Was arm sein bedeutet: "Das heißt dann noch weniger essen"

Was arm sein bedeutet: "Das heißt dann noch weniger essen"
Laut Studie zur sozialen Lage ist fast ein Fünftel der Grazer gefährdet, in die Armut abzurutschen. 9.000 Menschen brauchen Sozialunterstützung.

"Ich bin schon an das wenige Geld gewohnt", sagt Herr M., er kenne es von Kindheit an nichts anders: Gewalttätiger Vater, mit 17 Jahren von zu Hause ausgerissen, jahrelang auf der Straße gelebt. Als er endlich einen Job hatte, verlor ihn der heute 56-Jährige dann zu früh wegen mehrerer schwerer Erkrankungen.

M. ist einer von rund 9.000 Grazern, die Sozialunterstützung erhalten: Knapp 980 Euro netto sind das monatlich für einen Alleinstehenden, zwölf Mal im Jahr.

M. lebt somit wie 56.000 weitere Grazer unter oder knapp an der Armutsgefährdungsschwelle von rund 1.380 Euro. 56.000 Menschen – das sind 19 Prozent der Einwohner der Landeshauptstadt. Ohne diverse Sozialleistungen von Wohnunterstützung bis zur Ausgleichszulage würde der Anteil der Grazer, die in die Armut rutschen, auf 32 Prozent steigen, warnt Sozialwissenschafter Peter Stoppacher. Er hat im Auftrag der Stadt eine "Studie zur sozialen Lage in Graz" erstellt, sie wurde am Mittwoch präsentiert.

Für diese Expertise schaute Stoppacher nicht nur Zahlen an, sondern sprach auch mit Betroffenen, die auf Sozialunterstützung angewiesen sind. "Es gibt viele Klischeebilder. Aber die Realität zeigt ein heterogenes Bild", beschreibt der Forscher. "Da sind Menschen aus desolaten Familien darunter, aber auch Leute die studiert haben, krank geworden und so in die Armutsgefährdung abgerutscht sind."

Diese Gruppe der Gefährdeten ist groß, ergab die Untersuchung: 25 Prozent der unselbstständig beschäftigten Grazer verdient weniger als 12.000 Euro brutto im Jahr. 40 Prozent haben bis zu 20.000 Euro brutto Einkommen jährlich.

Ein Job - und doch arm

Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) will mit einem weiteren Klischee aufräumen: Von jenen 9.000 Menschen, die Sozialunterstützung beziehen, gehen zwei Drittel einer geregelten Arbeit nach – allerdings verdienen sie so wenig, dass ihnen Ausgleich auf rund 980 Euro zusteht. "Aufstocker" nennt Kahr sie: "Wenn man weiß, wie teuer das Leben geworden ist, dann muss man sagen, dieser Betrag ist viel zu wenig."

Doch diese Leistung ist Bundessache, Kahr fordert eine angemessene Erhöhung. "Man muss sich klar sein, da bleibt nichts. Da gibt es keinen Kinobesuch, keinen Ausflug", appelliert Kahr. "Und glauben Sie mir, niemand sucht sich das freiwillig aus, niemand will abhängig sein." Die Stadt hat zu Jahresbeginn den 2020 eingerichteten Sozialfonds "Graz hilft" um 120.000 Euro aufgestockt, Geld, das aus gekürzten Fördergeldern im Gemeinderat kommt. "Jeder Euro, den wir als Stadt freiwillig geben, ist so notwendig wie ein Bissen Brot", begründet Kahr.

Zurück zu Herrn M., der auf Invaliditätspension hofft und dadurch auf ein bisschen mehr Geld. "Ich komme durch", versichert der Grazer. "Aber am Ende des Monats ist meist nichts mehr da. Das heißt noch genauer schauen und weniger essen."

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