"Latente Terrorgefahr": Kickl verlängert Grenzkontrollen
Kommende Woche erhalten alle EU-Innenminister, Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans und der Präsident des EU-Parlaments brisante Post von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ). In dem Schreiben, das dem KURIER vorliegt, wird eine Verlängerung der Grenzkontrollen zu Ungarn und Slowenien über den 12. Mai 2019 angekündigt (das gesamte Schreiben ganz unten im vollen Wortlaut). Gegenüber dem KURIER betont Kickl, dass dies in der Koalition vereinbart sei, weil "der Druck auf Mitteleuropa (durch illegale Grenzübertritte) nicht geringer werden wird".
Kickl sieht laut Brief „keine andere Möglichkeit“, da die EU-Außengrenzen nicht ausreichend geschützt werden. "Insbesondere Schlepperorganisationen würden den Verzicht auf Binnengrenzkontrollen als falsches Signal verstehen und ihre Aktivitäten intensivieren!, schreibt Kickl.
Die Aufgriffszahlen gingen zwar zuletzt zurück - von rund 28.000 im Jahr 2017 auf rund 21.000 im Vorjahr -, laut Innenminister seien diese aber "nach wie vor zu hoch". Außerdem sieht Kickl eine "latente Terrorbedrohung durch den Terrorismus in der gesamten Europäischen Union", Grenzkontrollen würden "der Einreise potentieller Gefährder vorbeugen". Ein weiteres Sicherheitsrisiko sei "der Schmuggel von Tatmitteln (z.B. Waffen vom Westbalkan). Grenzkontrollen würden hier einen "zusätzlichen Sicherheitsgewinn" bringen.
Der Innenminister beruft sich außerdem auf "Social-Media-Analysen", dass es verstärkt Suchanfragen zur östlichen Mittelmeerroute über die griechische Region Evros gibt.
In der Vergangenheit gab es bei Verlängerungen stets Proteste, vor allem auch aus Slowenien, das keinen Grund dafür sieht. Betont wird dort, dass Slowenien ohnehin die EU-Außengrenze überwache. Diese Kontrollen würden nur dafür sorgen, dass die Slowenen glauben, dass ihnen Misstrauen entgegengebracht wird. Auch EU-Präsident Jean-Claude Juncker gilt als Freund von offenen Binnengrenzen im Schengenraum. Er ist aber nicht Empfänger des Kickl-Schreibens, sondern sein Vize Timmermans.
Das Schreiben im Original:
Sehr geehrter Herr Vizepräsident der Kommission!
Sehr geehrter Herr Kommissar!
Sehr geehrter Herr Präsident des Europäischen Parlaments!
Sehr geehrter Herr Generalsekretär des Rates!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die österreichische Bundesregierung hat die Entwicklungen der letzten Monate im Bereich Migrationsbewegungen Richtung Europa, der Sekundärmigration im Schengen-Raum und der inneren Sicherheit eingehend beobachtet. Aufgrund nach wie vor zu hoher Zahlen von Aufgriffen illegal eingereister bzw. aufhältiger Personen gerade im Zuge der Kontrollen sowie der verschärften Ausgleichsmaßnahmen kommt die österreichische Bundesregierung zum Schluss, dass die Lage nach wie vor nicht ausreichend stabil ist und der Schutz der Außengrenze noch nicht hinreichend effektiv durchgeführt wird. Dies ist die Grundvoraussetzung, um die Freizügigkeit im Inneren des Schengen-Raumes wieder zu ermöglichen. Aus diesem Grunde wird Österreich Binnengrenzkontrollen zu Slowenien und Ungarn auch nach dem 12. Mai 2019 durchführen. Insbesondere Schlepperorganisationen würden den Verzicht auf Binnengrenzkontrollen als falsches Signal verstehen und ihre Aktivitäten intensivieren.
Österreich ist sich durchaus bewusst, dass Binnengrenzkontrollen nur als letztes Mittel eingesetzt werden sollen, sieht jedoch in der gegenwärtigen Lage nach Beobachtung und Analyse der Lageentwicklung an den betroffenen Binnengrenzabschnitten keine andere Möglichkeit, da nur diese den österreichischen Grenzkontrollorganen das Instrument der Zurückweisung in den Nachbarstaat ermöglicht. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Türkei und Griechenland ist es nicht zu erwarten, dass sich eine signifikante positive Änderung der Lage kurzfristig ergeben wird. Das Bestreben, perspektivisch zu einem Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen zurückzukehren, wird ausdrücklich unterstützt. Wann dies möglich ist, bleibt der Entwicklung der Gesamtlage vorbehalten.
Österreich wird weiterhin die Kontrollmodalitäten so gestalten, dass diese der Bedrohungslage gegenüber verhältnismäßig sind und den grenzüberschreitenden Reise- und Warenverkehr möglichst wenig nachteilig beeinträchtigen.
