Dompfarrer Toni Faber: "Scheinheiligkeit geht mir auf die Nerven"
„Wir tun uns mit Reformen schwer in der Kirche“, sagt Toni Faber. Trotz mancher Komplikationen liebe er aber seine Aufgabe.
KURIER: Was macht ein Dompfarrer eigentlich?
Toni Faber: Ich darf ein mittelständisches Unternehmen mit 80 hauptamtlich angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mitgestalten und bin gleichzeitig ganz normaler Seelsorger mit 100 Taufen im Jahr, Hochzeiten, Segnungen, Begräbnissen. Daneben habe ich entdeckt, dass PR-mäßig manches in der Stadt mit Rückenwind des Domes möglich ist.
Sie gelten daher als „Popstar“ unter den Priestern: Schmeichelt Ihnen das oder schreckt Sie das?
Positiv ist, dass meine Dienste überall angefordert werden. Andererseits ist das für die Spötter unter meinen Kollegen eine gute Gelegenheit, sich über mich zu erheben, nach dem Motto: „Lebt der nur für die Öffentlichkeit“? Das Gegenteil beweise ich mit meiner Arbeit.
Salon Salomon: Zum ausführlichen Gespräch mit Dompfarrer Faber auf KURIER TV
Sie lieben die Society, und die Society liebt Sie.
Ich bin Teil dieses „Dorfes“.
Vor Kurzem haben Sie Richard Lugner beerdigt und gesagt: „Zöllner und Dirnen kommen eher in den Himmel als Obermoralisten.“ Was meinten Sie damit?
Je älter ich werde, desto mehr geht mir Scheinheiligkeit auf die Nerven: etwa, wenn Menschen sich über einen Mann erheben, der immer ehrlich zu seinen Fehlern gestanden ist. Von Richard Lugner konnte man nie behaupten, dass er ein Vorbild in der Ehemoral war. Dennoch war er ein gottessehnsüchtiger Mann, der nicht einsam sein wollte. Und ich weiß von niemandem, den er betrogen hätte. Wenn selbst Jesus sagt, Zöllner und Dirnen seien ihm lieber im Himmel, als diejenigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt sind und andere verachten, dann passt das ganz besonders auf die Beisetzung von Richard Lugner.
Gab es Konsens im Stephansdom, dass hier die Trauermesse für Lugner stattfindet?
Als er starb, war ich gerade auf Urlaub und habe vergessen, das abzusprechen.
Was entgegnen Sie der Kritik Ihrer Priesterkollegen?
Ich versuche, ihnen klarzumachen, dass unser Dienst als Kirche nicht nur bei den sogenannten Frommen stehen bleiben darf. Wenn mir im Himmel vorgeworfen werden sollte, dass ich zu viel gesegnet hätte, dann soll mir nichts Ärgeres passieren. Jeder Priester, der sich beim Kardinal über mich beschwert, wird von diesem gefragt, für wie viel Wiedereintritte er gesorgt habe. Das sind dann vielleicht zwei, drei oder sogar zehn. Solange es nicht 100 seien, wie bei Toni Faber jedes Jahr, rede er gar nicht weiter, hat er erzählt. Der Kardinal hält seine schützende Hand über mich, kennt meine Schwächen, liebt aber meine Stärken.
Obwohl Sie sich nicht an alle Kirchenregeln halten.
Ich nehme mir Jesus zum Vorbild: „Das Gesetz ist für den Menschen da, nicht der Mensch für die Gesetze.“
Sie segnen auch Homosexuelle und Wiederverheiratete, was offiziell nicht erlaubt ist.
Das mache ich seit vielen Jahren mit Billigung, wenn auch nicht immer zur Freude des Kardinals. Die Segnung Homosexueller hat jetzt endlich eine kirchenamtliche Gutheißung bekommen, auch wenn sie wieder ein bisschen zurückgenommen wurde. Aber grundsätzlich hat uns Papst Franziskus eine größere Freiheit geschenkt.
Brechen Sie nicht auch persönlich Kirchenrecht?
Wer ohne Fehler ist, werfe den ersten Stein, heißt es in der Bibel. Und ich bitte den Herrgott täglich: „Sei mir armem Sünder gnädig!“ Ich möchte mich möglichst wenig mit Fehlern anderer aufhalten und bitte auch, das mit meinen so zu halten.
Was bedeutet Zölibat für Sie?
Freiheit für Gott, Freiheit für die Gemeinde, ohne durch eigene Familie und eigene Kinder in größte Verantwortung eingebunden zu sein und dadurch Grenzen erleben zu müssen für seinen Dienst. Andererseits hat man natürlich auch Defizite, könnte manche Probleme vielleicht besser verstehen.
Sie wären eher für das evangelische Modell der verheirateten Priester?
Genau – obwohl ich mich mit 62 Jahren nicht nach einer kirchlichen Hochzeit sehne oder danach, Vater eigener Kinder zu werden. Den Zölibat gibt es – ich habe aber auch zwei verheiratete Priester im großen Team der Beichtpriester für den Stephansdom: einen griechisch-katholischen und einen ehemals evangelischen Priester.
