Entschärfer: Sie legten dem Jehova-Bomber das Handwerk
Neun Monate lang hielt das Bombenphantom in der Steiermark Profiler, Entschärfungsexperten und Kriminalisten in Atem. Weil er nach jahrelangen Streitigkeiten um den Unterhalt anscheinend seine Ex-Frau töten wollte, soll ein 55-jähriger Elektrotechniker in Eigenregie Bomben gebastelt und zwei davon zur Detonation gebracht haben.
Dass dem Mann vor wenigen Tagen das Handwerk gelegt werden konnte, ist in erster Linie einer Einheit zu verdanken. Dem Entschärfungsdienst (ESD) in der Direktion für Spezialeinheiten (DSE) im Innenministerium ist es gelungen, auf einer nicht detonierten Bombe – sie war beim zweiten Attentat am 29. März in Graz-Kalsdorf vor dem Königreichssaal der Zeugen Jehovas sichergestellt worden – entscheidende Spuren sicherzustellen.
Das explosive Paket wurde mit einem ferngesteuerten Roboter behutsam in das neue Sprengunterdrückungsgerät der Cobra verladen. In der vier Tonnen schweren Stahlkapsel können bis zu acht Kilogramm TNT detonieren, ohne dass dabei Schaden entsteht oder – wie bei "Dirty Bombs“ üblich – tödliche Gase oder Stoffe austreten, erklärt John Eberhardt, der mit 37 Dienstjahren erfahrenste und bestausgebildete Entschärfer Österreichs.
DNA-Spuren entdeckt
Mit dem 24 Tonnen schweren Bombenlaster wurde die heikle Fracht zum Delaborationsstand der Entschärfer auf den Truppenübungsplatz Großmittel (NÖ) gebracht und dort bis ins kleinste Detail untersucht.
Der Aufwand zahlte sich aus. Wie Markus Lamb von der Landespolizeidirektion Steiermark bestätigt, fanden die Entschärfer auf der Bombe tatsächlich DNA und andere Spuren, die den Tatverdächtigen belasten.
"Ohne diese Spurensicherung der Entschärfer wäre weder der Fall Jehova noch die Briefbombenserie von Franz Fuchs geklärt worden“, sagt Gerald Haider vom Einsatzkommando Cobra. Der Entschärfungsdienst gilt europaweit als Vorreiter, was die Ausbildung und die Entschärfung von Bomben und Sprengsätzen anbelangt, so Haider.
"Todbringende Wirkung“
Um das Wissen und Können der Einheit zu demonstrieren, erhielt der KURIER im Schießausbildungszentrum der DSE im Blumau-Neurißhof (Bezirk Baden) sowie am Truppenübungsplatz Großmittel einen exklusiven Einblick in die Arbeit der Bombenentschärfer – inklusive Sprengung eines Pkw. "Um zu demonstrieren, welche todbringende Wirkung eine solche Autobombe überhaupt hat“, sagt Eberhardt.
Der Entschärfungsdienst, wie man ihn heute kennt, hatte seine Geburtsstunde in den 1980er-Jahren. Nach den Terroranschlägen auf die Jüdische Synagoge in Wien oder am Flughafen Schwechat erkannte man die Notwendigkeit einer solchen Truppe.
Mit Beginn der Briefbombenserie von Franz Fuchs 1993 wurde die Einheit personell deutlich aufgestockt. Heute zählen sie, von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, mehr als 4.500 Einsätze im Jahr. "331 Einsätze standen im Vorjahr im Zusammenhang mit Sprengstoffen und explosionsfähigen Materialien“, sagt Eberhardt. Sichergestellt werden jährlich mehrere Tonnen illegale und meist auch minderwertig hergestellte Feuerwerkskörper und Pyrotechnik, "bei denen schon die reine Handhabung lebensgefährlich ist“.
Auf Tauchstation
Unschädlich gemacht werden Spreng- und Brandvorrichtungen aber nicht nur an Land, sondern auch im Wasser. Die Truppe verfügt über sechs erfahrene Einsatztaucher, die Spezialisten für Entschärfungen unter Wasser sind. Die Entschärfungseinheit gibt dieses Wissen im Zuge von Europol-Lehrgängen auch an Spezialeinheiten anderer Länder weiter.
Klassische Entschärfungen unter Wasser sind eher eine Seltenheit. Öfter hingegen hat der Entschärfungsdienst die Aufgabe, in Zusammenarbeit mit Tauchern der Cobra bei Staatsbesuchen Gewässer oder Schiffe auf mögliche Sprengfallen zu untersuchen.
Und wie steht es um das Berufsrisiko?
"Ein gewisses Restrisiko bleibt immer, egal wie fundiert die Ausbildung ist“, sagt Eberhardt. Der letzte schwere Zwischenfall liegt 30 Jahre zurück. Für die Voraufklärung in jedem Bundesland werden Polizisten zu sprengstoffsachkundigen Organen, sogenannten SKO-Beamten, ausgebildet. 145 davon gibt es aktuell.
Als SKO-Polizist Theo Kelz 1994 eine Bombe von Franz Fuchs zu einer Röntgenstraße bringen wollte, riss ihm die Detonation beide Unterarme ab. Im Ernstfall einer Explosion soll ein 45 Kilogramm schwerer Schutzanzug die Entschärfer vor Bombenteilen und der Druckwelle schützen.
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