Zwei Unterschriften für mehr Vertrauen

Zwei Unterschriften für mehr Vertrauen
Die Israelitische Religionsgemeinschaft ist nun Partner der Polizei bei der Aktion „Gemeinsam Sicher“. Es ist eine notwendige symbolische Unterstützung der Juden in Wien.

Einmal drinnen, könnte man fast vergessen, dass vor der Tür ein Soldat steht.

Die Kindergartenkinder bekommen ein Buch vorgelesen, die Viertklässler haben ihren letzten Test vor dem Notenschluss geschrieben und Polly, der Hund einer Bewohnerin der Seniorenresidenz bellt laut, sehr laut. Er ist aufgeregt, weil jemand sein Frauchen angeredet hat. Und Polly will ihr Frauchen beschützen.

Auch die Aufgabe des Soldaten vor der Tür ist es, zu beschützen: die Kindergartenkinder, die Schülerinnen und Schüler, die Pflegebedürftigen, die Sportlerinnen und Sportler und die Bewohnerinnen und Bewohner der Seniorenresidenz.

2008 wurde der Campus der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in der Simon-Wiesenthal-Gasse im 2. Bezirk eröffnet. Er steht unter Schutz. Von der Polizei oder – wie aktuell – vom Bundesheer, das dort einen Assistenzeinsatz im Auftrag des Innenministeriums vollzieht.

Dort, am Campus der Kultusgemeinde, dem größten jüdischen Campus Europas, sind deren wichtigste Institutionen unter einem Dach vereint: die Zwi Perez Chajes Schule, das Maimonides-Seniorenzentrum und das Sportzentrum des SC Hakoah, Wiens ältestem jüdischem Sportverein.

Prävention

In der schuleigenen Synagoge unterzeichneten Mittwochvormittag Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Religionsgemeinschaft und der Wiener Kultusgemeinde, die Vereinbarung zum Projekt „Gemeinsam Sicher“.

Seit 2016 gibt es die Aktion, deren Ziel es ist, sogenannte Sicherheitspartnerschaften abzuschließen – zwischen der Polizei und Bürgerinnen und Bürgern im weitesten Sinn. Manchmal sind das Bürgermeister, einmal die Post, ein anderes Mal die Asfinag. „Harte Polizeiarbeit“, sagt Karner, stehe dabei nicht im Vordergrund. Es gehe vor allem um Prävention und den Austausch von Information.

Dass nun auch die Kultusgemeinde, deren Institutionen ohne echten Polizeischutz nicht auskommen, Teil der Aktion ist, mag etwas merkwürdig anmuten.

Für Oskar Deutsch ist es unabdingbar. „Es ist leider so, dass wir das annehmen müssen“, sagte er. Denn: „Unsere Kinder können nicht – wie alle anderen österreichischen Kinder – in eine Schule gehen, die nicht von der Polizei bewacht wird.“

Eine Schule wie die Zwi Perez Chajes Schule gibt es in Österreich sonst nicht. 600 Kinder besuchen sie (Kindergarten, Volksschule und Gymnasium) derzeit. Für Kinder ab 18 Monaten ist die Krippe geöffnet. Wer mag – und das wollen die meisten – bleibt bis zur Matura.

Hakoah-Gründe
Bis zur Shoah war der Augarten Spielstätte des SC Hakoah. Die Nazis arisierten das Areal. 2004 restituierte die Stadt Wien ein 19.500 Quadratmeter großes Grundstück in  Handelskai-Nähe 

Jüdischer Campus
Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) errichtete  dort Europas größten jüdischen Campus mit Schule, Seniorenheim und Sportzentrum 

965..
...Vorfälle wurden der IKG-Antisemitismus-Meldestelle 2021 gemeldet – um 65 Prozent mehr als 2020 

Formal ist die Zwi Perez Chajes Schule eine Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht. Ideell ist es die einzige Schule Österreichs, in der jüdische Kinder neben der formalen Schulbildung auch religiöse Erziehung genießen. Die Wartelisten sind dementsprechend lang – schon für den Kindergarten.

Dass am Campus der IKG Institutionen für mehrere Generationen vereint werden, hat nicht nur gesellschaftliche Gründe. Ist alles an einem Ort, sind Sicherheitsvorkehrungen einfacher zu organisieren.

Höchststand

Die Zahl an antisemitischen Vorfällen hat in Wien zuletzt einen neuen Höchststand erreicht. 956 Vorfälle mit antisemitischem Hintergrund wurden 2021 der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) gemeldet. Das sind um 65 Prozent mehr, als noch im Jahr davor mit 585 gemeldeten Fällen.

Vor einem Anschlag oder Attentat schütz die neue Kooperation mit der Polizei nicht, aber: „Es ist ein symbolischer, anlassunabhängiger Austausch“, sagt Karner. Zweimal im Jahr will man einander treffen.

Im besten Fall soll die Meldung und Verfolgung von Delikten mit antisemitischem Hintergrund besser ablaufen. „Es geht darum, das Vertrauen der jüdischen Bevölkerung in die Polizei zu stärken“, sagt Deutsch. Und darum, Polizistinnen und Polizisten zu sensibilisieren.

Ganz grundsätzlich sei das Verhältnis zwischen der IKG und der Polizei „beispielgebend“ in Europa, sagt Deutsch. Die Jüdinnen und Juden könnten sich darauf verlassen, „dass wir da, wo wir sind, geschützt sind.“

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