Am Beginn Ihrer Karriere hofften Sie noch auf Kirchenreformen – jetzt nicht mehr?
Vor 40 Jahren als Theologiestudent hatte ich gehofft, weibliche Priester, die Abschaffung des Zölibats und die Segnung homosexueller Paare zu erleben – Themen, die die evangelische Kirche alle schon beantwortet hat, die aber dennoch leider nicht besser dasteht als wir. Davon hängt also offensichtlich die Zukunft der Kirche nicht ab. Damit habe ich mich abgefunden. Wir tun uns mit Reformen schwer in der Kirche. Dass ich hier so arbeiten kann, wie ich es tue, ist eigentlich eh auch schon ein kleines Wunder.
Sie haben mit der ehemaligen Chefin des Jüdischen Museums Danielle Spera ein Buch über Judentum und Christentum geschrieben, das ausgerechnet zur Zeit des Hamas-Massakers in Israel erschien.
Ich habe mit meiner wunderbaren Co-Autorin leicht lesbar über unsere jüdischen Wurzeln geschrieben. Seit dem 7. Oktober samt aufbrandendem Antisemitismus ist das Thema leider hochaktuell geworden.
Wäre so ein Dialog mit dem Islam nicht noch viel dringender nötig?
Ich bin auch mit islamischen Vertretern in Wien in Kontakt und freue mich sehr darüber, dass Papst Franziskus permanent großartige Dialogversuche – wie soeben in Jakarta – startet. Die allermeisten Muslime in Wien sind nicht automatisch Handlanger der Religionspolizei oder eines militanten IS. Aber es gibt Tendenzen, denen man Paroli bieten muss.
Die Moscheen sind voll, die christlichen Kirchen leer.
Das kirchengebundene Christentum nimmt ab, die dominanteste Gruppe sind jedoch die Ausgetretenen. Wenn sich christliche Familien aber nicht mehr trauen, ja zu eigenen Kindern zu sagen, werden wir auf hohem Niveau aussterben. Wir sind weltweit 1,4 Milliarden Katholiken und über 2,3 Milliarden Christen: ein ernst zu nehmender Faktor in der Gestaltung einer friedlichen Welt. Dafür müssen wir Partner bei anderen Religionen suchen.
Sie haben zur Fastenzeit Kunstinstallationen in den Dom gebracht. Die letzte – das Fastentuch von Gottfried Helnwein – verursachte einen Eklat. Es zeigte das Abbild Christi auf dem Turiner Grabtuch mit dem Kopf nach unten. Der Kardinal ließ es nach Protesten abhängen. Hat Sie das gekränkt?
Ich konnte es nicht verstehen. Helnwein und ich haben versucht, uns gegenseitig zu trösten. Zuerst war er mir Seelsorger, als ich schon alles hinschmeißen wollte, dann ich ihm.
Sie haben wirklich überlegt, Ihr Amt zurückzulegen?
Ich war sehr verärgert und an einem Punkt des Lebens angekommen, an dem ich nicht oft sein will. Ich liebe meine Aufgabe, und es wäre sehr schade gewesen, sie im Affekt aufzugeben.
Was hätten Sie gemacht, wären Sie nicht Priester geworden?
Der liebe Gott hat mich als Priester berufen. Als ich das damals meiner Mutter gesagt habe, meinte sie: „Nein, das geht nicht, dafür hast du schon zu viele Sünden begangen.“ Ich hätte früher Schauspieler werden wollen, Anwalt, Offizier, Tierarzt oder Politiker. Ich kriege Jobangebote, sollte ich nicht mehr Dompfarrer sein. Das schafft eine Gelassenheit und Unabhängigkeit.
Was ist Ihr Lieblingsplatz im Dom?
Die Taufkapelle, direkt unter der Turmspitze des Stephansdoms. Das ist der Punkt, wo sich für mich in Wien Himmel und Erde berühren.
Dompfarrer Toni Faber
Der Dom
Die romanischen Wurzeln des Wiener Wahrzeichens,
das jährlich 5,6 Millionen Besucher anzieht, reichen bis 1137 zurück. 1433 wurde der gotische Südturm fertig, der Nordturm blieb unvollendet. Der Hochaltar ist barock. 1945 brannte der Dom. Wien ist seit 1469 Bischofssitz. Amtierender Erzbischof ist Kardinal Schönborn. Er wird bald 80, ein Nachfolger wird gesucht
Der Dompfarrer
Toni Faber folgte
vor 27 Jahren einem eher farblosen Vorgänger nach und legt seither sein Amt extrovertiert an. Davor war der studierte Theologe Kaplan. Der unkonventionelle Priester sorgte für Kunst
im Dom, In der Corona-Zeit ließ er die „Himmelsleiter“ am Turm anbringen
Kommentare