Aber wie wollen Sie diese Leute wieder ins Boot holen?
Das wird länger dauern. Und das wird nicht nur mit Symposien und Kongressen gehen. Es wird Formate brauchen, wo man Leuten, die auf Distanz gegangen sind, die Möglichkeit gibt, sich wieder anzunähern. Zu glauben, es gibt einen Selbstheilungsprozess, das wäre ein Irrtum.
Hat die Politik zur Stimmung nicht ihr Scherflein beigetragen? Es gab zum Teil sehr harsche Worte gegenüber diesen Menschen.
Ja. Die ganze Kommunikationsgeschichte in zwei Jahren Pandemie, die hat Kapriolen geschlagen, die gar nicht mehr nachzuvollziehen waren für die Menschen. Also etwa mit Sebastian Kurz’ „Die Pandemie ist beendet“.
In der Kommunikation ist beim grünen Gesundheitsminister auch nicht gerade alles perfekt gelaufen.
Das würde ich teilen.
Und jetzt?
Der erste Schritt wird jetzt mal sein, aus der Atemlosigkeit herauszukommen. Was außerdem dazu gehört, ist die Rücknahme dieser Covid-Maßnahmengesetze, die ja den Regierungen und BürgermeisterInnen als Notmaßnahme Abkürzungen bei Entscheidungen ermöglicht haben - ohne Gemeindevertretungen, Landtage und Parlamente. Das darf nicht zur Normalität werden. Wenn die Pandemie endet, muss diese demokratische Zumutung beendet werden.
Am Beginn der Pandemie hat es geheißen: „Koste es, was es wolle“. Muss das nun auch für gesundheitliche, psychische oder andere gesellschaftliche Folgen gelten?
Das würde ich nicht nur auf die Kosten beschränken. Die Bewältigung der Pandemie war ja in vielen Teilen ein Kraftakt. Da haben Leute bis ans Limit gearbeitet. Das Pflegepersonal, die Ärzte und Ärztinnen, die alleinerziehenden Frauen vor allem, die man ja völlig vergessen hat. Man wird sich jetzt um diesen Normalisierungs-, diesen Genesungsprozess kümmern müssen. Das kann man nicht nebenbei machen. Das muss Programm sein.
Besonders die Kinder waren stark von den Einschränkungen betroffen. Die Kinderpsychiatrien waren schon vor Corona am Überlaufen. Muss man da nicht Geld in die Hand nehmen?
Das glaube ich schon. Es wird mehr Schulsozialarbeit brauchen. Es wird einen erleichterten Zugang zu psychotherapeutischen Angeboten und den Ausbau von Kinder- und Jugendpsychiatrien brauchen, die in allen Bundesländern an Platzmangel leiden. Alles was Nachhilfeangbote angeht, muss man ausbauen.
Die Pflege war schon vor der Pandemie eine riesige Baustelle. Braucht es jetzt auch in der Pflege einen Kraftakt?
Natürlich. Wir haben ja überall einen Arbeitskräftemangel – ich rede nicht mehr von Fachkräftemangel. Wir zahlen jetzt die Zeche unserer Abschottungspolitik: Stichwort Zuwanderung. Es gibt einen Konkurrenzkampf um Arbeitskräfte. Wir müssen die Arbeitsbedingungen fürs Personal verbessern. Und das hat was mit Bezahlung zu tun. Klatschen am Balkon wird nicht reichen.
Wird Schwarz-Grün im Bund die Pandemie überleben?
Meiner Einschätzung nach schon. Ich orte eine Stabilisierung, seit die ÖVP ihre Verwerfungen beendet hat. Und da waren wir ja die stabilisierenden Faktoren in der Regierung. Wir sind gewählt um zu arbeiten.
Wo stehen wir bestenfalls in einem Jahr?
Da stehen wir bestenfalls da, dass Covid-19 endemisch ist, sich zu einer saisonalen Erkrankung entwickelt hat, die Durchimpfungsraten bei 90 Prozent sind. Und dass die Überhitzung einer Abkühlungsphase gewichen ist.
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