Grazer Justiz spricht sich gegen Auslieferung eines Verdächtigen aus

Verhandelt wird am Landesgericht Graz
Die USA wollte einen 54-Jährigen, der an Drogen-Deals beteiligt sein soll, zur Rechenschaft ziehen. Stattdessen geht nun das Inlandsverfahren vor.

Eine bemerkenswerte Entscheidung hat vor kurzem das Oberlandesgericht (OLG) Graz getroffen. Mittels eines Beschlusses wurde die Auslieferung eines in der Steiermark lebenden 54-Jährigen abgelehnt, der nach Erkenntnissen der US-Justizbehörde DEA und des heimischen Bundeskriminalamts einem internationalen, von den USA und Kolumbien aus operierenden Drogen-Kartell angehört haben soll. Er soll in einem Lager in Graz mehr als 100 Kilogramm Heroin gebunkert haben.

Der gebürtige Montenegriner wurde aufgrund eines Ersuchens des US-Justizministeriums sowie eines Haftbefehls eines New Yorker Bundesbezirkgerichts am 15. April 2021 in der Steiermark festgenommen. Über die US-Botschaft in Wien erging im Weiteren ein Auslieferungsersuchen, in erster Instanz wurde die Auslieferung an die USA seitens der Justiz auch für zulässig erklärt. Dagegen legte jedoch der auf Haftrecht spezialisierte Wiener Rechtsanwalt Philipp Wolm Beschwerde ein - und bekam nun vom OLG Graz Recht. Die Auslieferung des mutmaßlichen Drogenhändlers wurde für unzulässig erklärt, die Auslieferungshaft aufgehoben und die Enthaftung des 54-Jährigen angeordnet.

Von der Haft in die Haft

Der Mann konnte nach Verkündung dieser Entscheidung zwar noch kurz seine Familie in die Arme schließen, kam allerdings nicht auf freien Fuß. Die Staatsanwaltschaft Graz führt gegen ihn nämlich ebenfalls ein Verfahren, weswegen er umgehend von der Auslieferungs- in die U-Haft übernommen wurde.

Die Drogen-Bande, deren europäischem Zweig der 54-Jährige seit Herbst 2020 angehört haben soll, handelt laut DEA in Übermengen mit Kokain und Heroin. So wurden im Oktober 2019 im kolumbianischen Hafen Turbo durch das DEA in Bananenkisten 850 Kilogramm Kokain beschlagnahmt. Im Februar 2020 wurde im italienischen Hafen Gioia Tauro Kokain sichergestellt, das nach Koper in Slowenien transportiert werden sollte. Das DEA führte in weiterer Folge verdeckte Ermittlungen durch, aus denen hervorging, dass die Bande in Österreich offenbar große Mengen Heroin zwischengelagert hatte.

Die verdeckten Ermittler kamen dann mehreren in Österreich lebenden Mitgliedern der Organisation auf die Spur, gaben Interesse an Drogen vor und führten zum Schein Verhandlungen über den Ankauf von Heroin. Dabei stießen sie auf den 54-Jährigen sowie zwei weitere Verdächtige, die in Wien gemeldet waren und die zwecks Suchtgift-Deals teilweise zwischen der Bundeshauptstadt und Südamerika hin- und herpendelten. Der 54-Jährige wird im U-Haft-Beschluss des Grazer Landesgerichts für Strafsachen als „in Österreich verantwortliches Mitglied der kriminellen Organisation“ bezeichnet, die sich durch mafiöse Strukturen auszeichnen dürfte. An anderer Stelle wird nämlich angemerkt, die Bande sei auf die Begehung „schwerwiegender strafbarer Handlungen“ ausgerichtet und bestrebt, andere „zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen“.

Im Dezember 2020 wurden den verdeckten DEA-Ermittlern am Flughafen in Graz vier Pakete mit zwei Kilogramm Heroin mit einem Reinheitsgehalt von 43 Prozent übergeben. Anfang Februar 2021 bot der 54-Jährige den Erhebungen zufolge dann zunächst weitere 200 Kilogramm an, wobei er versichert haben soll, 100 Kilo wären sofort verfügbar, weil sie sich in einer Lagerhalle in Graz befänden.

Keine Verschlechterung

Am 10. Februar 2021 übergab der 54-Jährige in Graz eine Probe von 28,3 Gramm. Bei einem weiteren Treffen im März wurde konkret die Übergabe von 135 Kilo zu einem Verkaufspreis von 19.000 Euro pro Kilo vereinbart wurde. Beim letzten Meeting zeigten die DEA-Beamten offenbar sogar einen Bargeldkoffer mit 2,6 Millionen Euro her, worauf zwei Liefer-Termine in der letzten April-Woche festgelegt wurden. Dazu kam es dann nicht mehr, der 54-Jährige wurde festgenommen, weitere Fahndungsmaßnahmen in die Wege geleitet.

Die Auslieferung des in Österreich bisher unbescholtenen 54-Jährigen lehnte das Grazer OLG deshalb ab, weil gegen diesen ein Inlandsverfahren geführt wird und eine Abtretung der Ermittlungen an die USA einer unvertretbaren Schlechterstellung des Beschuldigten gleichkäme: Für die Delikte, die ihm angelastet werden, drohen im hierzulande maximal 15 Jahre, in den USA allerdings lebenslange Haft. Außerdem begründet das OLG Graz seine Entscheidung mit dem Grundrecht auf Achtung des Familienlebens (Artikel 8 EMRK). Der Mann ist seit 20 Jahren verheiratet, hat einen zweijährigen Sohn und ist - ungeachtet seiner montenegrinischen Herkunft - laut OLG in der Steiermark „tiefgreifend familiär verwurzelt“.

Dass einem Auslieferungsersuchen an die USA nicht stattgegeben wird, kommt sehr selten vor. Wie es auf APA-Anfrage aus dem Justizministerium hieß, bitten die US-Behörden im Durchschnitt vier Mal jährlich um Festnahme und Überstellung eines einer Straftat Verdächtigen zum Zweck der Strafverfolgung. Im Schnitt wird nur einem derartigen Ersuchen nicht stattgegeben.

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