Leben mit Brustkrebs: "Beim Rutschen denkt man nicht ans Sterben“
Martina Racz ist 42, Mutter zweier Töchter und wohnt mit ihrer Familie in Wels (OÖ). 2019 erkrankte sie an Brustkrebs. Ende Juli erscheint nun ihr Buch darüber.
KURIER: Sind Sie geheilt?
Martina Racz: Geheilt nein. Das gilt man erst nach fünf Jahren. Derzeit bin ich krebsfrei. Geheilt hat auch kein Arzt jemals zu mir gesagt.
Wie haben Sie den Krebs bemerkt?
Durch Zufall. Meine Brüste haben ein bisschen gezogen. Ich habe geglaubt, es ist etwas Hormonelles. Die Hausärztin schickte mich zur Sicherheit zum Ultraschal und dann war da dieser 1,5 Zentimeter große Tumor. Das war 2019 Ende Juli. Ich habe mich auch nie abgetastet. Hätte ich es getan, wäre ich früher draufgekommen.
In Österreich erkranken jedes Jahr rund 5.600 Frauen an Brustkrebs, etwa 1.600 sterben an den Folgen. Damit ist Brustkrebs die häufigste Krebserkrankung und häufigste Krebstodesursache bei Frauen. Aber auch Männer können davon betroffen sein. Eine Früherkennung kann Leben retten.
Da Brustkrebs im frühen Stadium oft schmerzlos ist, gilt es, die eigenen Brüste unter Beobachtung zu halten. Bei Rötungen, Entzündungen, Formveränderungen oder Verhärtungen des Gewebes, sollte man deshalb besser einmal zu viel als zu wenig den Arzt aufsuchen. Immerhin mehr als 50 Prozent aller Brustkrebs-Erkrankungen werden jedoch durch die Frauen selbst entdeckt, weshalb eine regelmäßige Selbstuntersuchung das A und O ist.
Die setzt sich aus zwei Teilen zusammen.
In einem ersten Schritt sollte man die Brust im Spiegel betrachten. Hände in die Hüfte stemmen, nach oben strecken, sich nach vorne beugen – fällt einem dabei eine Formveränderung, Delle oder Ähnliches auf, sollte man wachsam sein.
Im zweiten Schritt die Brust mit der einen Hand anheben und mit der anderen Hand mit vorwärtsstreichenden Bewegungen die Brust abtasten. Danach in kreisförmige Bewegungen – beginnend unter der Achsel – übergehen und spiralförmig die Brust von außen nach innen bis zur Brustwarze abtasten. Auch diese untersuchen. Besonders gut funktioniert es unter der Dusche mit Seife.
Was war Ihre Diagnose?
Triple negatives Mammakarzinom. Das mit der schlechtesten Prognose, weil dagegen nur die Chemotherapie eingesetzt werden kann. Ich habe gewusst, wenn ich nichts tue, sterbe ich.
Ist man dann vom eigenen Körper enttäuscht?
Enttäuscht nicht, aber das Vertrauen verliert man nachhaltig. Eigentlich glaubt man, wenn ich so etwas Lebensbedrohliches habe, dann müsste man das doch merken.
Sie hatten dann eine Chemotherapie und eine Operation, bei der Sie sich beide Brüste abnehmen und durch Implantate ersetzen ließen. War dieser Schritt für Sie von Anfang an klar?
Ja. Ich hatte nur noch relativ wenig Bezug zu meiner Brust. Ich habe dem auch nie nachgetrauert. Ich wollte Risiko minimieren.
Sie teilten all das über soziale Medien. Warum?
Zum einen, weil ich verzweifelt nach Erfahrungen gesucht habe. Nach Leuten, bei denen es gut ausgegangen ist. Zum anderen, weil andere Mamas meine Kinder gefragt haben, wie es mir denn gehe. Das habe ich ganz schlimm gefunden. Ich habe dann entschieden, es öffentlich zu machen. Der Zuspruch auf Social Media hat mich überrollt, im positiven Sinne.
Sie haben dann begonnen die Dinge aufzuschreiben. Daraus ist ein Buch entstanden. Was ist ihre Botschaft?
Das Buch heißt „Eine von Acht“. Also eine von acht Frauen erkrankt an Brustkrebs. Das ist viel. Meist sind nur Extreme bekannt. Mütter die daran sterben oder Promis, die so tun als wäre nichts gewesen. Beides ist nicht normal. Ich will, dass Frauen wissen, dass es mit der OP nicht vorbei ist, und die Chemo Spätfolgen hat. Viele denken, sobald die Haare wieder wachsen, ist man eh gesund.
