Erinnerungen an den Holocaust: Die Schneeflocken des Herrn Zalewski
Das weiße Hemd von Stanislaw Zalewski ist frisch gebügelt. Die Knopfreihen bis obenhin geschlossen. Erst als Zalweski über „die Zahlen“ zu sprechen beginnt, schlägt das Hemd durch die Bewegungen des Redners leichte Falten.
97. 600. 4491.
97 Jahre alt ist der Pole heute, der 600 Tage seines Lebens in Konzentrationslagern verbracht hat. „Drei, um genau zu sein. Ich war in Auschwitz, Mauthausen und Gusen. In Gusen war ich in der Rüstungsfabrik Messerschmitt tätig. Ich habe jene Dinge produzieren müssen, mit denen andere getötet wurden“, erzählt er beim Abendessen in der polnischen Hauptstadt Warschau.
Von Gestapo verhaftet
Um die letzte Zahl, die 4491, verständlich zu machen, knöpft Zalewski den Hemdknopf am Handgelenk auf und rollt den Ärmel langsam nach hinten. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), für dessen Besuch der 97-Jährige das weiße Hemd an diesem Tag angezogen hat, hat er schon begrüßt, das Abendessen ist in vollem Gange, die leichten Falten also verzeihbar.
Im Widerstand sei er gewesen, habe illegale Presse verteilt, an kleineren Sabotageakten teilgenommen, ehe er von der Gestapo festgenommen wurde und schließlich nach Auschwitz kam.
- Der 27. Jänner wurde als Holocaust-Gedenktag ausgewählt, weil am 27. Jänner 1945 das KZ Auschwitz-Birkenau befreit wurde
- Auschwitz war das größte Konzentrationslager des NS-Regimes. Über eine Million Menschen wurden dort ermordet
- Sechs Millionen Juden wurden von den Nationalsozialisten ermordet
- Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten elf Millionen Juden in Europa
Der Hemdsärmel hat mittlerweile die Gegend des Ellbogens erreicht. Man darf sich Zalewski nicht wie den typischen 97-Jährigen vorstellen. Er könnte auch als 80-Jähriger durchgehen.
Fast schelmisch schäkert er mit seinem Gegenüber. „Schöne Frauen und Cognac haben mich jung gehalten. Aber Cognac nur am Wochenende, das wird sonst zu teuer“, sagt er dann und lacht. Jedes Lachen ließe einen fünf Minuten länger leben, ist er überzeugt. „Vielleicht ist dass das Geheimnis des Lebens?“ Und wie zur Selbstbestätigung folgt ein kurzes „Tak“ polnisch für „Ja“.
Spricht Zalewski über die Zeit nach den Konzentrationslagern, dann werden die „Taks“ häufiger. „Ich habe meine Konzentrationslagersyndrome. Ja. Ich muss immer frisches Brot zu Hause haben, das darf nie ausgehen. Ja. Und ich habe Angst vor Menschen, die aggressiv sind. Und Hunden. Die Nazis, die hatten so viele Hunde. Ja.“
Gusen bis 1945
In Gusen, in Oberösterreich, war Zalewski bis zur Befreiung des Lagers im Mai 1945 durch die Amerikaner. Auch an dem Prozess, wie aus dem Konzentrationslager, das mittlerweile eine Wohnsiedlung ist, eine Gedenkstätte werden kann, ist Zalewski aktiv beteiligt.
Zalewski Hemdsärmel ist mittlerweile unter der Achsel angekommen. „Hier. Siehst du, das haben sie mir in Mauthausen verpasst. Nicht am Unterarm, sondern auf der Innenseite des Oberarms. Warum, darüber denke ich bis heute nach“, sagt der Pole und deutet auf eine eintätowierte Zahl: die 4491.
Bleibt die Frage, wie man bei all dem Erlebten, der Angst, dem Grauen trotzdem seine Lebensfreude behält.
Zalewski denkt nach. „Ich glaube an die Menschen. Sein Glück findet man in den Menschen“, sagt er. Und dann, nach einer Pause: „So wie es keine zwei gleichen Schneeflocken gibt, so gibt es keine zwei Menschen mit den gleichen Charakteren.“
Die Knöpfe des weißen Hemdes sind da alle wieder geschlossen.
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