Saftige grüne Almwiesen säumen den Weg von Bruck an der Glocknerstraße über Fusch und Ferleiten hinauf zur Franz-Josef-Höhe am höchsten Berg Österreichs.
Die Sonne strahlt, auf über 2.500 Metern Seehöhe hat es knapp 20 Grad, der Mond zeichnet sich am dunkelblauen Himmel wunderschön ab.
Kühe liegen in der Sonne im Gras, Radfahrer mühen sich in ihren bunten Gewändern die Hochalpenstraße hinauf, vielen hilft der Elektroantrieb. Postkartenwetter, alles gut.
Alles gut?
Nein, ganz im Gegenteil. Vor einer Woche erst haben im Tal massive Regenfälle zu schweren Schäden geführt, am Berg wird an diesem Dienstag im September ein Requiem gefeiert: Die Pasterze, der größte Gletscher Österreichs, wird zu Grabe getragen.
Die Kunst
Max Seibald, ein Künstler aus Heiligenblut, hat einen Sarg aus Eis gegossen.
Den tragen Mitglieder des Trauerzuges abwechselnd bis zur Aussichtsplattform unterhalb des Großglockners, mit Blick auf die weit zurückgezogene Pasterze.
Sie tragen schwer, am Sarg aus Eis, und an der Betroffenheit über die Klimakrise. Seibald sagt, der Name der Pasterze kommt von früher, als dort noch eine Viehweide war.
„Wenn es keinen Schnee mehr gibt, werden oben wieder die Kühe weiden“, haben die alten Heiligenbluter ihm immer schon erzählt.
Mit der Aktion will er aufrütteln, mahnen: „Wir müssen zurück zu einem ressourcenschonenden Umgang.“ Die Kärntner Glocknermusikanten spielen „Näher mein Gott, zu dir“, ein Stück, das bei fast jedem Begräbnis gespielt wird.
Zuvor haben sie den Trauerzug mit begleitet. Angeführt von Dompropst Engelbert Guggenberger und der Lienzer evangelischen Pfarrerin Margit Leuthold, waren etliche Klimaschützer, Wissenschafter, Medienvertreter und Touristen dabei.
Die Religion
„Ich richte meine Augen nach oben“, beginnt Leuthold ihre Trauerrede für die Pasterze. 2021 hat diese erneut massiv an Eisfläche verloren. 87 Meter Rückgang wurden gemessen, 2010/2011 betrug der Verlust gar 97 Meter.
„Hier oben ist der Ort für Ehrfurcht und Umkehr“, mahnt Leuthold, „es braucht jetzt unseren ganzen Mut und unser gesamtes Wissen, umzukehren. Das Bild unserer heilen Welt schmilzt wie die Gletscher.“
Allerdings könnten wir „nach Samenkörnern der Hoffnung suchen, die nötig sind für eine nachhaltige Politik“.
Der Kärntner Dompropst Engelbert Guggenberger ergänzt: „Unser Tun und Lassen hat uns zu diesem Requiem geführt.“ Er will damit einen Anstoß zur Umkehr geben, dass „unbequeme Entscheidungen getroffen und konkrete Schritte zum Klimaschutz gesetzt werden“.
Das sei im Sinne der Bewahrung der Schöpfung auch ein Auftrag, das Thema des Klimaschutzes in die Öffentlichkeit zu tragen, denn „Umweltschutz ist eine konkrete Form der Nächstenliebe“.
Die Physik
Von den moralisch-religiösen Zugängen wechselte Christian Salmhofer vom Klimabündnis zur Physik: „Die ist gnadenlos. Kärnten ist keine Insel und die Erde ist keine Scheibe. Die Veränderungen des Klimawandels treffen uns alle, die Ärmsten trifft es früher.“
Um noch deutlicher zu werden: „Wenn die Welt um uns zusammenbricht, sind auch die Villen nicht mehr von ihren Zäunen geschützt.“
Zuvor hatte Barbara Pucker, Geschäftsführerin des Nationalparks Hohe Tauern klar gemacht: „Die Hoffnung, dass wir als Gesellschaft bereit sind, die notwendigen Veränderungen zu gehen, besteht.“
Das sei aus jüngsten Entwicklungen, wie der Reduzierung klimaschädlicher Stoffe abzulesen. Aber auch sie ließ keinen Zweifel an der aktuellen Dramatik.
