Gefangen im IS-Lager: Auch Evelyn will zurück

Gefangen im IS-Lager: Auch Evelyn will zurück
2016 verließ sie Österreich. Seit Jahren sitzt sie mit ihrem Sohn fest. Heimische Behörden stellen sich taub. Die Entscheidung im Fall Maria G. gibt ihrer Familie Hoffnung.

Es sollen Zehntausende IS-Frauen und ihre Kinder sein, die seit Jahren in kurdischen Lagern untergebracht sind. Die hygienischen Zustände sind schlecht. Im Winter sind kleine Gasöfen in den Zelten die einzige Möglichkeit, sich zu wärmen. Manchmal führt das zu Explosionen mit Todesopfern.

Die Frauen stammen aus vielen Ländern. Auch aus Österreich.

Nicht nur Maria G. aus Salzburg ist mit ihren beiden Söhnen im Camp Roj eingesperrt, zumindest eine weitere Österreicherin mit ihrem Sohn sitzt hier fest. Es handelt sich um die 25-jährige Evelyn und ihren 8 Jahre alten Sohn.

Es ist ein sonniger Nachmittag, an dem der KURIER Cecilia T. in der Kanzlei ihrer Anwältin Anna Mair in Wien trifft. Cecilia T. ist die Mutter von Evelyn. Die Nachricht, dass ein österreichisches Gericht die Rückholung von Maria G. und ihren Söhnen angeordnet hat, hat sie ins Mark getroffen. 

„Ich kann das gar nicht erklären. Ich stehe komplett neben mir“, sagt sie. Die Hoffnung, dass sie auch ihre Tochter wieder in den Armen halten kann, ist groß. „Aber was, wenn nicht? Und Evelyn gerät dann in Vergessenheit? Ich stehe mit dem Gedanken auf und gehe damit schlafen.“

Reisepass der Schwester

Cecilia T. ist Christin, ihr Mann Moslem. „Wir haben die Kinder offen erzogen“, erzählt sie. Ihre Tochter hatte Pläne, Evelyn wollte Tierpflegerin werden.

2015, so erinnert sie sich, habe sich Evelyn in einen Burschen verliebt. Sie nahm heimlich den Reisepass ihrer älteren Schwester und sei plötzlich weg gewesen. Zwei Monate lang suchten sie die Eltern. Und fanden Evelyn in Istanbul. Das Mädchen war mit einem jungen Mann dorthin gereist, der sich später als Ehemann herausstellen sollte. „Wir wussten davon nichts“, sagt Cecilia T.

Gefangen im IS-Lager: Auch Evelyn will zurück

Der KURIER traf Mutter Cecilia T. (re.) in der Kanzlei ihrer Rechtsanwältin Anna Mair (li.) in Wien 

Heikel: Der Ehemann stammt aus einer afghanischen Großfamilie, die in Österreich als brandgefährlich gilt, mehrere Familienmitglieder hatten sich dem IS angeschlossen. Ein Verwandter tauchte auch im Zuge der Ermittlungen nach dem Terroranschlag von Wien auf. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.

Junge Österreicherin in IS-Hochburg

Evelyn kam wieder nach Österreich zurück, musste kurzfristig sogar in Haft, weil der Verdacht bestand, sie sei in Syrien gewesen. Ab diesem Zeitpunkt, so beschreibt es ihre Mutter, sei ständig der Verfassungsschutz vor der Tür gestanden. „Egal, wo es Vorfälle mit dem IS gegeben hat, ob in Frankreich oder Belgien, es hat an unserer Tür geklingelt.“

Am 9. Juni 2016 verschwand Evelyn erneut. Diesmal nach Syrien zu ihrem Mann. Wie, das ist der Mutter ein Rätsel. „Sie hatte keinen Pass mehr.“ Evelyn war in Raqqa, der Hochburg des IS. Der Kontakt hielt. „Das Schlimmste war, wenn sie sich mehrere Tage nicht gemeldet hat“, erzählt die Mutter. 

Das Paar habe dem IS entfliehen wollen, sagt sie. Der Ehemann wurde schließlich schwer verletzt, Evelyn hatte gerade ihr Baby bekommen. Eine Flucht aus Syrien misslang – die Kurden nahmen das Paar fest. Der Mann sitzt aktuell in Bagdad (Irak) in Haft, wurde zum Tode verurteilt. Evelyn und ihr frisch geborener Sohn, der an Herzproblemen leidet, wurden in ein Gefangenenlager gebracht.

Hilfsmittel über Verein

Mehrmals konnte Cecilia T. zu ihrer Tochter ins Lager, versorgte sie mit dem Nötigsten. Das letzte Mal sah sie Evelyn im Dezember 2022. Noch immer kümmert sie sich darum, ihre Tochter und den Enkelsohn zu versorgen. Sie hat einen Verein gegründet, lässt über Mittelsleute Lebensmittel oder Medikamente kaufen, die dann ins Lager gebracht werden. Die heimischen Ermittlungsbehörden nennen das Terrorismusfinanzierung. Es läuft ein Verfahren, die Vereinskonten wurden mehrfach gesperrt.

Anwältin Mair hat Anträge für die Rückholung der jungen Frau und des Kindes eingebracht. Bisher ohne Erfolg. „Es gibt ja auch eine Festnahme-Anordnung. Evelyn will zurückkommen und sich einem Strafverfahren stellen“, sagt Mair. Die heimischen Behörden haben bisher keine Bereitschaft signalisiert. „Das gleicht einer Verurteilung aus der Ferne.“