Als die Jahrhundertflut vor 20 Jahren halb Österreich verwüstete
„Wir haben gesehen, es steigt und steigt und steigt. Da dachte ich, es wird knapp.“ Es war die Nacht auf den 7. August 2002, als das Kamptal in Krisenmodus umstellte. Mittendrin war Manfred Haindl, ehemaliger Postenkommandant der Gendarmerie Langenlois. Hochwasser habe man immer wieder gehabt, aber nie seien Wohngebiete überschwemmt worden. „Aber 2002 hatten wir kein Hochwasser. Das war eine Flut.“
Dauerregen und extreme Niederschlagsmengen führten in Niederösterreich zuerst dazu, dass der Kamp zu hohes Wasser führte, wenig später auch die Donau. Innerhalb kürzester Zeit gab es keinen Strom mehr. „Auf einmal war alles finster. Wir haben noch Hubschrauber organisiert“, sagt Haindl.
Denn viele Menschen wurden derart von den Wassermassen überrascht, dass sie sich nur noch auf die Dächer retten konnten. Via Hubschrauber wurden sie mit Seilen geborgen. „Die ersten Tage waren eine Katastrophe. Da war eigentlich alles Chaos“, erinnert sich Haindl. Zwei große Probleme habe man zu Beginn gehabt. Das waren zum einen die Schaulustigen. Teilweise konnten die Einsatzfahrzeuge schlecht zufahren.
Zum anderen hätten viele Familien niemanden gehabt, der helfen konnte. Bei manchen unterstützten Verwandte. Die Feuerwehren haben zwar alle Häuser ausgepumpt, aber dann war der Schlamm da. „Ich wusste, da müssen wir etwas tun.“ Er startete die Aktion „Menschen helfen Menschen“ im Kamptal. Nach einem medialen Aufruf, kamen aus ganz Österreich Hunderte, um zu helfen. Sie wurden von Haindls Frau Elisabeth, die die Administration übernahm, dort hinverteilt, wo sie gebraucht wurden.
Kamp im Hof
Besonders heftige Schäden verursachte das Wasser in Zöbing (Bezirk Krems-Land). „Davonrennen kann man vom Wasser nicht“, sagt Winzer Günther Brandl ebendort im Hof seiner Eltern. Vor 20 Jahren hätte man hier nicht so gemütlich sitzen können. Das Wasser des Kamps strömte mit einer unvorstellbaren Kraft durch. Der ganze Hausrat des Dorfs wurde auf der Straße verteilt. „Tage später habe ich Hochzeitsfotos meiner Tante, die einige Häuser weiter wohnt, gefunden.“
Günther Brandl erinnert sich im Hof seiner Eltern in Zöbing an die Flut von damals.
Manchmal stockt Brandl beim Reden. Vor allem, wenn er an die Hilfsbereitschaft zurückdenkt, wird er emotional. „Wenn man nach langer Zeit wieder darüber redet, merkt man, dass es einen doch sehr mitnimmt. Von den Schäden merkt man heute nichts mehr. Der damals 5-jährige Sohn baut nun hier eine Wohnung aus. Mit einem Weg-Gottesdienst erinnert und gedenkt man am morgigen Sonntag auch 20 Jahre später.
Sirenengeheul
Schauplatzwechsel nach Ybbs an der Donau, wo eine Woche später, nachdem ein Adriatief neuerlich enorme Regenmassen nach Mitteleuropa gewirbelt hatte, Katastrophenalarm ausgelöst wurde. „Es war der Wahnsinn. Die Sirene heulte in der Nacht eine halbe Stunde durch. Viele in der Stadt gerieten in Panik. Sie dachten, das Donaukraftwerk ist durchgebrochen und es kommt eine Flutwelle.“
Gerlinde Stöger bewohnt mit ihrem Mann ein 500 Jahre altes Haus in der Altstadt von Ybbs/Donau. Und die Nacht auf den 13. August 2002 und die Ereignisse um die Jahrhundertflut sind ihr in lebendiger Erinnerung. Die Donau überschwemmte in dieser Nacht die Stadt weitläufig, rund 3.000 Bewohner waren eingeschlossen. Die überlange Sirenenwarnung hatte allerdings eine vom Wasser lahmgelegte Sicherung verschuldet.
Stögers Haus stand im Erdgeschoß zu zwei Drittel unter Wasser. Draußen in der Stadt war sie als Obfrau des Hochwasserschutzvereins HIGUS für die Sicherheit von
47 nahe am Donauufer wohnender Liegenschaftsbesitzer mitverantwortlich. „Wir hatten unsere selbst zusammengezimmerten Flutbarrikaden wieder aufgebaut. Doch es zeichnete sich bald ab, dass wir dieses Mal nicht heil davonkommen“, erinnert sich Stöger.
