Ein Raubüberfall in einem Wohnhaus oder einer Wohnung, bei dem die Täter in Kauf nehmen, dass die Opfer noch anwesend sind. So definiert das Bundeskriminalamt (BK) sogenannte Home Invasions. Laut BK zeichnen sie sich vor allem durch die Brutalität der Täter aus.
Das bestätigen auch die jüngsten Fälle dieser Art in Österreich. Im Mai 2022 wurde etwa eine 79-jährige Frau in ihrer Wohnung in Wien-Neubau während einer Home Invasion so brutal misshandelt, dass sie an den Folgen des Übergriffs starb. Der oder die Täter konnten bis heute nicht gefasst werden.
Im März dieses Jahres kam es im 10. Wiener Gemeindebezirk zu einem gewaltsamen Fall von Home Invasion. Ein 75-Jähriger wurde in seiner Erdgeschosswohnung von drei Männern überfallen. Das unbekannte Trio hätte an seiner Tür geklopft und einen Ausweis vor den Türspion gehalten. Der Mann konnte sich letztendlich über ein Fenster in den Innenhof retten, Anrainer verständigten die Einsatzkräfte. Nach den Tätern wird nach wie vor gefahndet.
Was sind das für Menschen, die mit skrupellosen Methoden bei anderen einbrechen, sie oft stundenlang quälen oder mit brutalen Methoden Geldverstecke oder Safe-Codes erpressen?
Mercedes Haindl ist Kriminalpsychologin, beschäftigt sich unter anderem mit Traumatherapie und war für die psychosoziale Betreuung für Notfallsituationen in Wien – "AkutBetreuungWien" - tätig. Im Gespräch mit dem KURIER spricht sie über die hohe Gewaltbereitschaft der Täter und warum Betroffene ihre Traumata häufig nicht aufarbeiten können.
Frau Haindl, wie würden Sie das Täterprofil im Fall von Home Invasions beschreiben?
Mercedes Haindl:Bei den Home Invasions geht es darum, dass in Wohnungen eingebrochen wird und die Täter oder Täterinnen in Kauf nehmen, dass jemand zu Hause ist. Dass sie nicht davor zurückschrecken, Gewalt anwenden zu müssen, zeugt von Tätern, die bereit sind, extreme Grenzen zu überschreiten. Das heißt, wir haben es mit Tätern zu tun, die eine sehr niedrige Hemmschwelle haben.
Wir haben es mit Tätern zu tun, die eine sehr niedrige Hemmschwelle haben.
von Mercedes Haindl
Kriminalpsychologin
Die Art, wie solche Täter vorgehen, könnte man als skrupellos bezeichnen. Mit falschen Ausweisen und Uniformen geben sie sich beispielsweise als Polizisten aus. Wie unterscheiden sich solche Verbrecher von „herkömmlichen“ Einbrechern?
Diese Täter täuschen bewusst etwas vor, um sich einen leichteren Zutritt zu der Wohnung zu verschaffen, sie brechen also oft nicht die Tür auf und überraschen die Opfer, sondern interagieren mit ihnen. Dafür muss man sich sehr sicher fühlen und genau wissen, was man tut. Man muss gut vorbereitet sein. Das geht also auch mit einem gewissen Organisationsgrad der Täter einher.
Vergangenes Jahr im Sommer wurde eine 79-jährige Dame in Wien Neubau bei einer Home Invasion so brutal geschlagen, dass sie an ihren Verletzungen starb. Der Raub wurde zum Raubmord. Die Täter scheuen also selbst vor Toten nicht zurück?
Man darf nicht vergessen, dass jedes Verbrechen in der Realität vielleicht doch ganz anders abläuft, als der Täter sich das vorgestellt hat. Das heißt, wenn die Opfer beispielsweise mehr Gegenwehr leisten als gedacht, kann es schnell zu einer Eskalation kommen – bis hin zu einer Tötung. Das muss aber nicht unbedingt ein Vorsatz gewesen sein. Die Tötung wird vielleicht in Kauf genommen, man weiß, dass das Risiko besteht. Aber was dann wirklich in der Dynamik der Tat passiert, das ist für den Täter oft nicht zu hundert Prozent vorhersehbar.
Laut dem Bundeskriminalamt (BK) handelt es sich bei Home Invasions um Raubüberfälle, die in einem Wohnhaus oder einer Wohnung stattfinden und bei denen von den bewaffneten meist maskierten Tätern in Kauf genommen wird, dass die Opfer anwesend sind.
Das BK sagt: "Die Opfer werden in den meisten Fällen im Zuge der Tathandlung zur Erlangung der Beute gefesselt/geknebelt, misshandelt und teils schwer verletzt und hilflos zurückgelassen."
Im Jahr 2022 wurden in Österreich rund 6.060 Einbrüche in Wohnungen und Häuser bei der Polizei zur Anzeige gebracht. Damit stieg die Zahl der angezeigten Wohnungseinbrüche im Vergleich zum Vorjahr.
Eine Statistik, bei wie vielen Fällen es sich dabei um Home Invasions gehandelt hat, gibt es nicht, da diese Art der Straftaten unter§ 143 StGB - schwerer Raub fallen, hieß es auf Anfrage des KURIER beim Bundeskriminalamt.
