Grüner Streit um "Stimmvieh"

Landesrätin Felipe und Bürgermeisterkandidat Willi waren beim Parteitag im Juni bestens gelaunt. Nicht alle Tiroler Grünen sind glücklich
Großer Mitgliederzuwachs vor Listen-Wahlen sorgt für Debatten. Neue Hürden für Stimmrecht sind geplant.

So viele wichtige Personalentscheidungen wie 2017 haben die Tiroler Grünen wohl nur selten in einem Jahr zu fällen gehabt. Nach den Nationalratswahlen vergibt die Basis die Listenplätze für die Landtagswahlen (25. Februar 2018). Bereits seit einem Monat stehen die Tiroler Kandidaten für die Parlamentswahlen fest. Bei einer Bezirksversammlung im Mai haben die Innsbrucker Grünen mit Georg Willi auch schon ihren Bürgermeisterkandidaten für die Gemeinderatswahlen (Frühjahr 2018) gekürt und der amtierenden Vizebürgermeisterin Sonja Pitscheider einen Korb gegeben.

Diese Kampfabstimmung wirkt bis heute in der Partei nach. Wie berichtet, hat sich die wahlberechtigte Basis in Innsbruck kurz vor der Entscheidung auf wundersame Weise vermehrt. Rund ein Viertel der 433 Stimmberichtigten waren Neo-Grüne, die erst in den Monaten vor dem Rennen um Platz eins an Bord gingen. Sie haben freilich auch bei allen anderen nachfolgenden Listen-Entscheidungen Stimmrecht.

Sitzungsprotokolle

Für welche Debatten der plötzliche Mitgliederzuwachs gesorgt hat, zeigen Protokolle von Sitzungen des Landesparteivorstands, die dem KURIER nun vorliegen. Als Ende Februar 60 neue Mitgliedsanträge vorlagen, die vom Gremium abgesegnet werden sollten, wurde vermerkt: "Das Mitgliedsprocedere gilt es prinzipiell zu überdenken (sowohl strukturell als auch statutarisch), v.a. in Bezug auf die Mobilisierung vor Wahlen."

Bürgermeister-Kandidat Georg Willi hat im KURIER-Interview freimütig bekannt, dass er auch Unterstützer aus seinem Umfeld von außerhalb der Partei zur Mitgliedschaft bei den Grünen motiviert hat. Aber laut den Dokumenten hat es offenbar mehr Diskussionen darüber gegeben, dass Nationalrätin Berivan Aslan – mittlerweile frisch gewählte Spitzenkandidatin – zahlreiche Personen bei Migrantenvereinen angeworben hat.

"Damals war die Angst groß, für wen ich diese Mitglieder bringen würde. Aber das sind ja keine Schafe, die man herumkommandieren kann", sagt Aslan. Es sei ihr nicht darum gegangen, Stimmen für ihre eigene Wahl zu sammeln. "Das ist eine Unterstellung. Ich habe Themen in den Vordergrund gestellt, die für diese Leute wichtig sind", sagt die Tirolerin. Bei ihrer eigenen Wahl seien zudem nur wenige neue Mitglieder anwesend gewesen.

Die Basis ist bei den Grünen mächtig und beschert der Partei in den vergangenen Monaten immer wieder Probleme (siehe Zusatzartikel). "Dass Mitglieder vor Listenwahlen gekeilt werden, ist prinzipiell nichts Neues. Ich habe meinen Unmut darüber geäußert und sehe Reformbedarf", sagt Roland Tausch, Sprecher der Grünen im Bezirk Innsbruck-Land.

Neue Regeln

Reformbedarf sieht auch die Parteispitze. Bereits im Zuge der Debatten im Frühjahr habe man begonnen, neue Mitglieder vor Aufnahme auf ihre Wertehaltung zu checken, sagt Landesgeschäftsführer Thimo Fiesel. Er ist überzeugt: "Bei diesen Leuten handelt es sich nicht um ’Stimmvieh’". Nach den Landtagswahlen werden aber neue Regeln aufgestellt.

Für Fiesel ist etwa denkbar, die Sperrfrist von Aufnahmen vor internen Wahlen (derzeit drei Monate) zu verlängern. Er kann sich aber auch vorstellen, dass Neo-Grüne erst an einigen Parteiveranstaltungen teilnehmen müssen, bevor sie wahlberechtigt sind.

In trauter Einheit saßen am Freitag die Stadträte der Innsbrucker Vierer-Koalition (Für Innsbruck, ÖVP, SPÖ und Grüne) im Plenarsaal. Bevor man sich in die letzte Sommerpause der noch bis ins kommende Frühjahr laufenden Legislaturperiode verabschiedete, zog man über die gemeinsame Arbeit zufrieden Bilanz. Und lobte sich gegenseitig für das gute Klima im bunten Regierungsteam. Das gemeinsame Programm sei bereits "mehr als abgearbeitet", versicherte Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer.

Die zeigte sich zuversichtlich, dass ihre Koalition bis zum Schluss halten wird. Ob sie in derselben Konstellation auch nach den Wahlen weiter arbeiten möchte, wollte sie nicht verraten. Für ihren grünen Herausforderer Georg Willi, der während der Pressekonferenz vor dem Rathaus Bürgerkontakte sammelte, hatte die Stadtchefin aber eine Spitze parat: "Willi hat 40 Jahre politische Erfahrung gesammelt – aber noch nie in einer Regierung." Der Wahlkampf scheint eröffnet, auch wenn gestern von mehreren Seiten Gegenteiliges versichert wurde.

Es ist selbst unter Funktionären der Grünen ein geflügeltes Wort: Die Basis ist unberechenbar. Das war bereits in der Vergangenheit so. Doch zuletzt hat "die Basis" mehrfach unter Beweis gestellt, dass sie für Überraschungen gut ist. Und das nicht immer zur Freude der Parteispitze. Im April kam etwa Wiens grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou ordentlich ins Schlingern. Bei der allerersten Urabstimmung der Stadtpartei hatten sich 51,33 Prozent der teilnehmenden Mitglieder gegen ein von Vassilakou unterstütztes, umstrittenes Bauprojekt am Wiener Heumarkt gestellt.

Nach langem hin und her gab es im Gemeinderat dann trotzdem grüne Unterstützung für die Flächenwidmung. Doch der Schaden war angerichtet. Mehr als Imageverlust droht den Grünen durch einen Entscheidung der Delegierten beim Bundeskongress im Juni in Linz. Sie ließen den langjährigen Nationalrat Peter Pilz über die Klinge springen und wählten ihn nicht auf den von ihm geforderten Listenplatz. Das grüne Urgestein liebäugelt nun, wie mehrfach berichtet, damit, mit einer eigenen Liste anzutreten.

Wüste Vorwürfe

Zu einem massiven Zerwürfnis kam es im Juli auch bei den Kärntner Grünen. Nach der Landesversammlung wurden Vorwürfe laut, wonach neu als Parteimitglieder angeworbene Asylwerber von einzelnen Personen "angeleitet" worden seien, wie sie bei der Erstellung der Landesliste stimmen sollen. Landesgeschäftsführerin Marion Mitsche landete auf einem aussichtslosen Platz und kehrte der Partei den Rücken. Tiefe Gräben sind geblieben.

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