Dies zeigt: Politik in der Türkei ist immer auch Thema in den großen Communitys im Ausland, etwa in Österreich. So auch die Verhaftung von Erdoğans Kontrahenten Ekrem Imamoğlu in Istanbul am Mittwoch.
Doch warum ist die türkische Politik in Österreich so präsent?
Das liegt einerseits an der Zahl: 124.775 Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft lebten 2024 in Österreich, nach Deutschen und Rumänien stellen sie also die drittgrößte Community. Das ist eine Folge davon, dass Österreich während der Gastarbeiter-Ära gezielt Arbeiter aus der Türkei anwarb.
Viele kamen aus Anatolien
Ein beträchtlicher Teil der Menschen kam aus Zentralanatolien: „Dort gibt es viele Anhänger von Erdoğans AKP. Deshalb ist der Anteil am religiös-konservativen Milieu in Österreich relativ hoch“, erklärt der Soziologe Kenan Güngör. Und: „Je polarisierter und konfliktintensiver es im Herkunftsland zugeht, desto stärker ist die Identifikation mit diesen Themen auch im neuen Heimatland.“
In der Türkei gebe es seit langer Zeit Konflikte: „Zwischen autoritär und liberal, kurdisch und türkisch, religiös und säkular. Und diese Feindseligkeiten werden durch die laufenden Konflikte nicht weniger“, erklärt Güngör.
Wie wird also der aktuelle Vorfall in der Community in Österreich wahrgenommen?
Kanber Demir, der mit seiner Liste „Gemeinsam für Neustadt“ in Niederösterreich politisch aktiv ist, spricht von einer zurückhaltenden Stimmung. „Die Leute beobachten, in welche Richtung das gehen wird, ehrlich gesagt wird aber nicht viel darüber geredet“, meint er.
Etwas anders sieht das die St. Pöltner SPÖ-Gemeinderätin Yeliz Zwinz, die seit mehr als 30 Jahren in Österreich lebt und die Entwicklungen in der Türkei mit Sorge beobachtet: „Mich stimmt das sehr nachdenklich“, sagt sie.
Mehr kritische Stimmen werden laut
Dass es immer mehr AKP-Kritiker in Österreich gebe, beobachtet Birol Kilic, Obmann der Denkfabrik „Türkische Kulturgemeinde“ (TKG) in Wien. „Die Community hierzulande ist sehr bunt und individuell“, erklärt er.
Warum man dennoch wenig offene Kritik hört? „Viele haben Angst“, erwidert Kilic. „Auch ich fühle mich in Wien leider nicht sicher, weil ich mich seit Jahren für eine Türkei mit demokratischer, säkularer und rechtsstaatlicher Grundordnung einsetze.“
"Es wurde viel zu lange weggeschaut"
Denn über Schulen, Vereine, religiöse Zentren und Holdings übe die Türkei seit Jahren großen Einfluss in Österreich aus. „Unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit hat die Politik, vor allem die SPÖ, viel zu lange weggeschaut. Teilweise wurden die reaktionären Kräfte sogar aktiv unterstützt und salonfähig gemacht“, kritisiert Kilic.
Dass künftig mehr Kritik an Erdoğan und seiner Politik laut werden könnte, erachtet übrigens auch Kenan Güngör für möglich: „Ich bin gespannt, ob sein Vorgehen auch bei Konservativen auf Kritik stößt. Immerhin ist ja auch die AKP-Wählerschaft nicht homogen.“
Die Türkei ist auch Thema bei Wien-Wahlen
Wie die jeweiligen Parteien zur Türkei stehen, ist aktuell auch Thema im Wahlkampf in Wien. Die Wiener FPÖ rund um Parteichef Dominik Nepp ist in den vergangenen Tagen zu ihrer widersprüchlichen Haltung zur Türkei in Kritik geraten. Einerseits ist die Partei für ihre harte Linie in Migrationsfragen bekannt und meldet sich auch immer wieder sehr kritisch gegen den politischen Islam zu Wort, andererseits sind nun Fotos eines Funktionärs beim Fastenbrechen des türkisch-islamischen Dachverbands Atib aufgetaucht, der als verlängerter Arm des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gilt.
Auch Inserate in türkischer Sprache sollen geschaltet worden sein, zudem soll sogar eine Pressekonferenz ausschließlich für türkische Medienvertreter stattgefunden haben. Insbesondere die Wiener ÖVP und das Team HC Strache werfen den Blauen Verrat an der eigenen Wählerschaft vor.
Eine attraktive Wählergruppe
Dass die Blauen sich an die türkische Community heranwagen, dürfte mehrere Grüne haben: Viele haben ein rechts-konservatives Weltbild, das auch zu jenem der FPÖ passt; mit rund 30.000 türkisch-stämmigen österreichischen Staatsbürgern ist dies zudem eine attraktive Wählergruppe.
Noch dazu eine, die sich in der Vergangenheit mehrheitlich für die SPÖ entschieden hat. Auf Social-Media-Postings einer türkischen Online-Nachrichtenseite werden Gründe genannt, warum man lieber Blau statt Rot wählen sollte: etwa wegen der „LGBT-Propaganda“ der SPÖ. Die FPÖ versucht sich in Schadensbegrenzung und sagt, dass diese Sujets nicht von ihnen selbst stammen.
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