KZ-Zeitzeuge: "Menschen haben keine Lehren für die Zukunft gezogen"
"Es war super, bis zu dem Tag, an dem die Zeit kam, an die wir uns bis heute erinnern." Stanislaw Zalewski wird nächstes Jahr 100 Jahre alt. Am 1. September 1939 ging der damals knapp 14-Jährige wie immer in Warschau zur Schule, als die deutschen Flugzeuge über Polen donnerten. "Sicher nur eine Übung", hätten viele damals gesagt. Ihm war klar: "Das war der erste Kriegstag."
Zalewski öffnet für die 100-minütige Dokumentation "Botschafter des Erinnerns" sein Familienalbum und holt seine Erinnerungen hervor. Es ist wieder September, 1943. Zalewski ist 17, als Mitglied einer polnischen Widerstandsgruppe wird er in Warschau verhaftet.
Zalewski kommt erst nach Auschwitz-Birkenau, dann nach Mauthausen, schließlich nach Gusen in Oberösterreich. Dort hat er unter unmenschlichen Bedingungen für die deutsche Rüstungsindustrie gearbeitet.
Der Tod ist allgegenwärtig, er sieht tagtäglich, wie Nazi-Schergen jüdische Mithäftlinge umbringen.
Schrecken machte sprachlos
Die Schrecken des Lagers haben Zalewski, wie so viele, lange Zeit sprachlos gemacht. „Meine Erinnerungen habe ich in eine wasserdichte Kiste eingepackt, mit einer Schnur umwickelt und ins Wasser geworfen", beschreibt der Zeitzeuge seinen Umgang mit den Erlebnissen, "ich ziehe sie gelegentlich hoch, aber nach der Benützung des Inhalts werfe ich sie wieder ins Wasser.“ Das sei nötig, um einigermaßen "normal und kreativ leben zu können."
Über Auschwitz erzählt Zalewski: "Ich erinnere mich, wie nackte Frauen, lebend, mit Lkws von der Baracke in die Gaskammer gebracht wurden. Ihre Schreie höre ich im Unterbewusstsein."
Von Mauthausen wurden er und seine Mithäftlinge zu Fuß nach Gusen getrieben. "Wer hinfiel, stand nicht mehr auf", weiß Zalewski, vor dessen Augen hunderte Morde begangen wurden.
Magdalena Żelasko hat Zalewski über drei Jahre lang begleitet, aus über hundert Stunden Aufnahmen entstand schließlich der Dokumentarfilm Botschafter des Erinnerns - der am 1. September, dem Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, in die Kinos kommt.
Vergebung ist möglich
In dem Dokumentarfilm stellt sich Zalewski auch die Frage nach der Vergebung: "Kann man die Schuld denen vergeben, die auf der Gürtelschnalle die Aufschrift „Gott mit uns“ hatten und mit voller Absicht Menschen töteten?"
Seine Antwort ist ja, denn der Krieg verwische die Grenzen zwischen Gut und Böse". Und damit das nicht bleibe, müsse es eine Versöhnung zwischen den Völkern geben: "Aber eine Versöhnung ohne historische Wahrheit und Vergebung ist nur eine Brücke ohne Geländer zwischen den Ufern einer Schlucht. Man kann darüber gehen, aber nicht furchtlos."
Deshalb setzt er sich seit Jahrzehnten für den Erhalt und die Errichtung von Gedenkstätten ein. Aber Gedenkstätten wie jene in Gusen sollen kein Denkmal sein: "Wir brauchen Orte, die auf die Geisteshaltung und die Intelligenz jener Menschen einwirken, die diesen Ort besuchen werden."
Keine Lehren gezogen
Eindrücklich sind die Szenen, die Zalewski in Gedenkstätten zeigen, wo ihm immer wieder bewusst wird: "Die Menschen haben aus dem, was hier geschah, keine Lehren für die Zukunft gezogen. Das bezeugen die Vorfälle und Ereignisse, die sich überall auf der Welt abspielen."
Im KZ Gusen II war Zalewski Teil der Kommandos Messerschmitt und Bergkristall und musste im Stollensystem Bergkristall mithelfen, Flugzeugteile für die Nazis zu produzieren. Nach seiner Befreiung gelangte er mit einem Transport der US-Armee nach Nürnberg. In einem 72 Tage langen Fußmarsch kehrte er nach Polen zurück.
Filmemacherin Magdalena Żelasko war vom damals 94-jährigen Stanisław Zalewski sofort ergriffen, als sie ihm in Wien zum ersten Mal begegnete: "Wie kann es sein, dass jemand, der 600 Tage in Gefängnissen und KZ-Lagern verbracht hat, dermaßen vor Lebensfreude sprüht und immer noch die Kraft hat, immer wieder zwischen Polen und Österreich hin- und herzureisen, um als Zeitzeuge mit jungen Menschen zu sprechen?"
Der Film beantwortet diese Frage. Und nein, dieser Film ist kein Heldenepos. Żelasko gibt ihrem Protagonisten alle Zeit und jeden Raum, einfach zu erzählen. Und Zalewski hat viel zu erzählen. Und mit dem Film sind alle Erinnerungen des letzten Zeitzeugen aus Gusen, der noch über diese Zeit authentisch zu reden vermag, für die Nachwelt gesichert.
Der Film wird nach Österreich auch in mehr als zehn weiteren Ländern präsentiert. "Hoffentlich wird er dabei viele Menschen, unabhängig von Herkunft, Alter und kultureller Verwurzelung erreichen", wünscht sich Żelasko.
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