6. August 2002
Es beginnt zu regnen. Zu diesem Zeitpunkt denkt noch niemand an eine Jahrhundert-Katastrophe.
7. August 2002
In der Nacht werden Keller überflutet, Straßen müssen von Muren und umgestürzten Bäumen befreit werden. Salzburg, Ober- und Niederösterreich sind schwer betroffen.
8. August 2002
Das Bundesheer rückt mit Hubschraubern aus, um hunderte Menschen aus den Fluten zu retten. In Oberösterreich fallen Telefon- und Stromnetze aus. Tausende Häuser sind vom Wasser eingeschlossen.
9. August 2002
Der Regen lässt nach, nur im Raum der Kampmündung nicht: Der Kamp flutet das westliche Tullnerfeld. Hadersdorf im Bezirk Krems steht völlig unter Wasser und muss großteils evakuiert werden. Eine Brücke in Thurnberg (Bezirk Krems-Land) stürzt ein.
10. August 2002
Das Bundesheer beginnt mit der Absicherung von Brücken. Der Regen lässt etwas nach, parallel beginnen Aufräumarbeiten.
12. August 2002
In den Morgenstunden beginnt es erneut zu regnen. In Salzburg spitzt sich die Situation dramatisch zu. Mittlerweile sind rund 10.000 Soldaten im Einsatz. Die Donau steigt auf zehn Meter an und überflutet die Wachau zu einem Großteil. Die Bewohner versuchen, ihr Hab und Gut zu retten.
15. August 2002
Das Wasser geht überall zurück. Aufgeräumt wird mit schwerem Pioniergerät, Baggern und Kränen. Der Schaden ist enorm, der Wiederaufbau fordert auch viele freiwillige Helfer.
Eingeschlossene
Bei einem Pegel von 9,60 Metern waren Häuser am Schiffmeisterplatz bis zum ersten Stock überschwemmt. „Viele Eingeschlossene wurden von Feuerwehrzillen aus versorgt. Selbst CNN hat diese Bilder gezeigt. Es gab Dramen, weil Leute evakuiert werden mussten“, erinnert sich die ehemalige Obfrau, deren Verein sich nach dem Bau des Ybbser Hochwasserschutzes 2013 auflöste. „Jetzt fühlen wir uns sicher“, sagt sie. Allerdings: „Wenn es zwei Tage durchregnet, werde ich in der Nacht immer noch munter und denke nach, wo meine Gummistiefel stehen.“
Wasser ohne Ende
Sintflutartige Regenschauer sind damals auch in Oberösterreich gefallen. Nur 500 Meter grenzt Baumgartenberg im oberösterreichischen Bezirk Perg an die Donau. Diese kurze Uferlänge genügte, um Teil einer Katastrophe zu sein, denn: „Das Wasser kennt keine Grenzen“, sagt der ehemalige Bürgermeister Erwin Kastner. Dreißig Jahre lang (ab 1990) war er im Amt, hat immer wieder Hochwasser erlebt, so eines wie 2002 jedoch noch nie.
Ein Drittel der damals 400 Häuser stand unter Wasser – „Teils bis in den ersten Stock rauf“, erinnert sich Kastner, besonders betroffen war der Ortsteil Mettensdorf (Foto oben). Noch schlimmer traf es die Nachbargemeinde. „In Mitterkirchen gab es kaum einen weißen Fleck, wo nicht das Wasser war“, sagt Kastner. Sein Haus blieb im Trockenen. „So hatte ich selbst die Kraft. Das viele menschliche Leid. Man konnte nur Hoffnung zusprechen und ihnen das Gefühl geben, dass sie nicht alleine sind und rasch helfen.“
Man begann sofort, Häuser in den niederen Lagen zu evakuieren. Die Einwohner brachten sie bei Freunden und Familie unter. Nach wie vor ist er den vielen Helfern dankbar und pflegt Kontakt. „Einsatzkräfte aus dem Zillertal haben für 30 Kinder ein 14-tägiges Ferienlager organisiert.“ Sie konnten so den schlimmen Bildern entgehen.
Schlamm
Nach einer Woche war das Wasser dann weg, der Schlamm blieb. „Wird der Schlamm einmal trocken, wird er hart wie Pech. Tonnen davon mussten wir deshalb schnell wegbringen."
20 Jahre danach ist davon nichts mehr zu erkennen. Mobile Hochwasserwände wurden installiert, 250 Häuser im Machland aus den roten Zonen abgesiedelt. Erdwalle aufgeschüttet. 2012 wurde der Machland-Damm eröffnet. Gerade rechtzeitig zum nächsten Hochwasser 2013. „Der Damm hielt. Das gibt uns Sicherheit“, so Kastner.
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