1,5 Millionen Menschen in Österreich gelten als armutsgefährdet, das sind 17 Prozent der Bevölkerung. Eingestuft wird durch Einkommensschwellen, die Grenze liegt bei Zwei-Personen-Haushalten bei 2.057 Euro Einkommen monatlich. Sind die Eltern arm trifft das auch ihre Kinder, laut Statistik gelten 23 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Österreich als armutsgefährdet.
Die Menschen hinter den Zahlen
„Aber wir wollten herausfinden, wer sind die Personen, die sich hinter den Zahlen in der Statistik verstecken?“, überlegt Miriam Burkia-Stocker: Sie ist eine der Autorinnen einer Studie, die sich Kinderarmut in Österreich widmete – und dabei speziell Mädchen im Fokus hatte. In Auftrag gegeben wurde die Studie von der Volkshilfe Steiermark. „Wenn von Kinderarmut gesprochen wird, werden Mädchen ausreichend gesehen?“, grübelt Präsidentin Barbara Gross.
Nein, antwortet Burkia-Stocker. „Betroffene Mädchen sind bemüht, nicht aufzufallen, sie wollen nicht zur Last fallen. Sie geraten oft erst durch ihre auffälligeren Brüder in den Fokus der Sozialarbeit.“ Das bestätigt auch Sozialarbeiterin Elke Hofgartner, die oft mit Anträgen von Eltern auf finanziellen Zuschuss für Vereine der Kinder zu tun hat – aber meistens für die Söhne. „Die Burschen sind lauter und fordern so etwas ein. Erst im Gespräch mit uns kommen die Eltern drauf, dass die Töchter auch etwas machen wollen, vielleicht einen Sportkurs besuchen.“
Zwei Jahre lang durchforstete Burkia-Stocker die Datenlage zu Mädchenarmut in Österreich und sprach auch mit einem Dutzend Expertinnen aus der Praxis. Doch Forschungsergebnisse für diesen speziellen Bereich sind rar, auch Statistiken wenig aussagekräftig. „Sie gehen von einer gleichen Verteilung des Einkommens im Haushalt aus.“ Dabei werde nicht berücksichtigt, dass Frauen immer noch den Großteil der unbezahlten Haus- und Familienarbeit leisten und häufiger im Niedriglohnsektor arbeiten.
Das Umfeld prägt
Doch genau das präge die Töchter in diesen Haushalten, betont Anna Riegler, Leiterin des Instituts für Soziale Arbeit an der Fachhochschule Joanneum in Graz. „Menschen wachsen in einem bestimmten Umfeld auf, das bestimmt, was wir mögen, welche Netzwerke wir haben.“
Allerdings stuft das Umfeld auch Menschen ein. Mädchen aus armen Familien würden nach der Volksschule öfter in Mittelschulen denn Gymnasien wechseln. „Ärmeren Menschen wird von anderen weniger zugetraut – und das macht etwas mit ihnen. Da wird man sich dann weniger zutrauen, Ärztin werden zu können.“ Die Forschungserkenntnisse decken diese Einschätzung. Diese Mädchen verlassen das Schulsystem früh, um das Haushaltseinkommen zu unterstützen: Doch sie bekommen nur schlechter bezahle Jobs, da bessere Ausbildung fehlt.
Strukturelle Änderung nötig
Daraus leiten die Expertinnen Forderungen an die Politik ab. Bei Förderansuchen – etwa von Vereinen – müsste in den Anträgen auch ein Passus zur Unterstützung von Mädchen aufgenommen werden, um früh gegenzusteuern und Mädchen sichtbarer zu machen. „Es ist wichtig, aktiv darüber zu reden, dass es Ungleichheit gibt“, betont Riegler. „Es braucht strukturelle Änderungen statt prestigeträchtiger Kurzprojekte.“
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