Kulinarik: England hat Österreich zum Essen gern
Manfred Gamper parkt sich mit dem Pick-up vor der Backsteinkirche ein. Möwen kreisen im Sommerwind, als der 52-Jährige im Food Truck die Speisen vorbereitet: die eigens produzierten Käsekrainer, Leberkäse, handgeformte Laugenbrezel. Es ist ein besonderer Agape-Snack, den sich ein Bräutigam gewünscht hat. Besonders nicht so sehr für ihn als Österreicher, aber für den Standort Islington: Gamper betreibt mit „The Austrian House“ Londons einzigen österreichischen Würstelstand.
Apfelstrudel und Sachertorte
Mit seinem Fokus ist er dabei nicht allein. Zur selben Zeit, 30 Meilen nördlich, blicken Marktbesucher auf Apfelstrudel, Sachertorte, Marillenkuchen. Barbara Leadbetter schlichtet Bauernbrot nach – „bei dem ich Engländern immer dazusage, dass es viel dichter ist als das Brot, das sie kennen.“ Sie lacht, ihre blonden Haare wippen. „Zuckermaus“ steht auf der Schürze, in der sie am Hitchin’s Wochenmarkt Mehlspeisen und Gebäck verkauft.
Österreichische Küche war für Engländer lange vor allem mit Urlaubserinnerungen verbunden: Topfenstrudel beim Städtetrip, Germknödel auf der Skihütte. Das ändert sich immer mehr: Das „Kipferl“ von Hubert Zanier ist Fixpunkt für Kalbsschnitzel und Kaiserschmarren, im „Monaliciousfood“ serviert Mona Saad Meinl-Kaffee und Apfelstrudel.
Café als Inspiration
Aber nicht nur Österreicher setzen auf die Alpenrepublik: Spaziert man The Strand im Herzen Londons entlang, stößt man derzeit auf einen Stiegl-Bierwagen. Die Vitrine im Inneren fasst Salate in Schüsseln, wie man sie vom Heurigen kennt, an dunkler Holzvertäfelung hängen Hüttenschilder aus Kärnten. Man war „inspiriert von Kaffeehäusern Mitteleuropas“ heißt es von der englischen Wolseley Hospitality Group, die „The Delaunay Counter“ nach dem Lockdown 2021 neu eröffnet haben.
Auch Barbara Leadbetters „Umorientierung“ kam mit der Pandemie. „Kingcroft Kindness“ stand auf Tupperboxen mit Tortenstücken, die sie Nachbarn vor die Tür legte; eine Geste der Freundlichkeit, damals, als man sich aus der Ferne zuwinkte und ein bisschen an der Einsamkeit zerbrach. Nun bäckt sie bis zu 40 Kuchen pro Woche und spielt in den vier Doppelkühlschränken im Wintergarten „Torten-Jenga“, um alles unterzubekommen. Neben Märkten beliefert sie Cafés und mittels Online-Shop die ganze Insel.
Corona als Anstoß zur Veränderung
Bei Manfred Gamper gab ebenfalls die Corona-Zeit Anstoß zur Veränderung. Statt eines Bürojobs im Cybersecurity-Bereich wollte er mehr Kontakt zu Menschen und in die Gastronomie, immerhin hatte er das gelernt. Wie gerufen kam die Ausschreibung der Londoner Verkehrsbetriebe: Im Juli 2021 bezog er den Vorplatz der Shoreditch High Street Station. Anfangs blickten Passanten überrascht auf Leberkässemmel oder Currywurst; mittlerweile produziert er 300 Würste in der Woche und Stammkunden nehmen bis zu zwei Stunden Anreise in Kauf. Ab Herbst möchte er Kunden entgegenkommen, denn er sucht Standplätze an mehreren Orten. Stressig sei sie natürlich, die Selbstständigkeit, es brauche „200 Prozent Commitment“. Aber: „Der Austausch mit den Kunden macht alles wett.“
Das sagt auch Barbara Leadbetter: „Letztens schreibt eine Dame: ,Die Esterhazy-Tortenstücke haben mich so an meine Oma erinnert. Ich habe sie auf einen Sitz aufgegessen und geweint’.“
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