Ende der sozialen Wohnromantik

Mit dem Schlachthof soll der älteste Sozialwohnbau Innsbrucks abgerissen werden.
Der älteste Gemeindebau der Stadt soll abgerissen werden. Auch in anderen Sozialbauten bangen Mieter.

Beim Anflug auf den engen Talkessel von Innsbruck wirkt die Stadt auf den ersten Blick dichtest verbaut. Doch beim genauen Hinsehen tun sich viele grüne Tupfen auf. Es sind die zahlreichen Innenhöfe, die in den älteren Stadtteilen durch die Blockrandbebauung entstanden sind. Nicht nur die repräsentativen Häuser des Bürgertums aus dem 19. Jahrhundert sind vielfach im Rechteck angeordnet worden, sondern auch die sozialen Wohnbauten des 20. Jahrhunderts. In letzteren schufen sich die Mieter über die Jahrzehnte zum Teil regelrechte Gartenparadiese.

Im Schlachthofblock im Innsbrucker Stadtteil Dreiheiligen zwitschern die Vögel. Vom Lärm der nahen Durchzugsstraße ist nichts zu hören. Riesige alte Bäume lassen den Innenhof wie einen Park wirken, der zur Hälfte von einem Kindergarten eingenommen wird. In früheren Zeiten eilte der städtischen Wohnanlage ein schlechter Ruf voraus. "Es gab mal Familien mit ein bisschen streitsüchtigeren Kindern. Aber bei über 200 Wohnungen gibt es halt auch einmal Ärger", erzählt der vierfache Vater Werner Heinecke.

Mehrheit für Schleifen

Seit 40 Jahren wohnt der 72-Jährige nun bereits in dem Geviert, das als ältester Sozialwohnblock Innsbrucks ein Stück Stadtgeschichte darstellt. Er sagt ganz klar: "Ich will hier bleiben." Denn dem ab 1911 errichtete Geviert droht der Abbruch. Die Gemeindespitze ist in der Frage gespalten. Im Stadtsenat hat die Bürgermeisterliste Für Innsbruck gemeinsam mit der ÖVP gegen die Koalitionspartner von SPÖ und Grünen für das Schleifen des Schlachthofs gestimmt.

Helmut Buchacher, Chef der Stadt-SPÖ, will weiter für den Erhalt kämpfen. In einer Mieterbefragung hätten sich 58 Prozent für eine Sanierung ausgesprochen. "Da wohnen alte Leute, die nicht wegwollen und die unbefristete Mietverträge haben. Wir werden sie über ihre Rechte aufklären", sagt Buchacher. Die SPÖ hat im Gemeinderat einen Antrag gegen den Abriss eingebracht.

Die Befürworter des Planierens stellen einerseits die Wirtschaftlichkeit einer Sanierung in Frage. Sie wollen zudem mehr Wohnungen auf dem Areal schaffen. "Verdichten" ist angesichts des Platzmangels in Innsbruck und kontinuierlichem Wachstum eigentlich auch die ausgegebene Devise von Innsbrucks grünem Stadtplanungsrat Gerhard Fritz. Doch im konkreten Fall ist auch seine Fraktion gegen den Abriss. Ebenso der Gestaltungsbeirat der Stadt, der speziell für solche heiklen Fragen ins Leben gerufen wurde.

Gegen den Beirat

Der hatte bereits im Jahre seiner Gründung 2013 in einem ähnlichen Fall das Nachsehen. Das Gremium hatte empfohlen, zumindest die Fassade eines ebenfalls in der Gründerzeit errichteten Gevierts gegenüber des Innsbrucker Westbahnhofs zu erhalten. Der Bauträger setzte durch, dass die hufeisenförmige Anlage zur Gänze geschleift wird. Auch hier hatten sich die alteingesessenen Bewohner – viele ehemalige Mitarbeiter des vorigen Besitzers der Immobilie, der ÖBB – zunächst gegen die Vertreibung aus dem Paradies gewehrt. "Schrebergartenidylle im dicht besiedelten Wohngebiet" pries die Infobroschüre der Stadt den Innenhof noch im Jahr 2000 als Oase an. Heute liegt er brach.

Absiedlungsmaßnahmen laufen seit Jahren auch in den sogenannten Südtiroler Siedlungen des gemeinnützigen Wohnbauträgers Neue Heimat Tirol im Stadtteil Pradl. Ans Leder geht es primär eingeschoßigen Wohnbauten, um anschließend zu verdichten und mehr Menschen Platz zu bieten. Die Anrainer bangen indes um ihre Wohnqualität, die auch hier von viel Grün bestimmt wird.

Innsbruck platzt zunehmend aus allen Nähten. Die im Inntal eingebettete Landeshauptstadt steht damit sinnbildlich für ein Problem, mit dem ganz Tirol konfrontiert ist: Zwischen den Bergen geht der Raum für den Wohnbau nach und nach zur Neige. Innsbruck kämpft im Gegenzug zum ländlichen Raum aber noch dazu mit massiven Zuzug. Keine andere Landeshauptstadt wächst schneller.

Um Innsbruck nicht weiter in die Breite wuchern zu lassen, versucht die Stadtpolitik, bebaute Fläche zu verdichten. Dabei geht es nach und nach von Mietern geliebten Anlagen an den Kragen, die mit großzügigen Grünflächen punkten.

Gleichzeitig liegen in Innsbruck aber rund 700.000 Quadratmeter gewidmeten Baugrunds brach, die jedoch nicht auf den Markt kommen. Auch hier ist Innsbruck der Spiegel einer Problematik, die ganz Tirol betrifft. Derzeit soll die Landesregierung über eine Baulandabgabe diskutieren, um Spekulanten zum Verkauf von gewidmeten Flächen zu bewegen.

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