Autorin: Martina Racz
Titel: „Eine von Acht – Mein Leben mit Brustkrebs“
Verlag: Verlag am Rande
Umfang: ca. 220 Seiten
Kosten: 22 Euro
Erhältlich ab Ende Juli im Internet oder in jeder guten Buchhandlung
Wie ist es Ihnen ergangen, als die Haare ausfielen?
Ich war vorbereitet, hatte eine Perücke. Aber wie es dann so weit war und ich die Haare einfach so rausziehen konnte, war es schlimm. Bis dahin hatte man den Krebs ja nicht gesehen. Am nächsten Tag rasierten wir sie ab.
Und welche Spätfolgen tragen Sie mit sich herum?
Ich habe taube Zehen auf einem Fuß und in der Früh wahnsinnige Gelenksschmerzen. Das Schlimmste ist, dass die Chemo meine Eierstöcke abgeschossen hat. Ich bin im Nachwechselzustand und das ist mental gar nicht so leicht, auch ohne Kinderwunsch.
Holten Sie sich psychologische Hilfe?
Ich hätte es ohne nicht geschafft. Bei mir war es aber auch speziell. Gleich nach der OP war Corona. Wir sind von dieser einen Ausnahmesituation in die zweite gerutscht. Da bin ich dann schon wirklich in ein Loch gefallen.
Haben Sie sich jetzt wieder ins Leben eingefunden?
Ja schon. Aber dieser Krebs hat einfach alles verändert. Von der Familie angefangen, über das Arbeitsleben bis hin zur finanziellen Situation. Am Anfang glaubt man ja, man macht die Therapie und danach ist alles so wie vorher. Aber dem ist nicht so.
Wie hat Sie der Krebs charakterlich verändert?
Ich bin viel emotionaler, aber auch viel härter geworden. Ich halte mich nicht mehr so lange mit Sachen auf, die mir nicht guttun.
Hat der Krebs also auch etwas Gutes gebracht?
Eigentlich ist ganz viel positiv. Allein dass ich ein Buch schreiben durfte. Ich hätte auch nie erfahren, wie viele Leute mich lieb haben. Ich bin auch dankbar, dass es so ist, aber ich werde nie dem Krebs dankbar sein. Ich hätte es gerne anders gelernt.
An wen soll sich das Buch richten?
An alle Frauen, sich abzutasten und zur Mammographie zu gehen. Aber auch an Angehörige. Oft sagen die sehr unüberlegt Sachen, die einen verletzen. Ich glaube, das ist oft Hilflosigkeit. Ich schreibe aber auch über Dinge, die mir gutgetan haben. Zum Beispiel, wenn jemand gesagt hat, dass meine Kinder bei ihnen immer willkommen sind. Und dann ist das Buch natürlich für Betroffene. Ich glaube schon, dass es ein Mutmacher ist, weil es die Geschichte von einer 08/15-Frau ist, die es auch geschafft hat.
Tipps für Leidgenossen?
Den Austausch mit anderen suchen. Und sich ganz viel medizinisch informieren. Man muss sich da schon oft auf die Füße stellen. Der Arzt hat nur wenig Zeit und manchen fehlt es an Empathie. Für die ist Krebs Alltag, für mich ist es eine Katastrophe – und ich glaube, das ist Ihnen oft nicht bewusst.
Wir war das Schreiben?
Zum Schluss musste ich mich oft wieder in Situationen hineinversetzen. Zum Beispiel wenn ich an die Chemo-Infusion denke, bekomme ich noch immer diesen salzigen Geschmack im Mund. Seither kann ich auch keinen Aperol mehr trinken, weil der die gleiche Farbe hat.
Gab es einen Moment, der besonders in Erinnerung blieb?
Ja. Einen Tag vor der Chemo fuhren wir Baden. Wir standen noch unter Schock. Und dann bin ich gerutscht und das war so cool, weil ich draufkommen bin: Wenn man rutscht, denkt man nicht ans Sterben. Das ist keine Mega-Erkenntnis, aber vielleicht sind diese argen Gefühlssprünge das Einschneidendste für mich gewesen.
Wie oft sind sie dann gerutscht?
Fast den ganzen Tag. Danach waren wir lange nicht mehr schwimmen.
Denkt man tagtäglich ans Sterben?
Eigentlich ja. Auch jetzt noch. Ich plane auch nicht mehr. Es ist ein Leben im Dreimonatstakt. Also, wenn ich von der regelmäßigen Kontrolluntersuchung ohne Befund komme, dann ist wieder drei Monate Leben.
Können Sie es dennoch genießen?
Ja. Das war auch während der Akuttherapie so. Mein Leben war immer lebenswert. Es gab keinen Moment, wo ich mir dachte, dass es sich nicht ausgezahlt hätte. Jetzt ist meine Bonuslebenszeit.
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