Finale im Mordprozess: Vater von Leon in der Hand der Geschworenen
Ist Florian A. bei einem nächtlichen Spaziergang mit seinem sechsjährigen Buben von hinten niedergeschlagen worden und bewusstlos zu Boden gegangen? Ist sein das Wasser liebender und von Geburt an beeinträchtigter Sohn Leon in dieser Zeit aus dem Kinderwagen gekrabbelt, zur tosenden Kitzbüheler Ache gegangen und dabei in diese gestürzt?
Oder hat der unter Mordverdacht stehende Vater des Buben sein Kind in den Fluss geworfen, wo es hilflos ertrunken ist? Hat sich der 39-Jährige mit einer mitgebrachten leeren Sektflasche zur Vortäuschung eines Raubüberfalls am Kopf verletzt und sich zuvor seiner Wertsachen entledigt?
Am Donnerstag werden die acht Geschworenen am dritten Verhandlungstag in diesem mit großem Medieninteresse verfolgten Prozess am Landesgericht Innsbruck noch einmal Zeugen und weitere Gutachter hören.
Videomaterial
Die Verteidigung, so heißt es von dieser, wird eventuell noch einen Anlauf nehmen, dass Videos vorgeführt werden dürfen, „die vor allem die Beweglichkeit von Leon, seine Fähigkeit, laufen zu können, sowie seine Wasseraffinität zeigen“ sollen.
Sollte es zu keinen Überraschungen kommen, werden an diesem Tag die Laienrichter das letzte Wort haben. Nur sie befinden über Schuld oder Unschuld. Und die Aufgabe dürfte in diesem Fall, da sind sich Prozessbeobachter einig, wohl keine leichte sein. Denn die Anklage stützt sich ausschließlich auf Indizien und Gutachten.
Große Geschütze
Die Strafverteidiger von Florian A., Albert Heiss und Mathias Kapferer, haben große Geschütze aufgefahren, um die Beweiskette zu erschüttern. Mit einer ganzen Reihe von beauftragten Gutachtern haben sie versucht, Zweifel an den Ermittlungen zu säen oder den Gutachtern des Gerichts mit eigenen Sachverständigen zu begegnen.
An Tag eins saßen gleich fünf von ihnen neben den beiden Anwälten. Ein ungewöhnliches und womöglich auch für die Geschworenen eindrückliches Bild.
Dass Strafverteidiger zu Prozessbeginn auf den Zweifelsgrundsatz hinweisen, gehört zu deren Standardrepertoir. Dieser sei nicht nur „eine leere Worthülse“, so Kapferer an Tag eins. In diesem Fall kommt dem Zweifelsgrundsatz aber eine besondere Bedeutung zu.
Was fehlt
Es gibt keine Augenzeugen dessen, was im Sommer 2022 an der Kitzbüheler Ache in St. Johann in Tirol passiert ist. Kein Geständnis. Aber auch keine Spur von einem möglichen Unbekannten, der Florian A. überfallen haben könnte.
Die Verteidiger konnten aber unter anderem auch aufzeigen, dass die Ermittler das Überwachungsvideo eines Geschäfts auf dem Weg von Florian A. und seinem Sohn nicht sicherstellen konnten. Die Kriminalisten hatten sich zu lange Zeit gelassen, sodass die Aufnahmen der automatischen Löschung zum Opfer fielen.
Staatsanwalt Joachim Wüstner zeichnete den Geschworenen das Bild des Angeklagten als von der Betreuung seines behinderten Buben überforderten Mannes. Dem versuchten die Verteidiger mit Zeugen entgegenzuhalten.
Klärung der Schuldfrage
Aber der die Verhandlung führende Richter Rainer Fleckl ließ keine Fragen zum Familienleben des Angeklagten und dem gesundheitlichen Zustand des Kindes zu. Diese Umstände „könnten eine Basis dafür bieten, sich ein Motiv zusammenzureimen“, aber trügen nichts zur Klärung der Schuldfrage bei, so Fleckl.
Das könnte durchaus ein richtungsweisender Wink gewesen sein, dass das Motiv für das Schwurgericht nicht im Vordergrund stehen soll, sondern das, was sich in den Nachtstunden des 28. August 2022 abgespielt hat. Für einen Schuldspruch müssten mindestens fünf Geschworene von einem Mord durch Florian A. überzeugt sein.
Von ihm konnten sich die Laienrichter bereits vor zwei Wochen an zwei Verhandlungstagen ein Bild machen. Sie erlebten einen redegewandten, sportlichen Mann, der seine Version der Geschehnisse relativ nüchtern berichtete. Der aber auch in den Erzählungen über seinen Sohn und die Beziehung zu ihm in Tränen ausgebrochen ist.
Tränenreich war auch der Auftritt von Leons Mutter, der Frau des Angeklagten. Vor ihrer Befragung umarmte sie weinend ihren Mann, mit dem sie noch ein weiteres Kind hat und der seit über 500 Tagen in Untersuchungshaft sitzt. Die Frau zeigte sich von der Unschuld ihres Partners überzeugt.
Sehen die Geschworenen das anders, droht dem Angeklagten bis zu lebenslange Haft.
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