Geheimnisse der Gletscher: Warum Funde gemeldet werden müssen
Vom einst mächtigen Taschachferner ist nur noch wenig zu sehen. Der Gletscher am Ende des Tiroler Pitztales stieß zwischen 1970 und 1987 weiter talwärts vor, jetzt liegt sein Ende Hunderte Höhenmeter über der damaligen Marke.
Der Rückgang des Eises vollzieht sich überall in den Alpen rapide, das lässt auch alte archäologische Artefakte ausapern, die lange im Eis lagen. Ein endloses Archiv, wie Hochgebirgsarchäologe Thomas Bachnetzer von der Uni Innsbruck weiß.
Gemeinsam mit Johannes Pöll vom Bundesdenkmalamt (BDA) war er zuletzt wieder im Bereich dieses Gletschers unterwegs. Unterwegs zur Absturzstelle eines Flugzeuges, das im 2. Weltkrieg die Skoda-Werke in Tschechien bombardiert und dann in den Alpen abgestürzt ist.
Systematische Vermessung
Denn seit einigen Jahren befindet sich die Absturzstelle unterhalb der Eisgrenze, weil sich auch der Taschachferner zuletzt hunderte Meter zurückgezogen hatte. Die Forscher machten sich im August an die erste systematische Begehung, Vermessung und Dokumentation der Absturz- und heutigen Fundstelle.
Für Pöll stellt die Lagefeststellung und Klassifikation der mittlerweile durch die früheren Eis- und nun Geröllbewegungen im steilen Gebiet unterhalb der mächtigen Seitenmoräne verteilten, eher kleineren Wrackteile die primäre und wichtigste denkmalpflegerische Aufgabe dar.
Die Moräne häufte der Ferner bei seiner Maximalausdehnung im Jahr 1855 auf, heute braucht es viel Fantasie, um sich das vorzustellen, sagen Pöll und Bachnetzer.
Der rechte junge Flieger ist nicht der einzige bedeutende Fund auf dem Gletscher. Besonders spannend ist eine Trittfalle, die 2016 am Seekarjoch ganz in der Nähe gefunden wurde.
Trittfalle aus Zirbenholz aus dem 14. Jahrhundert
"Wir haben sechs Jahre gebraucht, um herauszufinden, was das ist", sagt Bachnetzer, der diesen Fund mit seinen Kollegen analysiert hat. Die Trittfalle aus Zirbenholz stammt aus dem 14. Jahrhundert und sei im damals ausschleichenden mittelalterlichen Klimaoptimum, ausgelegt worden, wohl um Steinböcke zu fangen. Das haben die Wissenschafter auch durch eine detailgetreue Rekonstruktion der Falle herausgefunden.
"So etwas hat es bisher in den Alpen nicht gegeben", misst Bachnetzer diesem Fund eine große Bedeutung zu, "solche Funde ermöglichen uns, Übergangssituationen, Wege und den kulturellen Austausch, den die Menschen in den früheren Jahrhunderten gepflegt haben, zu erforschen."
Laienfunde für Wissenschaft bedeutsam
Deshalb appelliert er an alle, die auf den Bergen auf über 2.500 Meter unterwegs sind: Leder, Felle und auch Holzfunde im Zweifel immer mitnehmen und bei einem Archäologen, in einem Museum oder auf einer Uni abzugeben: "Wir Forscher sind auf Laien angewiesen, weil wir unmöglich überall suchen können", erläutert Bachnetzer, manch klein erscheinender Fund entpuppe sich bei näherer Betrachtung als besonders wertvoll.
Und Bachnetzer verweist auf eine von Forschern aus dem Schweizer Wallis entwickelte App namens "IceWatcher": Diese sei eine große Hilfe, aber zu wenig bekannt.
Jedenfalls verschwinden mit den Gletschern die letzten erhaltenen Zeugen, die über die Vergangenheit erzählen können. Dass das organische Material die Jahrhunderte fast unbeschadet überdauern konnte, ist der Konservierung durch Eis, Schnee und den deutlich verlangsamten Abbauprozessen in der Kälte zu verdanken.
Aber gerade organisches Material gehe rasch verloren, wenn es aus dem Eis ausgeapert ist: "Die nächsten Jahre sind entscheidend, jetzt ist unsere letzte Chance, dieses große Archiv aus dem Eis zu erfassen, wenn es freigegeben wird."
Denn in den kommenden Jahren werden nicht nur die Tiroler Gletscher viele alte Artefakte freigeben. Bachnetzer und Kollegen vom BDA haben kürzlich eine Informationssammlung aller bisher bekannten 17 Gletscher-nahen Fundstellen bundesweit zusammengestellt.
Auch am Pfitscherjoch gibt es auf 2.300 Meter Seehöhe Spuren menschlicher Zivilisation aus Klimawarmzeiten, wie Bachnetzer betont: "Wir konnten 2011 bis 2016 nachweisen, dass Speckstein (Lavez) für die Gefäßproduktion abgebaut wurde. Die frühesten Spuren deuten auf einen Beginn im ersten Jahrhundert nach Christus hin. Damals gab es dort auch eine Art kleine Werkstätte."
Der Abbau dürfte einst regionalwirtschaftlich durchaus bedeutend gewesen sein. Insgesamt konnten dort bisher 16 Lavez-Abbrüche dokumentiert werden, erklärte Bachnetzer. Das Areal scheint aber über viele Jahrhunderte hinweg einschlägig genutzt worden zu sein.
Katze, Wilderer und Lederreste
Gefunden werden immer wieder auch kuriose Sachen. Etwa wurde eine Katze im Eis auf über 3.000 Meter Seehöhe entdeckt. Allerdings eine neuzeitliche, wie der Archäologe schmunzelnd feststellt. Wie sie dort hingekommen ist, ist unklar. Jedenfalls sei auch der berühmte "Ötzi" in Südtirol ein Zufallsfund gewesen.
Denkmalschutz für Absturzstelle
Aber zurück zum Flugzeug. Von dem US-Bomber, der 1944 abgestürzt ist, ist bald nichts mehr zu finden, weil Touristen und Andenkenjäger kleine wie auch größere Teile einfach mitnehmen. Nur die großen Teile des Bombers, wie etwa die Motorblöcke, wurden vor einiger Zeit mit einem Helikopter geborgen.
Überbleibsel, die ganz klar zeigen, dass hier ein großer Flieger abgestürzt ist, fehlen mittlerweile fast gänzlich. Manche davon könnten heutzutage auch von Steinen bedeckt sein.
"In ein paar Jahrzehnten wird man dort oben aber möglicherweise gar nichts mehr finden, weil Leute immer wieder Kleinteile mitnehmen", bekräftigt der Archäologe Bachnetzer.
Gerade um das Bewusstsein für die Besonderheit dieser Fundstelle bei der Bevölkerung zu wecken und den weiteren Schwund an Wrackteilen zu unterbinden, kann Pöll sich vorstellen, dass dieser Ort unter Denkmalschutz gestellt werden könnte.
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