Der Weg zu einem Arzt fällt Betroffenen zumeist schwer. "Es besteht in der Regel eine Scham, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Gedanke an eine Anzeige bzw. die möglichen Auswirkungen, sind ein weiterer Punkt, der dazu führen kann, keine Hilfe in Anspruch zu nehmen", sagt Gerichtsmedizinerin Juliane Glas.
In der Gewaltambulanz soll dieser wichtige Schritt einfacher gemacht werden. Die betroffene Person entscheidet selbst, ob sie Anzeige erstatten will oder nicht. Ohne Druck. Dafür mit genug Zeit, um mit dem Trauma zurechtzukommen.
Was Glas und ihre Kolleginnen und Kollegen hier zu sehen bekommen, sind oft Knochenbrüche und Prellungen. "Nur wenige kommen schon nach dem ersten Vorfall. Bei einer Mehrzahl der Betroffenen gab es eine Vorgeschichte." Die häusliche Gewalt beginnt oft mit einem verbalen Streit, meist um ein nichtiges Thema. Wenn die Argumente ausgehen, setzt es den ersten Schlag. "Zur körperlichen Eskalation kommt es meist erst später", weiß die Gerichtsmedizinerin.
Nicht erst seit April beschäftigt man sich an der Med Uni Graz mit dem Thema Gewalt. Die Einrichtung gibt es de facto schon seit Jahren. Doch nun ist es - in ausgebauter Variante - ein Pilotprojekt der Bundesregierung und Vorbild für weitere Gewaltambulanzen - die nächste eröffnet im Sommer in Wien.
Zwei Untersuchungsräume gibt es in Graz. Was auffällt, sind jeweils der große, grau gestrichene Wand- und Bodenteil und der schwarze Rucksack, der beim Eingang lehnt. Die graue Wand hat einen besonderen Grund: "Hier werden die Verletzungen fotografiert. Wir brauchen dabei einen möglichst neutralen Hintergrund, damit nichts verfälscht wird", erklärt Glas. Der Rucksack kommt bei den mobilen Untersuchungen zum Einsatz - also außerhalb der Gewaltambulanz.
Ein Wunsch, der gar nicht selten geäußert wird. "Mehrmals pro Woche" packen die Gerichtsmediziner der Gewaltambulanz diesen Rucksack. Darin befindet sich neben medizinischen Geräten, einer Kamera und dem Patientenbogen auch ein Teddybär. Nicht selten sind die Patienten noch Kinder (13 Prozent, Anm.). Was die Mediziner ebenfalls dabei haben, ist Zeit: "Das ist unser Vorteil, wir können uns die Zeit nehmen. Pro Patient und Untersuchung planen wir eine Stunde ein. Aber es kann sich auch auf vier Stunden ausdehnen", schildert Glas. Es braucht ein besonderes Vertrauensverhältnis für derartige Untersuchungen. "Das passiert immer im Tempo der Betroffenen."
Wichtig sei es, sagt die Gerichtsmedizinerin, dass die betroffene Person nicht mehrmals schildern muss, was geschehen ist. Daher versuche man schon im Vorfeld genau zu planen, welche Ärzte und Untersuchungen nötig sind. Eine telefonische Kontaktaufnahme im Vorfeld sei deshalb wichtig.
Was es nicht braucht, ist eine Ecard. Die Ambulanz steht jedem offen. Und das kostenlos.
Werden Proben genommen, etwa von DNA-Spuren, werden diese in einem eigenen Kühlraum verwahrt. Zehn Jahre lang. Vor allem deshalb, damit Gewaltbetroffene Zeit zum Nachdenken haben, ob sie Anzeige erstatten wollen. Tun sie das, können die gesicherten Spuren bei einem Gerichtsverfahren verwertet werden. "Aktuell liegen wir bei einer Verurteilungsquote von 7 bis 8 Prozent", sagt Justizministerin Alma Zadić. Oft steht Aussage gegen Aussage. "Mit den Beweisen wollen wir die Quote erhöhen." Als Vorbild nennt die Ministerin Belgien, dort habe sich die Verurteilungsquote verdoppelt.
Eine Außenstelle der Gewaltambulanz Graz soll in Leoben entstehen. Um eine entsprechende Betreuung zu garantieren, will man mithilfe von Telemedizin arbeiten. Bedeutet: Die Ärzte in Graz können bei den Untersuchungen über sichere Verbindungen mitschauen und ihre Expertise einbringen.
Weitere Standorte geplant
Noch kann in Graz keine 24-Stunden-Betreuung angeboten werden. Unter der Woche hat die Ambulanz von 8 bis 16 Uhr geöffnet, am Wochenende und an Feiertagen rund um die Uhr.
Weitere Gewaltambulanzen sollen in Österreich errichtet werden. Geplant sind Standorte etwa in Innsbruck und Salzburg. "Unser Ziel ist es, flächendeckend zu arbeiten", sagt Ministerin Zadić.
Kontakt:
0664/8438241
https://gerichtsmedizin.medunigraz.at/gewaltambulanz
Kommentare