nach der Wirecard-Pleite von Bad Vöslau aus über Minsk bis nach Moskau gewesen sein.
Evakuierung
Ein Gefallen, dem ihn Marsalek offenbar nicht vergisst. Dies belegen Chatnachrichten zwischen Marsalek und einem bulgarischen Agenten, der ebenfalls für die Russen spioniert haben soll, die vom britischen Geheimdienst abgefangen worden sein sollen. Marsalek nennt Martin Weiss nicht namentlich, sondern spricht nur von „unserem Freund“, dessen „Evakuierung“ nach Dubai er organisiert haben will.
Der Agent versteht offenbar auch so. Und Weiss verschwand tatsächlich aus Österreich. Offenbar nach Dubai, wo er vor der heimischen Justiz in Sicherheit ist. Denn mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) gibt es kein Auslieferungsübereinkommen. Weiss soll mittlerweile zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben worden.
In Sicherheit dürfte sich der einstige BVT-Abteilungsleiter wohl auch wiegen, weil er über jede Menge liquide Mittel verfügen soll. Eine Art Sicherheitsgarantie in Dubai.
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