„Die Pasterze ist immer schon abgeschmolzen, aber noch nie so stark wie jetzt. Die unwiderlegbare Klimaerwärmung ist vom Menschen gemacht und bedroht unsere Lebensräume.“
Sie spricht von einer Zeitenwende. Dabei seien alle Technologien vorhanden: „Jetzt ist die Zeit zu handeln.“ Ansonsten sei klar: Es werden Arten sterben, und es werden neue Arten entstehen. Aber „ob die Art Mensch überlebt, ist offen“.
Die Wissenschaft
Einen drastischen Appell richtete auch Nina Knittel vom Grazer Wegener Center, an die Öffentlichkeit. Ihr sei als Bergsteigerin vor einem Jahr am Gipfel des Großglockners mit „Entsetzen und Trauer“ vor Augen geführt worden, wie es um die Gletscher stehe.
Obwohl sie sich seit Jahren wissenschaftlich damit beschäftige. Und als Wissenschafterin ist sie noch mehr besorgt: „Was den meisten nicht so bewusst ist, ist, dass die Klimawandelfolgen auch mit großen ökonomischen Folgen verbunden sind.“
Symbolisches Begräbnis am Großglockner
Der Rückzug der Gletscher ist eines der deutlichen Zeichen, die der Klimawandel in den Bergen hinterlässt. Tobias Hipp, Experte für den Klimawandel in den Alpen, hat eine düstere Prognose: „Der extreme Rückgang war ganz klar in den letzten 10, 15 Jahren. Bis 2050 werden wir die Hälfte der jetzigen Eisfläche verlieren. Gegen Ende des Jahrhunderts werden die Ostalpen wohl eisfrei sein.“
Der Rückzug der Gletscher führt auch zu einer Instabilität der Berge – ihre Funktion als Stützmauer geht verloren. Dazu der auftauende Permafrost. Der Mix für Steinschlag und gefährliche Felsstürze. Häufig auftretender Steinschlag ist ein Zeichen dafür, dass ein Berg in Bewegung ist.
Aber nicht nur in den Alpen ist der Rückzug der großen Eismassen spürbar. Das Climate Change Institute der University of Maine hat berechnet, wie sich die hohen Temperaturen auf die Neubildung von Eis und Gletschern etwa in der südlichen Hemispähre und der Antarktis auswirkt. Die Vergleichszahlen und Daten sind alarmierend.
Denn dort bildet sich gerade jetzt deutliche weniger neues Eis als in den Jahren zuvor. Dabei soll es sich um die sechsfache Fläche der Größe von Deutschland handeln, die heuer im Winter nicht gebildet worden sei. Eine Abweichung, die bislang in der Größenordnung noch nicht vorausgesehen worden war.
Und auch der Grönländische Eisschild hat gelitten: 2019 – im Rekordjahr – hat er 532 Milliarden Tonnen Eis verloren. Grönland trägt seit 2005 am stärksten zum Meeresspiegelanstieg durch Schmelzwasser bei.
Einer Studie ihres Instituts an der Uni Graz zufolge sei in Österreich bis Mitte dieses Jahrhunderts mit jährlichen Kosten in der Höhe von bis zu 10,8 Milliarden Euro zu rechnen.
„Natürlich kann man sich an manche Folgen anpassen“, erklärt die Wissenschafterin, „aber vor allem mit stärkerer Erwärmung haben wir begrenzte Ressourcen.“
Und weil eben die Grenzen der Anpassung rasch erreicht sind, appelliert Knittel: „Unser Handeln bestimmt, ob wir gut leben können oder nicht.“
Emissionen drastisch zu reduzieren sei wirtschaftlich sinnvoll, steigere die Lebensqualität und stärke die Wertschöpfung im Land. Knittel: „Es gibt keinen vernünftigen Grund, nicht sofort mit echtem Klimaschutz zu beginnen.“
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