Fall der toten Ärztin schlägt auch in Deutschland Wellen
Die deutschen Entertainer Joko Winterscheidt (43) und Klaas Heufer-Umlauf (38) haben an die österreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr erinnert, die am Freitag Suizid beging. Die beiden widmeten ihre ProSieben-Sendung "Wer stiehlt mir die Show?" ihrer "langjährigen Wegbegleiterin", wie es zum Beginn der Show am Dienstagabend hieß.
Kellermayr hatte sich im Kampf gegen Corona engagiert und war im Internet zum Hass-Objekt von Impfgegnern geworden. Daran - das legen von Medien veröffentlichte Abschiedsbriefe nahe - war sie zerbrochen. Der Suizid der 36-Jährigen vor wenigen Tagen hat die Debatte über Hass im Netz neu angefacht.
Ärztin war oft in der Sendung zu Gast
Die Ärztin sei oft Gast in den Sendungen von Joko und Klaas gewesen, hieß es in dem auch bei Instagram veröffentlichten Beitrag der beiden Entertainer. Während der Corona-Pandemie sei sie engagiert "für die Notwendigkeit der Impfung" eingetreten und somit ins Visier von radikalen Corona-Leugnern und sogenannten Querdenkern geraten.
Kellermayr habe "regelmäßig explizite und detaillierte Morddrohungen" erhalten und der Betrieb ihrer Praxis sei immer wieder gestört worden. Ihr Ruf nach Hilfe sei "bei den zuständigen Behörden auf Unverständnis und Untätigkeit" gestoßen, hieß es weiter in dem Beitrag. Die Polizei in Österreich hatte sich gegen Vorwürfe gewehrt, zu lax reagiert zu haben.
"Dr. Lisa-Maria Kellermayr war oft zu Gast in unseren Sendungen, kannte jede unserer Shows und nahm sich Urlaub, um unsere Produktionen besuchen zu können. Urlaub von ihrem Beruf als Ärztin in Österreich. Während der Covid-19-Pandemie tritt sie engagiert für die Notwendigkeit der Impfung ein. ... und gerät damit ins Visier von radikalen Coronaleugnern und 'Querdenkern'", hieß es in dem Gedenktext.
"In den folgenden Wochen und Monaten erhält Lisa regelmäßig explizite und detaillierte Morddrohungen. Immer wieder wird der Betrieb ihrer Praxis gestört. Lisas Ruf nach Hilfe stößt bei den zuständigen Behörden auf Unverständnis und Untätigkeit. Im Juni dieses Jahres muss Lisa aufgrund der zunehmenden Bedrohung ihre Praxis schließen. Sie fühlt sich alleine gelassen - und ist es auch. Am 29. Juli 2022 findet man Lisa tot in ihrer Praxis. (...) Wir trauern um Dr. Lisa-Marie Kellermayr. Danke für deine Treue. Danke für deinen Applaus. Danke für dein Engagement."
"Leute rufen regelmäßig zu meiner Ermordung auf"
Auch Politiker und Ärzte in Deutschland haben bestürzt gezeigt. Im Fokus steht dabei der Hass im Internet. "Jeden Tag wird in den sozialen Netzwerken zu Gewalt gegen mich aufgerufen", sagte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Leute rufen regelmäßig - teilweise sogar mit Klarnamen - zu meiner Ermordung auf." Er werde deswegen besonders gut geschützt. "Die österreichische Kollegin dagegen musste den Schutz selbst bezahlen und konnte sich das nicht mehr leisten." Er verachte und verabscheue die Hetzer im Netz, die diese Frau in den Tod getrieben hätten.
"Verrohung des Klimas"
Der Präsident der deutschen Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, meinte in der "Welt", der Tod der Ärztin führe "drastisch vor Augen, wohin die Verrohung des gesellschaftlichen Klimas führen kann". Auch in Deutschland sinke die Hemmschwelle. Ärztinnen und Ärzte erhielten Drohbriefe, würden verbal und körperlich angegriffen.
"Die Polizei muss angesichts der besorgniserregenden Zunahme digitaler Straftaten zügig handeln", forderte Jörg Radek, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, in der Zeitung. Es fehle aber an entsprechenden Ressourcen, personell wie bei der Ausstattung.
"Müssen noch durchsetzungsfähiger werden"
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken rief die Menschen dazu auf, Opfern von psychischer Gewalt beizustehen. Gerade Frauen seien häufig betroffen, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Im Kampf gegen diese Form der Gewalt müssen wir noch durchsetzungsfähiger werden."
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz forderte in der "Rheinischen Post" (Mittwoch) eine bessere Ausstattung der Ermittlungsbehörden in Deutschland. Unionsfraktionsvize Andrea Lindholz sprach sich in der Zeitung für mehr Befugnisse im digitalen Raum aus. "Mit der Beschränkung der Sicherheitsbehörden auf das Abhören von Festnetztelefonaten wird man der Lebensrealität im Jahr 2022 einfach nicht gerecht", kritisierte die CSU-Politikerin.
Wer Suizid-Gedanken hat, sollte sich an vertraute Menschen wenden. Oft hilft bereits das Sprechen über die Gedanken dabei, sie zumindest vorübergehend auszuräumen. Wer für weitere Hilfsangebote offen ist, kann sich an die Telefonseelsorge wenden: Sie bietet schnelle erste Hilfe an und vermittelt Ärzte, Beratungsstellen oder Kliniken. Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Depressionen betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge in Österreich kostenlos unter der Rufnummer 142.
Das neue österreichische Suizidpräventionsportal www.suizid-praevention.gv.at bietet Informationen zu Hilfsangeboten für drei Zielgruppen: Personen mit Suizidgedanken, Personen, die sich diesbezüglich Sorgen um andere machen, und Personen, die nahestehende Menschen durch Suizid verloren haben. Das Portal ist Teil des österreichischen Suizidpräventionsprogramms SUPRA des Gesundheitsministeriums.
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