Die Opfer sind in den meisten Fällen ältere, oft auch pflegebedürftige Personen.
Laut Bundeskriminalamt handelt es sich häufig um „reisende Täter“, die oft in ganz Mitteleuropa unterwegs sind. Durch fehlende Grenzkontrollen und eine eingeschränkte elektronische Überwachung des öffentlichen Raums lassen sich diese Täter oft schwer fassen, beklagt das BK. Bedeutet das, Opfer müssen mit der Angst leben, dass die Täter womöglich zurückkehren?
Von der Täterseite her ist es eher unwahrscheinlich, dass sie genau in dieselbe Wohnung oder in dasselbe Haus noch einmal einbrechen. Aber bei den Opfern ist die Angst davor, dass so etwas nochmal passiert, natürlich deutlich erhöht. Der Samen der Angst ist gesät. Wir reden da von einer massiven traumatischen Erfahrung: das Eindringen in den eigenen Wohlfühlort, den eigentlichen Safe Space und das Geschehene. Man fühlt sich zu Hause nicht mehr sicher.
Tatsächlich berichten Opfer solcher gewalttätigen Überfälle oft von jahrelangen Traumata. Wie schätzen sie den psychischen Schaden ein?
Jeder von uns bringt ein gewisses Maß an sogenannter Resilienz mit. Damit meine ich die psychische Widerstandsfähigkeit, und die ist ein ganz wichtiger Punkt, wenn man von Traumata spricht. Zwei Menschen können das gleiche Trauma erleben, aber unterschiedlich traumatisiert rausgehen. Das ist schon einmal etwas sehr Individuelles: Wie viel Resilienz habe ich, um mit solchen unvorhergesehenen Dingen gut umgehen zu können und das gut auszugleichen? Das heißt aber auch, es gibt eben kein Lehrbuch, das sagt, wie lange man eine Symptomatik hat. Fakt ist, je früher auf diese psychische Belastung, diese Traumatisierung reagiert wird, umso besser. Wir haben nicht umsonst in Österreich überall verteilt Krisenintervention-Teams, die direkt nach dem Geschehen zu den Betroffenen kommen, um eben diesen ersten Schock, diese erste Trauma Erfahrung ein bisschen abzufedern.
Wie geht es danach weiter, gibt es eine Nach-Betreuung?
Wenn die belastenden Gefühle, die Hilflosigkeit, die Anspannung, in den nächsten vier bis sechs Wochen nicht aufhören, wenn das nicht abnimmt, spricht man von einer posttraumatischen Belastungsstörung und die kann länger dauern. Da wäre es wichtig, sich in Behandlung zu begeben.
Wie äußert sich eine posttraumatischen Belastungsstörung nach Home Invasions konkret?
Da ist einerseits das Vermeidungsverhalten. Dass man zum Beispiel gar nicht mehr zur Tür geht, wenn es klingelt. Dann gibt es das Gefühl der chronischen Übererregung, die mit erhöhter Alarmbereitschaft und innerer Anspannung einhergeht. Und dann gibt es noch die sogenannten Flashbacks. Es ploppen - oft durch gewisse Trigger ausgelöst - Bilder auf, und der oder die Betroffene ist in diesem Moment wieder in der durchlebten Situation. Als Begleitsymptome können aber auch Albträume, Angstzustände, Depressionen, Herzrasen und vieles mehr auftreten. Der Körper ist quasi in Dauer-Alarmbereitschaft.
Lassen sich solche Erlebnisse aufarbeiten?
Aufarbeiten ist der falsche Begriff. Ich kann ein Trauma nur bearbeiten. Das Geschehene ist nicht rückgängig zu machen, man muss das auf irgendeine Art und Weise in sein Leben integrieren, auch wenn das hart klingt. Man kann lernen, mit den Symptomen umzugehen, sie zu reduzieren und einen neuen Blick auf das Geschehene zu bekommen. Das heißt nicht, dass ich das alles gut finden muss. Aber es geht um Akzeptanz. Gerade bei Gewaltdelikten ist es wichtig, wieder die Kontrolle zurückzugewinnen. Raus aus der Hilflosigkeit.
Können Opfer das verlorene Vertrauen wieder zurückgewinnen?
Dieses Misstrauen erleben wir Therapeuten oft, wenn solche Gefühle nicht bearbeitet werden. Solche Menschen werden dann immer misstrauischer und feindseliger ihrer Umwelt gegenüber und erwarten hinter allem einen Angriff. Ich muss wieder lernen, dass nicht alle Menschen schlecht sind. Und dass es sehr wohl Rückzugsorte gibt, auch wenn man sich die erst wieder schaffen muss. Aber das dauert eben.
Diese Art der Überfälle ist laut BK bereits seit gut 10 Jahren ein bekanntes Phänomen in den „wohlhabenden Ländern“ Mitteleuropas. Leistet die Polizei zu wenig Präventivarbeit?
Ganz ehrlich: Es kann immer noch mehr Präventionsarbeit geleistet werden. Es geht aber nicht darum, Angst zu machen und Angst zu schüren. Es gibt das Phänomen der Kriminalitäts-Furcht, und die ist oft sehr irrational. Es geht vielmehr darum, aufzuklären und einfach transparent zu machen, was man tun kann. Fakten, klare und objektive Fakten.
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