Es sind Lebensgeschichten von Frauen, die selten an die Öffentlichkeit gelangen. Frauen, die ihr eigenes Kind getötet, einen Raubüberfall begangen oder sehr viel Geld abgezweigt haben. „Frauen, die falsche Entscheidungen getroffen haben“, nennt es Autorin Anna Badora. Sie hat diese Frauen in Österreich und Deutschland getroffen. Einige im Gefängnis, die anderen bereits wieder in Freiheit. Und sie hat ihre Geschichten im Buch „Vom Stürzen und Wiederaufstehen“ festgehalten.
Für Badora selbst war der Besuch hinter Gittern eine Premiere. „Mehrere Schleusen, dann eine persönliche Kontrolle und dieser altmodische, riesige Schlüsselbund“, schildert sie. Um dann jene Frauen zu treffen, von denen sie bis zu diesem Zeitpunkt wenig bis gar nichts wusste. „Bei einigen dachte ich, das muss eine Handelsvertreterin oder eine Geschäftsführerin sein.“
Die Gespräche seien anfangs verkrampft und unsicher gewesen. „Aber danach gab es eine tolle Vertrauensebene. Ich musste aufpassen, dass ich durch meine Empathie nicht die Objektivität verliere.“ Neben den persönlichen Schilderungen dienten der Autorin auch die Gerichtsurteile als Basis.
Schicksalsschläge
Den Straftaten gingen oft persönliche Schicksalsschläge voraus. Der Tod einer nahestehenden Person, körperliche Gewalt oder das Gefühl, nicht gewollt zu werden.
9.263 Personen befanden sich mit Stichtag 1. Februar 2024 in Österreich in Haft. Der Frauenanteil beträgt 6,83 Prozent – oder in absoluten Zahlen: 633.
Den größten Anteil machen bei Frauen Vermögensdelikte aus – dicht gefolgt von Delikten gegen Leib und Leben (153). Auf Platz drei: Delikte gegen die Freiheit.
12 Frauen verbüßen Haftstrafen über 20 Jahre bis lebenslang.
Vier Insassinnen sind zwischen 14 und 18 Jahre alt. Der Großteil allerdings ist zwischen 30 und 40. Es gibt auch vier inhaftierte Frauen, die 80 Jahre und älter sind. 389 Insassinnen sind Österreicherinnen.
Badora hörte die Geschichte einer nach außen hin perfekten Familie. Einer Frau, die beruflich engagiert war, eine Familie mit behindertem Kind managte und aufopfernd förderte, ehrenamtlich half und das Haus tipptopp in Schuss hielt. Die durch eine Verletzung und ständige Überforderung immer mehr Tabletten schluckte und schließlich ihre Tochter erstickte.
„Diese Lebensgeschichten haben mich sehr beeindruckt. Sie sind der Spiegel der dunklen Seiten der Gesellschaft“, beschreibt die Buchautorin.
Doch sie erfährt auch viel über den Gefängnisalltag. „Draußen war warmes Wasser immer verfügbar. Hier drin ist es Luxus, ein Privileg. vieles bekommt hier drin einen ganz anderen Stellenwert“, hielt eine Gesprächspartnerin etwa fest. Oder auch das Erstaunen über die völlig neue Erfahrung, mit sich selbst „stundenlang, tagelang ohne jegliche Ablenkung“ allein zu sein. Oder plötzlich gar nichts mehr zu haben, außer das Zugangspaket für Neuankömmlinge in der Justizanstalt. Bestehend aus: Bettzeug, Duschgel, Klopapier und Besteck.
Badoras Gesprächspartnerinnen schildern die herrschenden Hierarchien. Die Probleme, die entstehen, wenn mehrere Menschen den Großteil des Tages gemeinsam auf engstem Raum verbringen müssen. Aber auch die Ängste und Probleme, mit denen die Frauen konfrontiert sind, wenn sie wieder in die Freiheit entlassen werden. Sie erzählen vom Stigma, das sie begleitet. Von Menschen, die sich abwenden. Und davon, zu realisieren, was man jemandem angetan hat. Und von der Hoffnung: „Alles Schlechte bleibt hier (gemeint in der Justizanstalt, Anm.). Ich möchte mich auf das, was kommt, noch freuen dürfen.“
Badora hat aber auch mit Menschen gesprochen, die diese Frauen begleiten, sie betreuen. „Aufzeigen, wie leicht Situationen entstehen können, die zu einem Desaster führen – immer für die Opfer, aber eben auch für die Täterinnen“, sagt etwa Beate Peters, leitende Regierungsdirektorin in Deutschland. „Zu Beginn der Inhaftierung stehen der Schock, die Fassungslosigkeit, die Traumatisierung durch eine oftmals schwere Straftat an erster Stelle“, schildert eine Psychologin. Und mit der Zeit werde die Frage „Wie konnte das passieren?“ zu einem „Wie konnte ich das tun?“.
„Vom Stürzen und Wiederaufstehen – Geständnisse aus dem Frauengefängnis“. Erschienen im Ueberreuter-Verlag. 25,95 Euro.
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