323 öffentlich zugängliche Berg- und Schutzhütten hat der Deutsche Alpenverein (DAV) in den Alpen und im deutschen Mittelgebirge, rund 170 davon liegen in den österreichischen Bergen.
Der Zustand der nördlichen Alpen ist für den Verein und seine fast 1,5 Millionen Mitglieder nicht zuletzt deshalb von großer Bedeutung, die Experten des DAV achten genau auf die Veränderungen, die der Klimawandel in den Bergen auslöst.
Nicht erst, seit der Fluchthorn-Gipfel in der Silvretta-Gruppe im Juni ins Tal donnerte. Denn der DAV bekennt sich dazu, bis 2030 klimaneutral zu sein.
Es war nicht der erste Gipfel, es wird nicht der letzte sein. Daran lassen die Experten des DAV keinen Zweifel.
Aber schmelzende Gletscher und bröckelnde Berge sind „nur“ die sichtbarsten Auswirkungen Klimawandels. Da gibt es noch viele Probleme.
Lokalaugenschein, ganz hinten im Tiroler Ötztal, fünf Stunden Fußmarsch und knapp 1000 Höhenmeter von Obergurgl entfernt.
Wild rauschen Bäche in den steilen Berghängen ins Tal, Murmeltiere pfeifen, Schafe, Kühe und Pferde weiden.
Nach einem 300 Jahre alte Zirbenwald öffnet sich das alpine Hochgebirge. Der besonders langsam wachsenden Zirbe geht es noch gut, aber sie bekommt „Druck“ von unten, andere Bäume drängen nach oben – der Klimawandel.
Infrastruktur gefährdet
Im Gebirge leidet die Sektion Karlsruhe des DAV seit zehn Jahren spürbar an den direkten Folgen des Klimawandels. Das Hochwildehaus, eine Berghütte wie aus dem Bilderbuch auf 2883 Metern Seehöhe, musste geschlossen werden, weil sich die Südfassade massiv gesenkt hatte.
Errichtet 1939, damals noch fast direkt am Gletscher, thront sie heute hunderte Meter über dem massiv zurückgegangenen Gurgler Ferner.
Monika Zeilhofer, Expertin des DAV für nachhaltigen Hüttenbau, erklärt die Problematik: Einerseits wurde das Haus fast ohne Fundament auf damals noch stabilem Permafrostboden errichtet.
Dieser ist jetzt komplett aufgetaut. Die Risse könnten in der Fassade könnten auch auf die nun herrschenden Tau- und Frierbewegungen zurückzuführen sein: „Im Winter hebt der Frost das Haus, im Sommer sinkt es ab. Diese Bewegungen hat es vor 15, 20 Jahren in dieser Höhe noch nicht gegeben.“ Beides ausgelöst durch die höheren Temperaturen in den Bergen.
Auch die Wasserknappheit durch trockene Sommer trifft die Alpenvereinshütten massiv. Voriges Jahr musste etwa die Neue Prager Hütte deshalb frühzeitig schließen.
Erste Konsequenz; Um Wasser in den Grundwasserreservoirs zu sparen werden auf Hütten Duschen geschlossen. Wenn oben die Gletscher geschmolzen sind, wird es auch unten trocken. Die Gurgler Ache etwa wird zu knapp 80 Prozent im Sommer vom Gletscher gespeist.
Klimafolgen in den Bergen
Wasser: Zu wenig, zu viel
Da „helfen“ dann auch die Starkregenereignisse nicht, die mit der Erderwärmung massiv zugenommen haben. Im Gegenteil. Diese ziehen die Wege stärker in Mitleidenschaft, häufigere Einsätze in der Wegepflege sind die Folge.
Vieles davon passiert nämlich ehrenamtlich, durch die Mitglieder der jeweiligen Sektion, in deren Einzugsgebiet die Hütten liegen.
Wegebau und Infrastruktur – ein großes Thema, ausgelöst durch den Klimawandel, sichtbar im Tiroler Ötztal am Weg zwischen der Langtalereckhütte und dem Ramolhaus.
Die Schlucht, die der Gurgler Ferner hinterlassen hat, trennt die beiden Hütten. Bis vor etwa zehn Jahren hat der Gletscher die beiden Hütten aber noch verbunden, selbst Wanderer konnten über das Eis sicher den Weg von einer zur anderen Hütte finden.
