Internetsucht: Jede wache Minute online

Eltern werden ungewollt zu Handlangern ihrer internetsüchtigen Kinder.
Immer besser verfügbar, immer schnellere Verbindung und Smartphones schon im Kindesalter lassen die Zahl junger süchtiger Online-Spieler steigen.

"Zu uns kommen 17-Jährige, die am Tag 18 Stunden Computer spielen." An ein normales Leben, an einen Job oder gar einen Schulbesuch sei da nicht mehr zu denken, sagt der Suchtexperte Korusch Yazdi. Im Kampf gegen die immer häufiger auftretende Internetsucht therapieren der Primar des Zentrums für Suchtmedizin an der Linzer Kepler-Klinik und sein Team neuerdings nicht nur Jugendliche, sondern auch deren Eltern.

Immer besserer Zugang zu immer schnellerem Internet und die Verfügbarkeit von Handys und Tablets für immer jüngere Kinder bergen große Gefahren. Bei mangelndem Problembewusstsein, vor allem der Eltern, drohe rasch eine Abhängigkeit. Das Suchtpotenzial vieler Computerspiele sei enorm und werde unterschätzt, meint Yazdi. Besonders alarmierend: Die Internetsüchtigen werden immer jünger. "Früher waren es Studenten, heute kommen Elf- und Zwölfjährige. Der Altersdurchschnitt der Patienten liegt bei 14 bis 15 Jahren", berichtet er.

Kongress

Bestätigt wurde das erst in der Vorwoche auf einem Fachärztekongress im deutschen Kassel. "Das Thema hat durch die ständige Verfügbarkeit durch Smartphones an Bedeutung gewonnen", warnte Gundolf Berg, der Vorsitzende der deutschen Kinder- und Jugendpsychiater.

Internetsucht: Jede wache Minute online
Primar Korusch Yazdi, Leiter der Suchtabteilung Kepler-Klinikum Linz , Wagner Jauregg
Burschen sind vor allem für Online-Rollenspiele, wie "World of Warcraft" oder "League of Legends", aber auch Egoshooter- und Strategiespiele anfällig. Mädchen neigen eher dazu, krankhaft in Sozialen Medien, wie WhatsApp oder Facebook zu kommunizieren, schildert Yazdi aus der Praxis.

Er hat aus der Sucht-Ambulanz dramatische Beispiele parat. "Jugendliche verbringen jede wache Minute vor dem Computer. Sie sind in Echtzeitspielen gefangen und wollen ihre Online-Gruppe nicht im Stich lassen. Da ist keine Zeit mehr für irgendetwas Anderes. Die verzweifelten Eltern bringen ihnen das Essen aufs Zimmer", schildert Yazdi. Erschütternd auch das Beispiel einer Mutter, die dem Sohn das Cola zum PC brachte, damit er wach bleiben kann. Die leere Flasche füllte der Spieler mit Urin, um ja nicht das Spiel zu unterbrechen.

In den Familien spielen sich wahre Dramen ab. Die jungen Abhängigen sind aggressiv und uneinsichtig. Die Eltern unterstützen die Kinder, um deren Verfall zu verhindern, wollen das aber gar nicht. "Sie werden zu Co-Abhängigen", so Yazdi. "Genauso, wie wenn die Ehefrau dem alkoholkranken Mann das Bier bringt, damit er nicht so aggressiv ist."

Elterntherapie

Verzweifelten Eltern wird in Linz seit Kurzem mit einer eigenen Therapiegruppe geholfen. Das Wichtigste sei, dem jungen Patienten seine Erkrankung bewusst zu machen. Viele wehren sich vehement, zur Therapie zu kommen. Also bestärke man die Eltern darin, den Kindern Schranken zu setzen. "Bei Jüngeren darf man den Zugang auch einmal verwehren. Älteren muss man vehement vor Augen führen, dass sie in den Abgrund driften", empfiehlt der Psychiater. Habe man die Jugendlichen einmal in der Therapiegruppe, seien die Heilungschancen bestens, vermittelt er Betroffenen Optimismus.

Nicht vom PC oder vom Smartphone wegsperren, aber aufmerksam zu beachten, dass Kinder vielfältige Freizeitbeschäftigungen haben und Sport betreiben, nennt Yazdi als effektivste Prävention vor der Internetsucht. Nichts dagegen hätte er, wenn der Gesetzgeber Spielkonzernen zeitliche Limits vorgebe, wie lange man sich in der imaginären Welt aufhalten darf. Wegen einer wahren Suchtepidemie wird etwa in China "World of Warcraft" nach drei Stunden zur Pause gezwungen.

Die letzte Studie zur Internetsucht in Österreich stammt aus 2013. Damals galten vier Prozent der 15- bis 18-Jährigen als suchtkrank, sechs Prozent als gefährdet.

Die gesteigerte Verfügbarkeit von Netz und Software lasse laut Primar Korusch Yazdi die Zahl der Süchtigen steigen. Er beruft sich auf aktuellere Studien aus EU-Ländern. Die Statistik Austria weist für 2016 857.000 Kinder- und Jugendliche zwischen zehn und 19 Jahren aus. Bei nur vier Prozent Süchtigen wären das über 30.000 Fälle. In der Linzer Spielsuchtambulanz sind 50 Prozent der 300 jährlichen Patienten internetsüchtig. Beim Suchtkongress in Kassel wurde die Zahl der pathologischen Internetnutzer unter Jugendlichen mit fünf Prozent eingeschätzt.

Yazdi, der aktuell mit dem Buch „Die Cannabis-Lüge“ gegen die Verharmlosung des Kiffens zu Felde zieht, empfiehlt zum Thema Suchtprävention auch die Quelle Internet. Umfassende Info ist auf www.praevention.at abrufbar.

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