Schauplatz Gericht: Die alltägliche Gewalt gegen Frauen
Es ist eine ganz normale Verhandlungswoche in Österreichs Gerichten. Und das heißt: Gewaltdelikte gegen Frauen stehen praktisch an der Tagesordnung. Im Altbautrakt des Landesgerichts Innsbruck nimmt kurz nach 9 Uhr ein sportlicher junger Mann auf der Anklagebank Platz.
Montag
„Ich habe ihr eine leichte Watschen ins Gesicht verpasst“, wird der 30-jährige Angeklagte im Laufe des Prozesses bestätigen, dass er während eines Streits die Mutter des gemeinsamen Kindes in ihrer Wohnung geschlagen hat, während das kleine Mädchen im Nebenzimmer schlief.
Die „leichte Watschen“ war derart wuchtig, dass das Trommelfell der Frau riss. „Es tut ihm leid“, erklärt der Anwalt des Mannes, sein Mandant bekenne sich schuldig. „Wegen der Taten werden wir nicht lange streiten müssen.“ Und zu diesen gehören auch gefährliche Drohungen, die der Angeklagte mit dem Handy verschickt hatte. Er verpasse ihr „Narben im Gesicht für den Rest ihres Lebens“, sie sei „zum Schlachten“, er werde Benzin über ihre Familie leeren und alle anzünden.
Der Tatverdächtige ist ein in Tirol geborener Österreicher, der Name offenbart Migrationshintergrund, der aber im konkreten Fall keine Rolle spielt. Ein Sachverständiger hat dem Mann vielmehr bereits in einem früheren Verfahren eine „antisoziale Persönlichkeitsstörung“ attestiert. Dass sich der Angeklagte seither offenbar stark Drogen und Alkohol zugewendet hat, dürfte die Sache verschlimmert haben. Im Raum steht eine Einweisung in ein forensisch-therapeutisches Zentrum. Bevor der Schöffensenat ein Urteil fällt, will man beobachten, wie sich der Mann in der Therapie macht, ob er sich an die Auflagen hält. Die Verhandlung wird vertagt.
Dienstag
Ein etwa zwei Meter großer Mann tänzelt nervös vor dem Schwurgerichtssaal im Landesgericht Innsbruck herum. Der 33-jährige einheimische Handwerker soll eine Frau während einer zweijährigen Beziehung immer wieder getreten und geschlagen, sie an den Haaren zurück in die Wohnung gezogen haben und seine Partnerin, als diese schwanger war, gewürgt und gedroht haben: „I bring di um und i bring des Kind um.“
Der Mann bekennt sich nicht schuldig. „Sie wollte mir etwas zu Fleiß tun, weil ich fremdgegangen bin“, behauptet er. Wie es dann zu den Verletzungen gekommen ist? „Das waren sexuelle Handlungen, einvernehmliche“, versichert der Tiroler.
Ein Urteil wird auch in diesem Fall nicht gefällt. Das mutmaßliche Opfer zeigte den Arbeiter zunächst an, verweigerte dann bei einer weiteren Einvernahme mit Verweis auf eine gemeinsame Beziehung die Aussage. Es wird vertagt.
Mittwoch
Schläge soll es täglich gegeben haben. Einmal soll sich der 17-Jährige auf das Gesicht der Frau gestellt haben, bis diese das Bewusstsein verlor. Dazu gibt es Fotos von Blutergüssen, Abschürfungen, Schwellungen und Bisswunden.
Trotzdem sagt der Angeklagte im Landesgericht Wien: „Nicht schuldig.“ Seine deutlich ältere Freundin (26) habe die Anschuldigungen aus Rache erfunden. Tatsächlich hatte die Frau versucht, die Anzeige zurückzuziehen. Sie erklärte der Staatsanwältin im Vorfeld, dass sie wieder mit dem Ex liiert sei und man demnächst heiraten wolle.
Im Gericht erklärt sie: „Ich war sehr wütend, ich wollte ihm Probleme machen.“ Woher dann die Bisse am Oberarm stammten? Angeblich von einer Frau, deren Namen sie nicht nennt. „Und jetzt ist alles gut?“, fragt die Richterin. „Ja“, antwortet die Frau.
„Ein Paradefall, wie ich ihn schon 15 Mal erlebt habe. Er wird freigesprochen werden. Nicht, weil er es nicht gemacht hat, sondern weil wir es ihm nicht beweisen können“, ärgert sich die Staatsanwältin. So kommt es dann auch. Freispruch für den Angeklagten. Gleichzeitig werden gegen die verletzte Frau Ermittlungen wegen falscher Zeugenaussage eingeleitet.
„Bedanken Sie sich bei der Frau“, sagt der Anwalt des Burschen nach Prozessende.
Donnerstag
„86 bin ich“, sagt eine Dame, die vor dem Gerichtssaal in Wien wartet. „Seit zwei Jahren ist mein Kosename Hure.“ „Schauen Sie“, sagt ihre Sitznachbarin und zeigt ihr Handy: „Da schlatzt er mich an.“ Auf anderen Bildern sind blaue Flecken zu sehen.
Die beiden Frauen sind Oma und Mutter des Angeklagten. Der ist erst 18 Jahre alt, arbeitslos, spielsüchtig – und auffallend schmächtig. Vor dem Gericht präsentiert er sich als Unschuldslamm: „Meine Mutter macht Stress und beleidigt mich. Sie schlägt mich auch.“ Als ihn die Mutter aus der Wohnung warf, zog er bei der Oma ein. Auch diese berichtet im Vorfeld Haarsträubendes. „Er wollte seinen Hund auf mich hetzen und hat gesagt: Spring die alte Hure an und f* und beiß sie.“
Vor Gericht allerdings verweigert sie die Aussage. „Ich kann nicht“, entschuldigt sie sich bei ihrer Tochter. Ihre bisherigen Aussagen dürften daher nicht verwertet werden. Übrig bleiben die Vorwürfe der Mutter. Der Richter verurteilt den 18-Jährigen zu zerhn Monaten bedingter Haft; nicht rechtskräftig. Zudem muss er sich einem Anti-Aggressionstraining unterziehen und einen Job finden.
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Fälle wie die genannten prägen den Alltag an den Gerichten. Sie sind ein Spiegel der häuslichen Gewalt, die sich abseits der aufsehenerregenden Fälle – wie den fünf Femiziden an einem einzigen Tag in Wien am 23. Februar – tagtäglich in Österreich abspielt. Ein Umdenken ist im Gang. „Es wird mehr angezeigt“, sagt Hansjörg Mayr, Sprecher der Staatsanwaltschaft Innsbruck.
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