Gefährliches Toteis
Durch den dramatischen Rückzug hat der Gletscher im zuletzt noch begehbaren Bereich viel gefährliches Toteis entwickelt, brüchiges Eis mit Abbruch- und Steinschlaggefahr. Heute führt eine mächtige Hängeseilbrücke über den Talboden, errichtet vom Tourismusverband, dem Land Tirol und dem DAV im Jahr 2016 um 410.000 Euro.
Dennoch steht der Alpenverein solchen Projekten – und übrigens auch dem Ausbau von Schigebieten – kritisch gegenüber. „Einige Wege werden für Wanderer nicht mehr begehbar sein“, erklärt Zeilhofer, denn der „Wegebau in den Alpen muss auch langfristig nachhaltig bleiben.“
Die Brücke wurde 2026 vom Tourismusverband, dem Land Tirol und dem DAV errichtet
Sie hat eine Spannweite von 138 Metern, einen Durchhang von sieben Metern und wurde in 82 Metern Höhe über dem Talboden installiert
Die Brücke ist nach dem deutschen Forscher Auguste Picccard benannte, der mit seinem Assistenten Paul Kipfer auf dem Gurgler Ferner 1931 notlanden musste. Die beiden waren mit einem Ballon in die Stratosphäre in 15.785 Meter Höhe aufgestiegen und gelten als erste Menschen, die die Erdkrümmung mit eigenen Augen gesehen haben.
Piccard und Kipfer mussten einen Nacht im Mai auf dem Gurgler Ferner verbringen, ehe sie gerettet wurden. Der Stratosphärenball ging durch die Weltpresse und machte Obergurgl international bekannt.
Dazu kommt die problematische Klimabilanz, die der Bau der monströsen Brücke mit 16.500 Kilo Stahl und unzähligen Hubschrauberflügen auslöst.
Den Rückzug der Gletscher hat auch Sigi Gufler im Auge. Er ist seit 49 Jahren auf der Langtalereck Hütte, die jetzt sein Sohn vom DAV gepachtet hat: „Der Gletscher geht irrsinnig zurück. Früher ist er ja in die Schlucht bis zu uns herein gegangen.“
Eis ist nicht mehr ewig
Die Gletscher sind verwundet, gefährliches Toteis prägt das Bild der Randzonen. Vom ewigen Eis kann in den Ostalpen keine Rede mehr sein.
Überwachung
„Wann und wo ein Felssturz passiert, lässt sich nicht vorhersagen“, weiß Experte Tobia Hipp. Einige Berge im Allgäu – am Hochvogel an der Grenze zu Tirol wird längst ein Bergsturz erwartet – und in Österreich stehen unter Beobachtung, flächendeckend alle Berge vermessen ist unmöglich
Tückische Hitze
Eine lange Hitzewelle in den Bergen, wie jene des letzten Sommers, macht sich erst mit Verzögerung bemerkbar. Deshalb kommt es auch mitten im Winter bei Eiseskälte zu Felsstürzen ausgelöst durch auftauenden Permafrost, der schon bei drei Grad Minus instabil wird
Tobias Hipp, Experte für den Klimawandel in den Alpen, hat eine düstere Prognosen: „Der extreme Rückgang war ganz klar in den letzten 10, 15 Jahren. Bis 2050 werden wir die Hälfte der jetzigen Eisfläche verlieren. Gegen Ende des Jahrhunderts werden die Ostalpen wohl eisfrei sein.“
Der Rückzug der Gletscher führt auch zu einer Instabilität der Berge – ihre Funktion als Stützmauer geht verloren. Dazu der auftauende Permafrost. Der Mix für Steinschlag und gefährliche Felsstürze. Häufig auftretender Steinschlag ist ein Zeichen dafür, dass ein Berg in Bewegung ist.
Durch den Klimawandel ändert sich das Bergsteigen in der Region Ötztal eher optisch, „in steileren Bergen ist das Problem des Steinschlags massiv“, schildert Bergführer Hans Hocke: „Mache Wege werden gar nicht mehr gehen. Es gehen jetzt schon im Norden einige Routen nicht mehr.“
Hocke rechnet damit, dass Touren im Sommer auf Gletscher bald nicht mehr möglich sein werden – zu gefährlich, weil Schnee die Gletscherspalten nicht mehr bedeckt: „Auch Hochtouren haben keine Zukunft. Dabei boomt der Bergsport gerade. Alle wollen in die Berge, die Nachfrage ist enorm.“
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