Mordprozess im Fall Leon: Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Mordprozess im Fall Leon: Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Vater des Buben bekannte sich zum Auftakt der Verhandlung "nicht schuldig". Die Geschworenen sollen die Wahrheit zwischen Gutachten und Indizien finden.

Leon hatte keine Chance, das steht fest. Im Sommer vor zwei Jahren ertrank der seit seiner Geburt körperlich und geistig beeinträchtigte Bub im Alter von sechs Jahren in St. Johann in Tirol in einem reißenden Fluss. 

Sein Vater steht unter Mordverdacht. Der 39-Jährige muss sich seit Mittwochmorgen am Landesgericht Innsbruck verantworten.

Staatsanwalt Joachim Wüstner zeigte sich zum Auftakt des auf drei Tage anberaumten Prozesses überzeugt, dass Florian A. "seinen Sohn in die Hochwasser führende Kitzbüheler Ache geworfen hat". Der Version, der zu Beginn auch die Ermittler folgten, schenkt der Ankläger keinen Glauben.

Erste Version

Zunächst gingen die Beamten davon aus, dass der zweifache Vater bei einem nächtlichen Spaziergang mit seinem Sohn, der immer wieder unter Schlafstörungen litt, von einem Unbekannten niedergeschlagen wurde. Und sich der Sechsjährige, der das Wasser liebte, während der Bewusstlosigkeit des 39-Jährigen in die Ache begeben hat und in diese gefallen ist.

"Er hat sein Kind getötet", hält Wüstner dem gebürtigen Deutschen vor, der mit seiner Familie im Tiroler Unterland lebt. "Er ist nicht Opfer von einer Straftat, er hat eine begangen." Dem Angeklagten gesteht er zu, dass dieser sich viele Jahre liebevoll um Leon gekümmert haben mag. 

"Aber auch liebenswürdige Menschen sind zu Mord fähig", erklärte der Staatsanwalt Richtung Geschworene.

Mordprozess im Fall Leon: Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Es ist ein aufgeräumter, sportlicher Mann, der am Mittwoch um 9 Uhr den Schwurgerichtssaal betritt. Er wird empfangen von den Linsen zahlreicher TV-Teams und Pressefotografen. Das Medieninteresse ist enorm. Etliche Journalisten aus Österreich aber auch der deutschen Heimat von A. verfolgen den Prozess.

"Nicht schuldig"

Er bekannte sich "nicht schuldig". In seiner Schilderung der fraglichen Nacht räumt der 39-Jährige immer wieder ein, dass er sich nicht mehr an alles erinnern, sondern manches nur noch aus dem Akt rekonstruieren könne. Er tritt selbstbewusst auf, hin und wieder aber bricht dem Mann die Stimme oder er spricht von Tränen erstickt.

Schon bevor er ausführlich zu Wort kommt, nimmt Mathias Kapferer die Geschworenen ins Gebet. Der Tiroler Rechtsanwalt vertritt die Mutter von Leon, verteidigt aber gemeinsam mit dem erfahrenen Strafverteidiger Albert Heiss auch den Angeklagten. 

"Zwischen die beiden Ehegatten passt kein Blattl Papier", versichert Kapferer. Die Laienrichter ermahnt er, dass der Zweifelsgrundsatz "nicht nur eine leere Worthülse ist". Wenn sie nicht mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit überzeugt seien, dass sein Mandant schuldig ist, müssten sie ihn freisprechen.

Private Gutachter

Für Kapferer finden sich im Akt zu dem Fall, nicht nur Zweifel, "sondern ganz eindeutige Beweise, dass er die Wahrheit gesagt hat." Allein zum Prozessauftakt hat das Verteidiger-Duo fünf privat beauftragte Gutachter neben sich sitzen, die den Sachverständigen des Gerichts gegenüber gestellt werden sollen.

Deren Aussagen, aber auch die Interpretation der Beweise wird für die Geschworenen bei ihrer Urteilsfindung im Zentrum stehen. "Es kommt jetzt eine schwierige Aufgabe auf sie zu", so Kapferer zu den Laien. Die Verteidigung stellt unter anderem die Qualität der Ermittlungsarbeit infrage.

Die Staatsanwaltschaft zeichnet das Bild eines nach Jahren der extrem fordernden Betreuung am Ende seiner Belastbarkeit angekommenen Vaters. Vier Tage vor dem Tod von Leon habe sich herausgestellt, dass die Familie trotz vieler Bemühungen keinen Kindergartenplatz bekommen hat.

"Der schlimmste Tag in meinem Leben"

Aus einer Chatnachricht von Florian A. an seine Frau zitiert Wüstner: "Es fühlt sich an wie der bisher schlimmste Tag in meinem Leben."

Kapferer wiederum versichert, dass es dem Buben 2022 viel besser gegangen sei als in den Jahren zuvor. Sogar Aussicht auf Heilung des seltenen Gen-Defekts, unter dem Leon litt, sei in den kommenden 10 Jahren absehbar.

In den kommenden Tagen wird sich das Verfahren unter dem Vorsitz des erfahrenen Richters Andreas Fleckl unter anderem um DNA-Spuren, Videos, Chats, einen Schrittzähler am Handy des Vaters und vielem mehr drehen.

Bagatellverletzungen

Am Mittwoch ging es zwischen den Gutachtern beider Seiten bereits in der Frage hoch her, ob sich der Angeklagte eine im Kinderwagen mitgeführte Flasche - er will von ihr nichts gewusst haben - selbst über den Kopf gezogen haben kann oder nicht.

Gerichtsmediziner Walter Rabl sprach von "Bagatellverletzungen" beim 39-Jährigen, mit denen eine längere Bewusstlosigkeit nicht erklärbar sei.

Ein Urteil wird am 1. August erwartet.

Kommentare