Kerzen des Mitgefühls: Mahnwache für ein Opfer des Hasses
Monatelang hatte die Hausärztin Lisa-Maria Kellermayr aus Seewalchen in Oberösterreich Morddrohungen, von Impfgegnern und aus dem Kreis militanter Corona-Leugner, erhalten. Immer wieder ging sie mit ihrer Angst an die Öffentlichkeit, von der Polizei fühlte sie sich nicht beschützt. Vergangenen Freitag nahm sich Kellermayr das Leben. Tausende Menschen gingen Montagabend in Wien, Linz und anderen Städten Österreichs auf die Straße, um der verstorbenen Ärztin zu gedenken.
In Linz strömten schon vor dem offiziellen Beginn der Gedenkveranstaltung um 20 Uhr Menschen auf den Taubenmarkt und entzündeten Kerzen als Zeichen des Mitgefühls.
Hochrisikokind
"Sie hatte ein irrsinniges Wissen über das Coronavirus", erzählt die Linzer Organisatorin, Daniela Brodesser, die aus der Not heraus auf Kellermayr aufmerksam geworden war. "Mein Kind ist ein Hochrisikokind", weshalb sie sich Hilfe suchend an die Medizinerin wandte. Die Gedenkveranstaltung Montagabend organisierte sie "in erster Linie aus Trauer und in zweiter Linie als Mahnung, künftig Menschen in so einer Situation ernst zu nehmen".
Auch Alexander Rath (25) hat aus diesen Beweggründen den Weg zum Sparkassenbrunnen in Linz gefunden um Kerzen für "Frau Dr. Lisa", wie er sie nennt, entzündet. "Sie war ein positives Beispiel für Einsatz. Ich finde es schade, dass das System sie so im Stich gelassen hat", erklärt Rath.
Ihre Schirme der Solidarität haben die "Omas gegen Rechts" zur abendlichen Mahnwache in Linz aufgespannt. Eine von ihnen ist Helene Kaltenböck. Tief betroffen meint die Pensionistin, dass die Ärztin kein Einzelfall sei. Auch viele andere würden Hass, Mobbing und Drohungen zum Opfer fallen.
"Lassen wir bitte nicht mehr zu, dass Hass und Hetze Menschenleben zerstören. Schauen wir mehr aufeinander", beendete Brodesser die Schweigeminuten. Die Menschen verharrten dennoch vor dem Lichtermeer beim Sparkassenbrunnen, darunter auch die oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreterin Christine Haberlander (ÖVP) , der oö. Ärztekammer-Präsident Peter Niedermoser oder SPÖ-Klubchef Michael Lindner.
Gedränge am Stephansplatz
Daniel Landau, Organisator und Initiator von #YesWeCare, hatte für 20.30 Uhr ein friedliches Lichtermeer am Stephansplatz in Wien angemeldet. Seinem Aufruf waren laut Polizeiangaben über 3.000 Menschen gefolgt, wie ein Lokalaugenschein des KURIER am Montag zeigte. Die Teilnehmer zündeten gleichzeitig mitgebrachte Kerzen an oder hielten die Taschenlampen ihre Handys in die Höhe. Es erklang ein Frauenchor, betretene Gesichter prägten das Stadtbild.
Für einen Gänsehaut-Moment hatte die 59-jährige Karoline Kozzan gesorgt, als sie spontan den Protestsong „We Shall Overcome“ anstimmte und ihr Hunderte folgten. „Ich habe das nicht geplant, aber in dem Moment ist es einfach über mich gekommen. Es ist ein Lied, das für Frieden steht und den brauchen wir in unserer gespaltenen Gesellschaft gerade dringend. Ärzte gehörten anfangs noch zu der Gruppe, der am meisten zugejubelt worden ist. Nun begegnet ihnen solcher Hass, das ist entsetzlich“, sagt Kozzan.
Innere Aufarbeitung
Initiator Landau hofft, dass mit dem Lichtermeer auch „eine innere Aufarbeitung bei allen von uns beginnt. Wir müssen uns fragen, wie es sein kann, dass ein Mensch in Not, der um Hilfe gerufen hat, nicht unterstützt worden ist.“ Polizei und Politik wären ihm zufolge gefordert gewesen. „Da ist definitiv viel falsch gelaufen. Wir sind alle verantwortlich dafür, Brücken über Gesellschaftsschichten hinweg zu bauen. Das kann aber nicht funktionieren, wenn es keine Abgrenzung zu Gewalt gibt“, sagt Landau.
Gesprochen wurde nicht viel, nur die Glocken des Doms und ein Frauenchor waren zu hören. „Ich glaube, dass es wichtig ist, ein Zeichen zu setzen für das Leben und die Toleranz. Lisa-Maria Kellermayr hat das exzellent gemacht, ist dann aber an ihre Grenzen gestoßen, wo sie keinen anderen Ausweg mehr gesehen hat“, erklärt Dompfarrer Toni Faber.
„Ich glaube, dass gemeinsam Trauern einer Gesellschaft gut tut“, sagte Landau abschließend. Er kannte Kellermayr persönlich, hatte sie erst Mitte Juli in ihrer Ordination getroffen. Dabei hätten sie auch über den Glauben gesprochen, das sei der Medizinerin wichtig gewesen, schilderte Landau.
Die Initiative wurde auch von der Österreichischen Ärztekammer unterstützt. Am Wochenende ging laut Präsident Johannes Steinhart eine Verständigung an alle Wiener Ärztinnen und Ärzte mit der Bitte, an der Gedenkveranstaltung teilzunehmen und so als Ärzteschaft „ein eindrucksvolles Zeichen für Solidarität und gegen Gewalt und Hass“ zu setzen. Auch Wissenschafter nahmen an der Mahnwache teil, darunter beispielsweise der Molekularbiologe Ulrich Elling.
Wer Suizid-Gedanken hat, sollte sich an vertraute Menschen wenden. Oft hilft bereits das Sprechen über die Gedanken dabei, sie zumindest vorübergehend auszuräumen. Wer für weitere Hilfsangebote offen ist, kann sich an die Telefonseelsorge wenden: Sie bietet schnelle erste Hilfe an und vermittelt Ärzte, Beratungsstellen oder Kliniken. Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Depressionen betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge in Österreich kostenlos unter der Rufnummer 142.
Das neue österreichische Suizidpräventionsportal www.suizid-praevention.gv.at bietet Informationen zu Hilfsangeboten für drei Zielgruppen: Personen mit Suizidgedanken, Personen, die sich diesbezüglich Sorgen um andere machen, und Personen, die nahestehende Menschen durch Suizid verloren haben. Das Portal ist Teil des österreichischen Suizidpräventionsprogramms SUPRA des Gesundheitsministeriums.
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