Auch die latente Bedrohung durch den Terrorismus in der gesamten Europäischen Union gebietet entsprechende Kontrollen, um der Einreise potentieller Gefährder vorzubeugen. Die europaweite Terrorismusbedrohungslage – Rückkehr von Foreign Terrorist Fighters aus den Kampfgebieten im Zusammenhang mit der militärischen Niederlage des IS in Syrien und im Irak – stellt ein entsprechendes Gefahrenpotential für die Nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung dar. Solche Personen könnten etwa über den Westbalkan zurück nach Zentraleuropa gelangen. Ein weiteres imminentes Sicherheitsrisiko stellt der Schmuggel von Tatmitteln (z.B. Waffen vom Westbalkan) dar, weshalb Grenzkontrollen zu Slowenien und Ungarn aufgrund der dadurch erzielten Filterwirkung einen zusätzlichen Sicherheitsgewinn erbringen. Darüber hinaus versuchen der IS und andere terroristische Gruppen weiterhin, Flüchtlings- und Migrantenrouten zu nutzen, um Personen nach Europa zu bringen, die terroristische Anschläge vorbereiten, begehen oder an diesen mitwirken sollen.
Die von der Europäischen Kommission empfohlene Intensivierung polizeilicher Kontrollen und bilateraler Kooperationsmaßnahmen in den Grenzgebieten wird ausdrücklich begrüßt und ist in Österreich mit allen Nachbarstaaten seit Jahren gelebte und bewährte Praxis. Zur Anwendung kommen diese verschärften Ausgleichsmaßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Migration und zur Verhinderung der Einreise möglicher Terroristen abhängig von Lagebildern zu allen unseren Nachbarstaaten. Allerdings sind diese Instrumentarien mit Blick auf die derzeitige Situation an der österreichisch-ungarischen und der österreichisch-slowenischen Grenze kein ausreichender Ersatz für temporäre Binnengrenzkontrollen.
Jüngste Entwicklungen auf dem Westbalkan geben zudem Anlass zur Sorge. Es bedarf konkreter Maßnahmen, um Ereignissen wie im Jahr 2015 rechtzeitig vorzubeugen. Entlang der Balkanrouten sind die illegalen Grenzübertritte und Aufgriffszahlen im Steigen begriffen. Bei den steigenden Aufgriffszahlen können Bosnien-Herzegowina und Nord-Mazedonien hervorgehoben werden. Gleichzeitig weichen Migranten über Bosnien-Herzegowina aus, um ihre Reise weiter in den Schengen-Raum fortzusetzen. Trotz aller Bemühungen sind in den betroffenen Ländern des Westbalkans weiterhin erhebliche Mängel bei der Rückübernahme und Rückführung von Migranten sowie bei Ressourcen, insbesondere Aufnahmekapazitäten festzustellen. Auch die andauernde Verlegung vieler tausender Migranten von den griechischen Inseln auf das griechische Festland lässt nicht nur erwarten, dass der Druck via Balkanroute auf Mitteleuropa zunehmen wird. Ein Blick auf die aktuellen Aufgriffszahlen an der österreichischen Grenze ist jedenfalls nicht hinreichend. Die Quantität der Zahlen wird durch die derzeit stattfindenden Grenzkontrollen determiniert.
Die Ankunftszahlen über die Landgrenze „Evros“ sind weiterhin im Steigen begriffen und werden auch durch aktuelle ISAA Berichte belegt. Laut Social Media Analysen ist ein kontinuierlicher Anstieg der Suchanfragen bezüglich der östlichen Mittelmeerroute inklusive „Evros-Grenzübertritte“ zu erkennen.
Die Union bietet gemäß Art. 3 EUV ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen. Dafür bedarf es aber, wie im EUV festgehalten, einer konsequenten Kontrolle an den Außengrenzen, um Kriminalität vorzubeugen und zu bekämpfen sowie das Asyl- und Einwanderungswesen in geordneten Bahnen zu halten. Geeignete Außengrenzkontrollen und ein krisenfestes Asylsystem sind also letztlich wesentliche Voraussetzungen für Freiheit, Sicherheit und Recht in einem Raum ohne Binnengrenzen. Diesbezüglich bestehen grundsätzliche Defizite weiter, wie etwa laufende Arbeiten im Bereich Asyl zeigen.
In diesem Lichte bedarf es aller verfügbaren Maßnahmen, um die Sicherheit der österreichischen Bevölkerung gewährleisten zu können. Österreich führt deshalb laufend Risikoanalysen und Gefährdungseinschätzungen durch und wird bei Bedarf geeignete Maßnahmen setzen.
Ich habe daher entschieden, dass an der österreichisch-ungarischen und der österreichisch-slowenischen Landgrenze auch nach dem 12. Mai 2019 für einen Zeitraum von 6 Monaten Binnengrenzkontrollen durchgeführt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Herbert Kickl
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