Junge Muslime wollen Antisemitismus bekämpfen
Die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ) startet eine Initiative zur Bekämpfung des Antisemitismus in den eigenen Reihen. Mittels Workshops, einer Studienreise zum ehemaligen KZ Auschwitz, Vorträgen, Museumsbesuchen sowie Begegnungen mit Zeitzeugen will die Organisation, die bundesweit rund 30.000 Jugendliche und junge Erwachsene erreicht, "junge MuslimInnen sensibilisieren, antisemitische Entwicklungen zu erkennen und entschieden dagegen aufzutreten".
„Wir haben den Schwerpunkt Antisemitismus gewählt, weil wir uns aus innermuslimischer Perspektive mit dem Thema befassen möchten“, erklärt die Bundesvorsitzende Canan Yasar. „Während in vielen Debatten Muslime fast schon als einzige Verursacher antisemitischer Vorfälle präsentiert werden, belegen die Zahlen etwas anderes: Neun Prozent der 2016 knapp 500 registrierten Vorfälle können einem muslimischen Hintergrund zugeordnet werden. Dennoch blicken wir kritisch auf die muslimische Community und wollen ein für alle Mal klarstellen: Antisemitismus ist mit unserer Religion nicht vereinbar!“ Das Ziel des Projektes sei die intensive Auseinandersetzung durch Bildung und Begegnung.
"Ein kleiner Schritt"
Wunder erwarte man sich freilich keine von der Initiative, heißt es bei der MJÖ. Die geplanten Maßnahmen seien "ein kleiner Schritt". Zudem wolle man sich nicht "darauf hinausreden, dass nur ein kleiner Teil des Antisemitismus in unserem Land auf Muslime zurückzuführen ist", betont MJÖ-Vorstandsmitglied Adis Serifovic. Denn jeder einzelne Fall sei einer zu viel.
Man begreife das Projekt als Lernprozess, sagt Bundesvorsitzende Yasar. "Sowohl für unsere Organisation, als auch für unsere Zielgruppe und darüber hinaus die muslimische Community als Ganzes".
Lob vom Dokumentationsarchiv
Lobende Worte findet Antisemitismus-Experte Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) für die Initiative der MJÖ. Diese sei "außergewöhnlich", meint er. Würden "Rechte wie Linke" Antisemitismus in den eigenen Reihen sonst doch eher verleugnen und auf andere schieben. Als Beispiel nennt er die aktuellen Entwicklungen um den nö. FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer.
Peham begrüßt die innermuslimische Auseinandersetzung mit der Problematik. Insbesondere im Jugend- und Bildungsbereich. Wenn in Österreich auch repräsentative Zahlen fehlen würden. Während Studien aus Deutschland unter 14- bis 19-jährigen Muslimen eine gesteigerte Anfälligkeit für Antisemitismus belegen würden, gebe es in Österreich bis dato nur Momentaufnahmen, sagt Peham.
Neue Studie
So beleuchteten etwa die Soziologen Kenan Güngür und Caroline Nik Nafs 2016 die Weltanschauung von rund 400 Halbwüchsigen in Wiener Jugendzentren. Im Zuge der Untersuchung stellten sie auch antisemitische und homophobe Haltungen bei einem Teil der Jugendlichen fest. "Da wurde aber eine Untergruppe untersucht", so Peham - "also Jugendliche in Jugendzentren und Parks, die zu früh aus dem Regelschulbetrieb ausgeschlossen und sozial benachteiligt waren". Prinzipiell zeige sich: "Je länger Jugendliche in Bildungseinrichtungen sind, desto weniger anfällig sind sie für Antisemitismus". Und: "Antisemitismus steigt mit dem Alter." Erwachsene seien schwerer zu erreichen als Jugendliche und weniger bereit, ihre lange gepflegten Ressentiments zu hinterfragen.
Sein Engagement an Schulen zeige, dass Antisemitismus bei muslimischen Jugendlichen "mehr sozial und weniger religiös motiviert zu sein schein". Er diene meist als "konformistisch-rebellische Verarbeitungsform der eigenen Diskriminierung zu Lasten deren, die ebenfalls ,fremd' sind, aber angeblich besser wegkommen".
In absehbarer Zeit wird es aber auch in Österreich repräsentatives Zahlenmaterial zu dem Thema geben. Denn Güngör führt im Auftrag des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) zurzeit eine Studie zum Thema "Gruppen-bezogene Abwertungen" in ausgewählten muslimischen Gruppierungen durch. Konkret unter Jugendlichen türkischer, kurdischer, bosnischer, tschetschenischer, afghanischer und syrischer Abstammung. Mit Ergebnissen sei nach den Sommerferien zu rechnen, kündigt Güngör an.
Imam und Rabbiner
Eine Kooperation der MJÖ mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) gibt es zurzeit zwar nicht. Doch auch dort bekennt man sich zum Kampf gegen Antisemitismus – unter anderem im Rahmen der Imam-Deklaration im vorigen Sommer. Zudem ist in Kooperation mit dem Rabbinat der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) erstmals eine Imam-Rabbiner-Konferenz geplant.
Davon abgesehen bemühen sind vereinzelte islamische Fachvereine um den muslimisch-jüdischen Dialog. Etwa die „Initiative Muslimischer Österreicher“, die gemeinsam mit dem Online-Magazin Die Jüdische die interreligiöse Plattform „Dibur/Sochba“ (Gespräch auf hebräisch bzw. arabisch; Anm.) gründete. Für Aufsehen sorgte auch die gemeinsame Reise von Imam Ramazan Demir und Rabbiner Schlomo Hofmeister nach Jerusalem, die die beiden in einem Buch verarbeiteten.
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