Femizide in Österreich: „Schweigen ist eine Zustimmung“
Die Wohnungstür stand offen, das Schlafzimmer war versperrt. Eine 32-Jährige und ihre Tochter, die in zwei Tagen 15 Jahre alt geworden wäre, lagen auf dem Bett – leblos. Dieses Bild bot sich der Polizei am Donnerstagabend in einer Wohnung in der Mollardgasse (Wien-Mariahilf). Den beiden Frauen waren tödliche Verletzungen am Hals zugefügt worden, wie die Obduktion nun ergab.
Die Polizei geht von einem Doppelmord aus, das Landeskriminalamt Wien ermittelt in dem Fall. Vom tatverdächtigen Lebensgefährten der getöteten Mutter, einem 49-jährigen Tunesier ohne Vorstrafen, fehlte auch am Samstag jede Spur. Das Motiv der Tat? Darüber könne ohne eine Einvernahme des Tatverdächtigen nur spekuliert werden, heißt es von der Polizei. Die beiden Söhne der 32-jährigen Ungarin, sieben und neun Jahre alt, werden von einem Kriseninterventionsteam betreut.
Der Fall der beiden Frauen reiht sich in eine traurige Statistik ein: Es wären der 22. und 23. Femizid in Österreich in diesem Jahr. Zum Vergleich: Laut Kriminalstatistik gab es im gesamten Vorjahr 29 weibliche Mordopfer.
Der bisherige Höchststand wurde 2018 mit 41 getöteten Frauen erreicht. Laut einer Analyse des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser werden mittlerweile etwa drei Frauen im Monat ermordet. Beim überwiegenden Teil der Frauenmorde habe ein Beziehungs- oder familiäres Verhältnis zwischen Täter und Opfer bestanden, heißt es.
"Massiver Hass"
„Wir haben gute Gesetze in Österreich, aber leider werden diese Gesetze nicht richtig umgesetzt“, sagte die Geschäftsführerin des Vereins, Maria Rösslhumer, am Freitag in der „ZIB Nacht“. Frauen würden immer wieder von den Behörden im Stich gelassen, in ihrer Situation nicht ernst genommen, nicht adäquat unterstützt.
Zudem herrsche in Österreich ein „frauenfeindliches System“: „Wir erleben immer wieder massiven Hass an Frauen, und der tagtägliche Sexismus spielt eine große Rolle.“ Das führe dazu, dass Gewalt akzeptiert werde. „Dieses Schweigen, das wir erleben – von der Regierung, von den PolitikerInnen – das ist eigentlich eine Zustimmung der Gewalt“, kritisiert sie.
Diese Haltung wirke sich auch auf Männer aus: „Je patriarchaler unsere Gesellschaft ist, umso mehr Männer haben dieses toxische Verhalten“, erläutert Rösslhumer. Viele Männer könnten mit Zurückweisungen nicht umgehen, weshalb es meist in Trennungssituationen zu Gewalt gegen Frauen kommt. In solchen Fällen müssten sich Männer Hilfe suchen, entsprechende Programme gebe es bereits. „Aber viele Männer holen sich keine Hilfe“, so die Erfahrung der Expertin.
Ganzheitlicher Ansatz
Der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser fordere seit Jahren einen ganzheitlichen Ansatz, um Morde an Frauen zu verhindern. Dieser würde auch der Istanbul-Konvention entsprechen, einem Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, das auch Österreich 2013 ratifiziert hat.
„Wir müssen auf allen Ebenen arbeiten: Bei der Bewusstseinsbildung, bei der Prävention, bei der Strafverfolgung der Täter“, betont Rösslhumer. Zu viele Anzeigen würden eingestellt, zu oft würden sich Behörden von Tätern blenden lassen. Hinzu komme, dass die Schuld oftmals bei den betroffenen Frauen gesucht werde. „Dieses Verhalten ist einfach nicht tragbar.“
Hinweis für von Gewalt Betroffene
Gewalt von Männern gegen Frauen gibt es in allen sozialen Schichten, Nationen, Familienverhältnissen und Berufsgruppen. Morde an Frauen können auch Femizide sein. Der Begriff soll ausdrücken, dass hinter diesen Morden oft keine individuellen, sondern auch gesamtgesellschaftliche Probleme wie etwa die Abwertung von Frauen und patriarchale Rollenbilder stehen.
Hilfe für Gewalt-Betroffene gibt es hier: Frauenhelpline (Mo – So, 0 – 24 Uhr, kostenlos), 0800 / 222 555 Männernotruf: (Mo – So, 0 – 24 Uhr, kostenlos), 0800 / 246 247.
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