Jubiläumsmatinee: Niederösterreich und Wien feiern Eigenständigkeit
Von Sarah Prankl
Ein schwarzer Mercedes aus den 1950er-Jahren parkt im Hof des Palais Niederösterreich in der Wiener Herrengasse. Es ist der ehemalige Dienstwagen von Leopold Figl, erster Bundeskanzler nach dem zweiten Weltkrieg sowie ehemaliger Landeshauptmann von Niederösterreich.
Ein Symbol für die Festivität am Donnerstag im Palais: Niederösterreich feierte 100 Jahre als selbstständiges Bundesland. Mit dabei waren viele Ehrengäste und nostalgische Erinnerungen.
Prunkvolle Kronleuchter und bunte Malereien auf der Festsaal-Decke lassen es erahnen – es handelt sich um einen historischen Ort. Das betont auch Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, sie hielt die Eröffnungsrede.
Trennung als Geburtsstunde
„Dieser Ort ist ein Kristallisationspunkt unserer Geschichte, kaum ein anderer Ort steht so für die gemeinsame, aber auch eigenständige Geschichte von Niederösterreich und Wien.“ Die Trennung war aber vor allem „die Geburtsstunde unseres eigenständigen, souveränen Bundeslandes Niederösterreich“. Die vergangenen 100 Jahre seien auch „mit vielen Prüfungen“ verbunden gewesen.
„Wir haben es geschafft, all diese Umbrüche für eine dynamische Entwicklung unseres Landes zu nutzen. Niederösterreich wurde von einer Region, die lange Zeit am Rand stand, zu einer Region, die vorangeht“, so Mikl-Leitner.
1918
Die Habsburgermonarchie bricht zusammen
10. November 1920
Mit dem Inkrafttreten der Bundesverfassung beginnt der Trennungsprozess
29. Dezember 1921
Das Trennungsgesetz steht. Bis kurz vor Inkrafttreten wird verhandelt. Diskutiert wird etwa über Vermögen und Liegenschaften
1. Jänner 1922
Nach monatelangen Verhandlungen tritt das Trennungsgesetz in Kraft. Niederösterreich und Wien sind eigenständige Bundesländer
1938 bis 1945
In der Zeit des Nationalsozialismus wird Niederösterreich in „Gau Niederdonau“ umbenannt. Wien bleibt Verwaltungssitz, Krems wurde zur „Gauhauptstadt“
1. und 2. März 1986
Bei einer Volksbefragung zur Landeshauptstadt erreicht St. Pölten 45 Prozent. Krems liegt mit 29 Prozent an zweiter Stelle, danach Baden
10. Juli 1986
St. Pölten wird zur Landeshauptstadt. Damit ändert sich auch der Sitz des Landtages und der Landesregierung
26. Dezember 1989
Der Eiserne Vorhang zwischen Hardegg (Bezirk Hollabrunn) und der damaligen Tschechoslowakei fällt
21. Mai 1997
Der Landtag übersiedelt von Wien in das neu errichtete Landhausviertel in St. Pölten
2022
Wien und Niederösterreich feiern ihre 100-jährige Eigenständigkeit
Historischer Boden
Das Palais Niederösterreich ist das ehemalige niederösterreichische Landhaus, in dem die Trennungsverhandlungen 1921 über die Bühne gingen. Es war der Ort, an dem die Erste und Zweite Republik gegründet wurde. Auf diese Phase der – zwar freundschaftlichen – jedoch langwierigen Verhandlungen blickte auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen.
Mitgebrachtes Brot, Geselchtes und niederösterreichischer Wein habe die sonst eher zähen Trennungsverhandlungen beschleunigte. „Dann wurde die Stimmung entspannt. Eine Lösung war schnell gefunden“, so der Bundespräsident mit einem Schmunzeln. Niederösterreich sei ein „Land mit vielen Facetten“, so der Präsident. Nicht nur mit vier sehr unterschiedlichen Vierteln, sondern auch in Bezug auf Landschaft und Kultur.
„Wir müssen die Geschichte wachhalten, denn Friede, Freiheit und Demokratie sind keine Selbstverständlichkeit“
Viele Ehrengäste
Die Kultur wurde bei der Jubiläumsmatinee besonders gewürdigt: Das Jugendsinfonieorchester spielte die Mödlinger Tänze von Beethoven. Die junge Künstlerin Sigrid Horn verpackte die Liebesgeschichte ihrer Großeltern in ein Lied im authentischen Mostviertler Dialekt.
Davon zeigte sich vor allem Van der Bellen begeistert, der in seine Rede prompt etwas auf Tirolerisch einbaute. Schriftstellerin Cornelia Travnicek trug ein Gedicht vor, Historiker Philipp Blom hielt eine Gastrede.
„Es sind die vielen Facetten, die einzelnen Ecken und Kanten, die Niederösterreich so kostbar machen“
Unter den zahlreichen Ehren- und Festgästen waren u. a. auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, die Bundesminister Klaudia Tanner und Gerhard Karner, Landtagspräsident Karl Wilfing und sämtliche Mitglieder der niederösterreichischen Landesregierung.
„Hinter dem administrativ klingenden Namen Niederösterreich erscheint eine strahlende Landschaft“
Zeitkapsel
Dem Blick in die Vergangenheit folgte eine Zeitkapsel für die Zukunft. In 100 Jahren wird die Nachwelt darin einen mit Tinte handgeschriebenen Brief der Landeshauptfrau finden, in dem sie den Menschen in Niederösterreich Kraft und Gottes Segen wünscht.
Ganz im Sinne der freundschaftlichen Verbindung mit Wien legte auch Landeshauptmann Michael Ludwig einen Brief bei – wie auch Van der Bellen und NÖ-Landeshauptmann im Ruhestand Erwin Pröll. Die Zeitkapsel wird im „Haus der Geschichte“ im Museum Niederösterreich in St. Pölten ihr Zuhause finden.
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